Weiter im Takt

Nova Rock: Zwischen Jazz-Punk und brachialer Härte

Musik
14.06.2025 02:11

Noch einmal alle Kräfte in die Waagschale werfen: Nach dem dritten Tag des Nova Rock Festivals wird es langsam kritisch mit dem Energielevel der Besucher. Bands wie Slipknot, Refused, die Folkshilfe oder Airbourne sorgten mit mitreißenden Shows aber für ausreichend Adrenalinausschüttung. Heute geht es auf den Pannonia Fields noch einmal richtig rund.

kmm

Zu den abgedroschendsten Sätzen aus der Phrasen-Mottenkiste zählt mit Sicherheit der Spruch „das ist ein Marathon, kein Sprint“. In vielen Fällen ist er aber durchaus korrekt, für ein Festival wie das Nova Rock ist das Existieren nach dieser Prämisse oft sogar lebensnotwendig. Vor allem dann, wenn das Geld am Armband mit jedem neuen Bier weniger wird, die Sonnenbrände sich ob der täglich steigenden Temperaturen aber großflächig ausbreiten. Ist man am ersten Tag noch beseelt von den Möglichkeiten, die sich beim Anblick der verschiedenen Spielzeiten von Bands und Künstlern ausbreiten, schwinden die Kräfte irgendwann so stark, dass man schon hoffen muss, den Headliner nicht ob der ausgearteten Illuminierung oder schlichter Müdigkeit zu verpassen. Der Beginn des dritten Festivaltages bedeutet für Fans und Mitarbeiter Halbzeit – und da kann es schon mal einen kleinen Motivationsdurchhänger geben.

Mit jedem Festivaltag steigen die Temperaturen – davon lassen sich die Besucher freilich nicht ...
Mit jedem Festivaltag steigen die Temperaturen – davon lassen sich die Besucher freilich nicht stören.(Bild: Andreas Graf)

Geerdeter Rock im wilden Lärm
Trotz allem: Kräfte einteilen geschieht in der Theorie. Die Praxis ist dagegen untrennbar verbunden mit der süßen Frucht Unvernunft. Also stürmen so einige Feierwütige schon spätmittags auf das Gelände und werden dabei Zeuge einer echten Perle. Der aus dem beschaulichen Arkansas im amerikanischen Niemandsland stammende Sawyer Hill mag zwar nicht zum restlichen Festival-Line-Up passen, begeistert in seiner halben Stunde Spielzeit aber mit erdigem, Blues-durchtränktem Rock, den man gut und gerne auf das „Lovely Days“ in Eisenstadt stellen kann. „Meine älteren Brüder sind Metal-Heads, insofern sind mir die Bands hier geläufig“, erzählt der optisch an einen jungen Mick Jagger gemahnende 25-Jährige mit der Bariton-Stimme nach dem Gig im „Krone“-Talk, „ich bin aber auch mit Gospel, Country und Rock aufgewachsen und das schwingt bei mir durch.“ Mit dem abschließenden, vor einigen Jahren viral gegangen Song „Look At The Time“ verspricht er Großes. Hoffentlich bald wieder.

Von diesem jungen Mann wird man ziemlich sicher noch öfter etwas hören: Sawyer Hill.
Von diesem jungen Mann wird man ziemlich sicher noch öfter etwas hören: Sawyer Hill.(Bild: Andreas Graf)

Vom Hype des zweiten Platzes beim Eurovision Song Contest 2024 in Malmö zehrt auch der Kroate Baby Lasagna (Interview an dieser Stelle). Die Karriere des 29-Jährigen kommt nach einigen Jahren in diversen Metalbands gerade so richtig in Fahrt, was an seinen flotten, zwischen Rammstein und Bubblegum-Pop mäandernden Songs liegt. Von der sengenden Sonne lässt er sich auf der Blue Stage nicht beeindruckend. Vor ihm werden kroatische Flaggen geschwungen und laut gejubelt. Oben hämmern ballernde Songs aus der Konserve, die Baby Lasagna hüpfend und laufend zum Besten gibt. Eine physisch durchaus anstrengende, aber witzige Angelegenheit, die die Nova Rocker erstmals an diesem Tag so richtig in Fahrt bringt. Der ESC-Song „Rim Tim Dagi Tim“ und die letzte Single „Biggie Boom Boom“ sorgen für den lautesten Jubel. Das Budget reicht sogar für Pyrotechniksalven – nur schade, dass er mehr als das halbe Set durch den Bühnennebel unsichtbar bleibt. Wenn Electric Callboy einmal einen würdigen Supportact für ihre Tour suchen – hier werden sie fündig.

Mit seiner vogelwilden Mischung aus Metal, Pop und elektronischen Beats erobert Baby Lasagna die ...
Mit seiner vogelwilden Mischung aus Metal, Pop und elektronischen Beats erobert Baby Lasagna die Herzen der Fans.(Bild: Andreas Graf)

Abschied mit Knall
Fiel der Nova-Donnerstag musikalisch noch bretthart aus, bleibt an diesem Tag mehr Raum für nuancierte Unterschiede. Acts wie Deine Cousine, Tschebberwooky oder die reformierten und langsam auch live wieder in den Saft kommenden Oberösterreicher Krautschädl zeigen die bunte und nicht immer so brutale Vielfalt des Nova Rocks. Nur die Blue Stage tunkt sich in vermehrte Aggression. Eine für die älteren Semester emotionale Angelegenheit ist etwa die (vermeintlich) letzte Österreich-Show der schwedischen Punk-/Hardcore-Legenden Refused. Dennis Lyxzén und Co. haben mit „New Noise“ in den 90ern eine Genre-Hymne geschrieben, mit sich untereinander aber immer wieder Schwierigkeiten. Auf der Bühne merkt man davon aber nichts und so wird die Reise in eine andere Epoche zu einer würdevollen und nostalgischen. Die Pro-Palästina-Bekundungen dürfen bei einer derart linkspolitischen Band offenbar nicht fehlen – ebenowenig der Gastauftritt des schwedischen Jazz-Saxofonisten Mats Gustafsson, der kurioserweise in Nickelsdorf (!) lebt. Das Nova Rock schreibt auch solche Geschichten – adieu, Refused.

Noch ein allerletztes Mal Hardcore-Unvernunft: Refused rund um Sänger Dennis Lyxzén ...
Noch ein allerletztes Mal Hardcore-Unvernunft: Refused rund um Sänger Dennis Lyxzén verabschieden sich schon ein zweites Mal in Frühpension.(Bild: Andreas Graf)

Wo ein Abschied, da auch eine Rückkehr. Die Australier von Airbourne haben erst unlängst ihre erste Single nach sechsjähriger Pause veröffentlicht. „Gutsy“ vereint die Stärken der früheren Scheiben mit einer gewissen aktuellen Note, die freilich trotzdem zeitlos ist. Das Brüdergespann Joel und Ryan O’Keeffe muss sich die Vergleiche mit den landesverwandten Urvätern AC/DC bis zum Totenbett anhören, kann damit aber gut umgehen. An der explosiven Bühnenshow samt Bierdose-am-Schädel-aufschlagen hat sich nichts geändert. Wahrscheinlich ist es gerade diese Zeitlosigkeit, die einen sicheren Hafen vermittelt und den Fans gefällt. Ein neues Album scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Das gilt auch für die schottischen Alternative-Rocker Biffy Clyro, die nach einer längeren Ruhephase auch wieder fleißig neue Songs in den Orbit werfen. Live baut man vornehmlich auf Klassiker, was auch dem „härter“ geschulten Publikum gut gefällt.

Endlich wieder da: Die australischen Rocker Airbourne sind in den letzten Jahren in sich ...
Endlich wieder da: Die australischen Rocker Airbourne sind in den letzten Jahren in sich gegangen – um jetzt wieder live zu explodieren.(Bild: Andreas Graf)

Hype um das Stimmwunder
Apropos Härte – am späteren Abend werden die Regler auf den Verstärkern noch einmal so richtig aufgedreht. Zwei Bands mit identem Zielpublikum werden zeitgleich gegeneinander aus dem Käfig gelassen. Ein wenig fandienliches Missgeschick, das aber nicht nur den Nova-Rock-Planern passiert, wie Whitechapel-Gitarrist Alex Wade der „Krone“ im Gespräch lachend erklärt: „Das ist das vierte oder fünfte Festival in dem Sommer, wo das passiert. Irgendwie eigenartig.“ Während die Texaner mit der Red-Bull-Stage vorliebnehmen müssen, bestätigen Lorna Shore den Hype um ihren symphonisch angehauchten und kompromisslosen Deathcore mit ausladenden Songs und dem Stimmwunder Will Ramos, der kellertief gurgeln, engelshoch trällern und dazwischen auch normal singen kann. „Wir waren vor zwei Jahren hier bei euch und da waren bei weitem noch nicht so viele Leute vor der Bühne“, spricht er freudig ins Publikum. Das nächste Album kommt im September – ein Charterfolg scheint vorprogrammiert zu sein.

Lorna-Shore-Sänger Will Ramos ist mit einem Organ ausgestattet, das Glas schneiden und Beton ...
Lorna-Shore-Sänger Will Ramos ist mit einem Organ ausgestattet, das Glas schneiden und Beton zerstampfen kann.(Bild: Andreas Graf)

Nach dem mürben und unzulänglichen Auftritt von Linkin Park war bei manchen die Angst groß, dass die nächste Headliner-Band die hohen Erwartungen nicht erfüllen könne. Die Sorgen waren aber unbegründet, das Brachial-Kollektiv von Slipknot liefert präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. (Wieder einmal) nicht mit an Bord war Gründungsmitglied Clown, der aufgrund eines familiären Notfalls in die USA nach Hause jetten musste. Damit geht Frontmann Corey Taylor ebenso offen um, wie zu seiner ehrlich formulierten Liebe zu den österreichischen Fans, die er nach unzähligen Nova-Rock- und Stadthallen-Auftritten ins Herz geschlossen hat. Für Herzhaftes ist ansonsten wenig Platz. Das 90-minütige Best-Of-Set des Kollektivs aus Des Moines in Iowa ist eine Rückschau auf ganz frühe („Spit It Out“, „Surfacing“), recht frühe („The Heretic Anthem“) und weniger frühe („The Devil In I“, „Unsainted“) Zeiten. Wer Slipknot will, der bekommt geliefert.

Keine Angst, er will nur spielen: Slipknot-Sänger Corey Taylor kennt die Maskerade seit einem ...
Keine Angst, er will nur spielen: Slipknot-Sänger Corey Taylor kennt die Maskerade seit einem Vierteljahrhundert.(Bild: Andreas Graf)

Auf zum großen Finale
Mit fortschreitendem Alter ist die Band vielleicht nicht mehr so anarchistisch und rücksichtslos zu sich selbst und ihrer Umwelt unterwegs, dafür extrem gut aufeinander eingespielt und sichtbar glücklich darüber, aus einem Vierteljahrhundert Songmaterial zu schöpfen. Der Sound ist nicht so ganz druckvoll und scharf wie bei Korn, aber auch nicht so lasch und drucklos wie bei Linkin Park am Vorabend. Riffs, wilde Breaks und Taylors energetische Gesangsstimme machen einen Slipknot-Gig immer zu einem Ereignis, das man stets zu schätzen weiß. Eine Glanz-Performance lieferten gegenüber auf der Red Stage aber auch Folkshilfe ab. Vor einem Meer an begeisterten Fans zogen Frontmann Flo Ritt und Co. inklusive und zutiefst humanistische Show und setzten damit ein musikalisches wie auch gesellschaftspolitisches Statement. Wer doch lieber anspruchslosen Mummenschanz zelebriert, konnte zum Abschluss den künstlich transilvanischen Power Metal von Powerwolf verfolgen. Abgeschlossen wird das Nova Rock heute u. a. mit Electric Callboy, den Idles und den Lokalmatadoren von Wanda.

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