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Geheime sowjetische Lager werden bei uns sichtbar

Österreich
04.06.2025 10:28

Zum ersten Mal ist es gelungen, eigentlich geheime Lager der sowjetischen Besatzungszone in Österreich ausfindig zu machen und systematisch zu dokumentieren. Auf einer neuen Webseite wird jetzt die historische Lagerlandschaft festgehalten. Es sind Schicksale, die schockieren und bewegen. Die Forscher bitten nun um Ihre Mithilfe.

Lager sind jene Orte, an denen sich die sozialen, politischen und menschlichen Folgen von Krieg und Besatzung in besonderer Deutlichkeit zeigen: In der sowjetischen Besatzungszone Österreichs – in Niederösterreich, dem Burgenland, Teilen Oberösterreichs (Mühlviertel) sowie in mehreren Bezirken Wiens – bestanden zwischen 1945 und 1955 zumindest rund 250 Lager zur Unterbringung von Personen verschiedenster Herkunft.

So sieht die Lagerkarte aus. Auf dem Bild: das Schloss Altenhof Anfang der 1930er-Jahre. Im Jahr 1948 wurde das im Schloss gelegene Bezirksaltersheim auch für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt.
So sieht die Lagerkarte aus. Auf dem Bild: das Schloss Altenhof Anfang der 1930er-Jahre. Im Jahr 1948 wurde das im Schloss gelegene Bezirksaltersheim auch für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt. (Bild: Krone KREATIV/AKON/Österreichische Nationalbibliothek)

Dieses bislang weitgehend unbeachtete Terrain macht das vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und dem Land Niederösterreich geförderte Forschungsprojekt Encampment nun für alle zugänglich. Möglich war dies dank Zeitzeugenerinnerungen und -interviews, Literatur- sowie Quellenanalysen.

Am Dienstag wurde die Karte bei einem Pressegespräch vorgestellt. Von links: Gruppenleiter des Landes NÖ der Gruppe Kultur, Wissenschaft und Unterricht Hermann Dikowitsch, FWF-Präsident Christof Gattringer, Historikerin Barbara Stelzl-Marx, Historikerin Katharina Bergmann-Pfleger, Johannes Pflegerl von der FH St. Pölten und Historiker Dieter Bacher
Am Dienstag wurde die Karte bei einem Pressegespräch vorgestellt. Von links: Gruppenleiter des Landes NÖ der Gruppe Kultur, Wissenschaft und Unterricht Hermann Dikowitsch, FWF-Präsident Christof Gattringer, Historikerin Barbara Stelzl-Marx, Historikerin Katharina Bergmann-Pfleger, Johannes Pflegerl von der FH St. Pölten und Historiker Dieter Bacher(Bild: Angelika Eliseeva)

Die Ergebnisse des Projektes geben Einblick in eine bislang fast vergessene Lagerlandschaft im besetzten Nachkriegsösterreich, die die Lebensrealität hunderttausender Menschen verschiedenster Nationen in den ersten beiden Nachkriegsjahren zwar nur kurzfristig, aber dafür umso nachhaltiger geprägt hat.

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Diese Lager sind zwar auf den ersten Blick unsichtbar, aber eingebrannt in die Landschaft und die Biografien der Menschen.

(Bild: Jauschowetz Christian)

Barbara Stelzl-Marx

Lagerkarte

Die Karte mit der historischen Lagerlandschaft finden Sie hier.

Viele Russen wollten nicht in die UdSSR zurück
Besondere Aufmerksamkeit erregt der Fall des Russen Kremnjew: Dieser war im August 1948 mit der dortigen sowjetischen Repatriierungskommission in Kontakt. Seine Ehefrau lebte zu dieser Zeit in der US-amerikanischen Zone Österreichs. Kremnjew erklärte sich bereit, gemeinsam mit seiner Gattin in die UdSSR zurückzukehren. Zwei Tage nach dem Eintreffen seiner Angetrauten in Wiener Neustadt wurde der Russe verhaftet – die Hintergründe bleiben schleierhaft.

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Hinweise auf bislang nicht erfasste Lager, ergänzende Informationen oder insbesondere Bildmaterial sind an folgende E-Mail-Adresse ausdrücklich erbeten: encampment@lbg.ac.at

Die Folgen in dem Lager waren verheerend: Da die wiederholten verzweifelten Bitten von Kremnjews Frau nicht (oder nicht zu ihrer Zufriedenheit) beantwortet wurden, schlug die allgemeine Stimmung unter den Lagerbewohnern rasch um. Sie lehnten eine Repatriierung in die UdSSR strikt ab, da viele weitere Repressionen gegen sie befürchteten. Private Briefe aus der UdSSR an mehrere andere Lagerbewohner, in denen die harten Umstände in der Heimat beschrieben wurden, heizten die Gerüchte weiter an. Durch Korrespondenzen wurden die Informationen über die Verhaftung auch außerhalb des Lagers bekannt.

Erschwerte Bedingungen wegen Russland-Sanktionen
Das Forschungsprojekt, das der Website zugrunde liegt, wird seit Anfang 2022 unter der Leitung der renommierten Historikerin Barbara Stelzl-Marx am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung durchgeführt - in Kooperation mit dem Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung, der FH St. Pölten sowie dem Institut für Geschichte der Universität Graz. 

Aufgrund des Ukraine-Krieges mussten die Forscher auf Recherchen in den russischen Archiven verzichten. Glücklicherweise war aus früheren Tätigkeiten aber bereits ausreichend Material in Österreich vorhanden.

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