Keine Gnade. Kein Schlaf. Das härteste Eintagesrennen der Welt beginnt in Tirol – und endet zwischen Wahnsinn und Triumph. Die „Radkrone“ war live dabei – zumindest im Betreuerfahrzeug.
Mittag. Die Sonne steht hoch über Nauders, nahe der Schweizer Grenze. An der Startlinie: 46 Männer und vier Frauen mit ausgemergelten Waden, stahlharten Blicken und leuchtenden Trikots. Sie lachen noch. Ein letztes Mal. Denn was kommt, ist kein Radrennen. Es ist ein Grenzgang.
540 Kilometer. Über 13.300 Höhenmeter. Zwölf Alpenpässe. Nonstop. Die Strecke des Race Across the Alps (RATA) windet sich durch Österreich, Italien und die Schweiz – vorbei an Felswänden und Gletschern. Stilfser Joch, Bernina, Mortirolo, Albula. Pässe, bei denen selbst Profis die Zähne zusammenbeißen.
Hier gehts ums Durchhalten
Wer hier antritt, ist kein gewöhnlicher Radsportler. Hannes Fankhauser fährt zum dritten Mal mit – und er hat eine Rechnung offen. 2023 scheiterte er bei seinem Debüt – ausgerechnet an einem banalen Fehler: Zwei verlorene Trinkflaschen, zu wenig Flüssigkeit, der Körper machte dicht. 2024 lief es besser: Platz 7, ein Erfolg, der auch seinem Betreuerteam zu verdanken war – seinen Freunden Harry Stock und Mike Kremer.
Der 35-jährige Facharzt für Anästhesie im Krankenhaus Schwaz und Notarzt am Rettungshubschrauber C4 in Kitzbühel ist ein leidenschaftlicher Rennradfahrer mit dem Hang zum Extremen.
Denn kaum ist der Start erfolgt, tickt die Uhr unaufhaltsam. Wer nicht nach 32 Stunden wieder zurück in Nauders ist, wird aus der Wertung genommen. Die meisten Fahrer fahren durch die Nacht – ohne Schlaf, mit Stirnlampen und Zähneklappern.
Und hinter jeder Kurve lauern Hunger. Krämpfe. Halluzinationen. Aber auch Momente, die sich einbrennen – wie der Sonnenaufgang in Graubünden, die Bewältigung der legendären „Giro d’Italia“-Bergwertung am Mortirolo oder die Steinböcke im Engadin.
Doch warum tut man sich das an? Ist so etwas überhaupt gesund? „Gesund ist relativ“, schmunzelt der Mediziner: „Das Training ist sicher gut, aber das Rennen hängt mir sicher eine Zeit nach.“ Während der 21 Stunden auf dem Rennrad verbrennt der Zillertaler 19.000 Kalorien. Wenn er 8.000 während des Rennens in flüssiger Form wieder zu sich nehmen kann, ist das schon ein Sieg.
Der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt
Doch als Arzt kennt Hannes körperliche und mentale Ausnahmesituationen. Vielleicht hilft ihm genau das, wenn die Müdigkeit zuschlägt, der Körper rebelliert und die nächste Steigung vor einem liegt, wie ein unbezwingbarer Gegner.
Und genau diese rohe Ehrlichkeit ist es, die das Race Across the Alps ausmacht. Keine Medientrucks, kein Applaus am Straßenrand. Nur die Straße, die Rennräder und die Fahrer.
Heuer wurde Hannes wieder von Mike und Harry unterstützt und die Rollen klar verteilt: Hannes tritt in die Pedale, Harry und Mike kümmern sich um alles andere – Verpflegung, Motivation, mentale Betreuung.
Ohne sie, sagt Hannes, „geht gar nichts“. Carolin, seine Frau, sagte kurz vorm Start liebevoll-zielgerichtet: „Bringt mir meinen Hannes wieder gesund heim!“
Und das ist Mike und Harry gelungen. Mit einer Zeit von 21 Stunden, fünf Minuten und zwei Sekunden reicht es für den zweiten Platz. Nur geschlagen vom Tiroler Philip Handl, der seinen Vorjahressieg verteidigen konnte.
Trotzdem gibt es kein großes Feuerwerk für die Sieger und all jene, die es überhaupt bis ins Ziel geschafft haben. Nur eine Gratulation von Veranstalter Kurt Folie, eine Medaille, ein Händedruck. Und eine körperliche Leere, die größer ist als jeder Muskelkater.
Aber in dieser Leere liegt etwas Großes: das Gefühl, über sich hinausgewachsen zu sein. Etwas geschafft zu haben, was für andere unmöglich klingt.
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