Weil ein 64-jähriger Gemeindebaubewohner offenbar ein Problem mit der sexuellen Orientierung seines Nachbarn hatte, kam es zu einer Serie von Anfeindungen. Als ihm schließlich mit einem Messer gedroht wurde, griff eine Nachbarin ein. Nun muss sich der 64-Jährige vor Gericht verantworten. Seine Erklärung dort: „I bin net homophob.“
Wie stark die Wahrnehmung von Menschen vor Gericht mitunter verzerrt sein kann, zeigt der Fall des 64-jährigen Bewohners eines Gemeindebaus in Wien-Favoriten. Der Mann musste sich am Mittwoch im Wiener Landl verantworten. Die Schilderungen darüber, was ein 58-jähriger Mann aufgrund seiner sexuellen Orientierung erdulden musste, machen fassungslos.
Opfer (58) lief geduckt an Wohnung vorbei
Der 58-jährige schwule Mann lebt in einer Gemeindebau-Anlage in Favoriten und macht dort aus seiner sexuellen Orientierung kein Geheimnis. Der Angeklagte und Nachbar des Opfers hatte damit wohl ein größeres Problem. Nur mehr geduckt sei der 58-Jährige zuletzt an dessen im Erdgeschoß gelegener Wohnung vorbeigegangen, um von diesem nicht gesehen und beleidigt zu werden, berichtete der 58-Jährige als Zeuge: „Er terrorisiert mich die ganze Zeit.“
Als der 58-Jährige am 7. Juli 2025 mit dem Hund einer Nachbarin Gassi ging, bekam der Angeklagte das mit. Laut Anlage beschimpfte er ihn in seiner Wohnung durch das geöffnete straßenseitig gelegene Fenster als „schwule Sau“, „schwuler Abschaum“ und „Kinderf*****“. Auf seine Aufforderung, damit aufzuhören, sei der Angeklagte in die Küche gelaufen und habe sich mit einem Küchenmesser ins Fenster gestellt, damit herumgefuchtelt und ihm „I stich di o, du schwule Sau“ zugerufen, berichtete der Zeuge. Darauf hätte eine Nachbarin, die das mitbekam, die Polizei gerufen.
Bin net homophob.
Der 64-jährige Angeklagte vor Gericht
Angeklagter: „Bin net homophob“
Der Angeklagte stellte die inkriminierten Tathandlungen nicht in Abrede, wobei er betonte: „I bin net homophob.“ Der betreffende Nachbar „sekkiere“ ihn aber „seit einem halben Jahr“. Er lasse sich „nix gefallen“, führte er an: „I bin a normaler Arbeiterbua, Herr Rat!“
„Ich hab‘ panische Angst vor ihm“, offenbarte der 58-Jährige. Der Angeklagte beschimpfe und beleidige ihn aufgrund seiner sexuellen Orientierung („Ich bin homosexuell, das wissen alle“) ständig: „Ich hab‘ das in meiner Kindheit schon erlebt. Es gibt Triggerpunkte.“ Daher sei aufgrund der verfahrensgegenständlichen Vorkommnisse eine posttraumatische Belastungsstörung wieder virulent geworden. Er benötige jetzt wieder eine psychotherapeutische Behandlung. „Ich trau mich fast nicht aus dem Haus gehen und schleich die Stiegen runter“, gab der Zeuge an.
Ich trau mich fast nicht aus dem Haus gehen und schleich die Stiegen runter.
Der 58-Jährige als Zeuge vor Gericht
Polizei nahm Opfer zunächst nicht ernst
Die Polizei habe seine Anzeige wegen gefährlicher Drohung zunächst nicht aufnehmen wollen, betonte der 58-Jährige. Erst als er darauf bestand, sei diese bearbeitet und ein Wegweisungs- und Betretungsverbot erlassen worden, wobei der Angeklagte letzteres aber nicht einhalte. Das bestätigte jene Nachbarin, die die Polizei gerufen hatte und die ebenfalls als Zeugin befragt wurde. „Jeder hat Probleme mit ihm“, teilte die Zeugin mit.
Der Mann fasste wegen gefährlicher Drohung und Beleidigung eine fünfmonatige Freiheitsstrafe aus, die ihm aufgrund seiner bisherigen Unbescholtenheit unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Das Messer, mit dem er seinen Nachbarn bedroht haben soll, wurde vom Gericht konfisziert.
Dass ihm der Richter zusätzlich zur Bewährungsstrafe die Zahlung eines symbolischen Schmerzengelds von 200 Euro an das Opfer auferlegte, regte den 64-Jährigen auf. „Bitte was? I hob Mindestsicherung, i kann mir das net leisten“, ereiferte er sich. Zuvor hatte er allerdings von einem mehrmonatigen Urlaub in Brasilien berichtet. Da der Angeklagte nicht anwaltlich vertreten war, ist das Urteil nicht rechtskräftig.
Laut dem Hate-Crime-Bericht für 2024 ist die Zahl der erfassten Hate Crimes im Vorjahr deutlich angestiegen. 6786 vorurteilsmotivierte Straftaten registrierte die Polizei, was 20 Prozent mehr als im Vorjahr ist (5668). Die Aufklärungsrate blieb mit 67 Prozent jedoch etwa gleich hoch.
Laut Statistik ein Hass-Verbrechen pro Tag
Statistisch betrachtet kommt es in Österreich täglich zu einem vorurteilsbedingten Hass-Verbrechen gegen die LGBTIQ+-Community. Das geht aus dem vor Kurzem vom Innenministerium veröffentlichten Hate-Crime-Report 2024 hervor. Im Frühjahr hat sich der Nationalrat mit breiter Mehrheit dafür ausgesprochen, einen Nationalen Aktionsplan gegen Hate Crime zu erstellen. Über 30 Vereine aus der LGBTIQ+-Community haben in diesem Zusammenhang zuletzt verlangt, in die Umsetzung eingebunden zu werden.
Motive von Hate-Crimes in IT-System erfasst
Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) hat Anfang Mai in einem Erlass festgelegt, dass bei Hate Crimes wie Körperverletzungen, gefährlichen Drohungen, Sachbeschädigungen oder Verhetzungen das Motiv des abwertenden Vorurteils gegenüber bestimmten Gruppen im IT-System erfasst werden muss. Wie viele Hassverbrechen gegenüber der LGBTIQ+-Community seither angefallen sind bzw. wie viele Verurteilungen registriert wurden, hieß es am Mittwoch seitens des Justizministeriums, es sei noch zu früh für eine Evaluierung.
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