Talk & Wien-Konzert

Patrick Wolf: Vom Ikarus zum Indie-Phönix

Musik
03.06.2025 09:00

Fast zehn Jahre lang ließ der Barock-Indiepop-Held der 2000er-Jahre, Patrick Wolf, nichts mehr von sich hören. Die Geschichte dahinter ist traurig, das aktuelle Comeback aber mehr als gelungen. Vor seinem Auftritt im Wiener Theater Akzent sprachen wir mit dem 41-Jährigen über Drogen, Kreativität und Rekalibrierung.

(Bild: kmm)

In den 2000er-Jahren war der Barock-Pop-Sänger Patrick Wolf so etwas wie ein Heiland der Indie-Gemeinde. Während schräge Gitarrenbands und Pop-taugliche Elektroniker die Charts eroberten und nach dem Dicke-Hosen-Nu-Metal des Millenniums ein feineres Gefühl in die Radiowelt legten, grätschte plötzlich dieser queere, modelnde und sämtliche Grenzen sprengende Brite mit dem blassen Gesicht daher, und brachte ein Gefühl der Hochkultur in die Indie-Welt. Das Debütalbum „Lycantrophy“ (2003) gilt noch heute als hervorstechendes Referenzwerk, aber auch die Nachfolger „Wind In The Wires“ (2005), „The Magic Position“ (2007) und „The Bachelor“ (2009) sorgten für Begeisterung. Wolf kreuzte seine Bariton-Stimme mit einem an David Bowie gemahnenden Bild der Androgynität und ließ die Ukulele gleichbedeutend mit dem Klavier und einer Geige Raum einnehmen. Kein Wunder, dass er als gern gesehener Gast in Gefilden von Arcade Fire, Owen Pallett oder The Hidden Cameras in Erscheinung trat.

Plötzlicher Absturz
Zu Beginn der 2010er-Jahre war Wolf etabliert, aber auch nicht mehr „der nächste heiße Scheiß“. Obschon sich seine Alben stets vorgefertigten Formeln entzogen, war seine Innovationsgeschichte auserzählt. Dazu kamen in diesen Jahren vermehrt andere Probleme. Familientragödien, Suff, Drogen, endlose Streitereien mit dem Management. 2013 war Wolf noch als Bandmitglied von Punk-Urmutter Patti Smith auf großer Tour, ein Jahr später zog er dann notgedrungen die Reißleine und verschwand aus dem gleißenden Licht des Musikbusiness, um sein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen. Heute, mit ausreichend Distanz zu seinen düstersten Tagen, kann er auch darüber sprechen. „Als ich mit Patti auf Tour, gab es immer wieder so kleine Zusammenbrüche. Ich habe das lange überspielt, bis es nicht mehr ging.“

Als sich Wolf seinen Dämonen stellte, tat er das sehr früh mithilfe von außen. „Um vom Alkohol und den Drogen runterzukommen, nahm ich an einem Zwölf-Schritte-Programm teil. Das war meine einzige Chance, nüchtern und clean zu werden. Ich hätte selbst nicht die Kraft dazu gehabt, das durchzuziehen. Dazu ging ich in Psychotherapie, um die bösen Geister aus meinem Kopf zu vertreiben.“ Neben dem ausufernden Drogenproblem hatte sich Wolf zu dieser Zeit auch aus den Fesseln einer toxischen Beziehung gelöst, sich bis aufs Blut mit seinem aus seiner Warte aus nicht ganz koscheren Management zerstritten und vor allem mit sich selbst gehadert. „Ich wollte nicht mehr Patrick Wolf sein und schon gar nicht wollte ich die Lieder von Patrick Wolf singen. Es war so, als hätte mich eine unsichtbare böse Kraft dazu angehalten, nicht an die Arbeit zu gehen. Ich war lange wie starr und gelähmt und habe alles, was mir in dieser Zeit einfiel, als unzureichend angesehen.“

Sanfte Rückkehr
Mühsam kämpfte sich Wolf aus den Untiefen seines eigenen Selbst und verlor auf dem Weg auch noch seine Mutter, die für ihn wichtigste Bezugsperson in seinem Leben. Die Malerin brachte ihm früh die Freuden von Kunst und Kultur bei und ließ ihrem Sohn genug Raum, um sich auszuprobieren und zu entfalten. Man kann getrost sagen – die kompositorische Freiheit, die sich Patrick Wolf in seinen Songs genehmigt, sind ein direktes Resultat aus seinem zwanglosen Aufwachsen. 2018 kehrte Wolf wieder sanft ins Licht der Öffentlichkeit zurück, 2022 veröffentlichte er mit „Enter The Day“ seine erste Single nach einer ganzen Dekade und nach der EP „The Night Safari“ (2023) ging es im Frühling 2024 auf Tour. Wolf allein, mit Instrument und per Zug quer durch Europa – Zwischenstation Haus der Musik in Wien. „Es war meine erste Tour, die ich nüchtern und clean spielte, seit ich sehr jung war. Ich sehe meinen Job jetzt wieder als Abenteuer, habe zur Musik und zu mir zurückgefunden.“

Diese Rekalibrierung wurde von einem kleinen, aber treuen Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Der Weg zurück in ein erfülltes Leben ist für Wolf nicht abgeschlossen, sondern ein fortlaufender Prozess. „Beim Gesundwerden geht es stark darum, sich wieder mit all den Dingen zu verwurzeln, die das Leben vor den Suchtmitteln lebenswert gemacht haben. Lange Zeit war die Musik nur noch ein Job. Jetzt ist sie wieder viel mehr. Sie lässt mich die Welt sehen, mich wegtauchen und sie bringt mich wieder an Orte, an denen ich mich früher wohlfühlte. Mein selbstzerstörerisches Verhalten habe ich hoffentlich überwunden und wieder in Kreativität gegossen.“ Am 13. Juni erscheint mit „Crying The Neck“ tatsächlich das erste Studioalbum Wolfs mit neuen Songs seit 14 langen Jahren. Die ersten Single-Auskoppelungen „Dies Irae“, „Limbo“ oder „Jupiter“ lassen vermuten, dass Wolf zwar viele dunkle Kapitel seines Lebens abarbeitet, aber auch hörbar die Freude am Sound zurückgewonnen hat.

Bereit für das zweite Leben
Auf dem neuen Werk sind Gäste wie Zola Jesus und Serafina Steer zu hören, konzeptionell bezieht er sich auf die Schönheit der Natur in seiner englischen Heimatstadt Kent und wie sie ihn bei der Heilung geholfen hat. „Crying The Neck“ soll der Beginn eines vierteiligen Albumzyklus werden, mit dem Wolf sich wohl endgültig aus der Vergangenheit heraushäutet und den Übergang in eine friedvolle und kreative saftige Zukunft orientiert. „Ich habe in den knapp zehn Jahren meiner Abwesenheit nie ganz aufgehört zu schreiben. Es hat sich unheimlich viel Material aufgetürmt und vieles davon wird dann auch öffentlich zu hören sein. Vor allem aber habe ich heute keine Angst mehr davor, Patrick Wolf zu sein.“ Einen Hype als Indie-Darling wird Wolf in seinem „zweiten“ Leben nicht mehr spüren, aber die Geschichte des barocken Musikphönix, der aus der Asche emporgestiegen ist, wird - gepaart mit den starken neuen Nummern – reichen, um ihn wieder dauerhaft auf die musikalische Landkarte zu pinnen. „Erfolg bedeuten für mich heute Gesundheit und eine schöne Zeit.“ Hat gutgetan, die Rekalibrierung.

Live im Wiener Theater Akzent
Am 6. Juni stellt Patrick Wolf Songs seines noch nicht erschienenen neuen Albums „Crying The Neck“ und viele Klassiker von früher live im Wiener Theater Akzent vor. Unter www.ticketmaster.at gibt es noch Karten für das mit Sicherheit emotionale und mitreißende Konzertereignis.

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