Exotischer Kandidat

Tschechien: Zu 90% Tätowierter will Präsident werden

Ausland
28.11.2012 10:46
Vladimir Franz ist bildender Künstler und Komponist, er kann einen Jus-Doktortitel vorweisen - und ist an 90 Prozent seines Körpers tätowiert. Das hält den 53-Jährigen aber nicht davon ab, als Außenseiter zur Wahl des tschechischen Päsidenten, die im Jänner stattfindet, anzutreten. Der Entschluss folgte auf eine entsprechende Facebook-Initiative hin, doch nicht wenige Tschechen sind entsetzt.

Franz hat nach Angaben des Prager Nationaltheaters zu mehr als 120 Theaterstücken die szenische Musik geschrieben. Zudem lehrt er als Professor an der Prager Theaterhochschule DAMU. Das historische Haus liegt nur wenige Schritte von der Karlsbrücke entfernt. Im kleinen Seminarraum im dritten Stock ertönt die "Symphonie fantastique" des Franzosen Hector Berlioz. Begeistert schwingt Franz im Takt der Musik hin und her. Unermüdlich erörtert er Passagen der romantischen Komposition. Die jungen Leute machen sich fleißig Notizen. Nach knapp drei Stunden haben einige die Beine hochgelegt, andere blicken gebannt auf ihren Dozenten.

Erfolg Obamas als Vorbild
An einer Theaterakademie kann Exzentrizität ein Markenzeichen sein. Doch wären die Tschechen tolerant genug, sich von einem Mann in der Welt repräsentieren zu lassen, dessen Körper zu 90 Prozent tätowiert ist? "Wer hätte sich in den 1960er-Jahren in Alabama oder Mississippi träumen lassen, dass einmal ein Afroamerikaner Präsident wird?", kontert Franz. "Und was werden erst die Katholiken sagen, wenn das Konklave dereinst einen Südafrikaner oder einen Amazonas-Bewohner zum Papst wählt!"

Künstler fordert Toleranz - einige Bürger empört
Dann wird der Künstler grundsätzlich. Toleranz gelte allgemein als Voraussetzung für Demokratie und Freiheit. "Es ist mein Weg und mein Wille", sagt er über seine Tätowierung. "Die Rechte und Freiheiten anderer Menschen werden davon nicht berührt." Die Tschechen sehen seine Kandidatur mitunter anders: "Unser Land würde zum Gespött ganz Europas", meinte eine Pragerin. "Franz ist ein allseits respektierter Künstler, und dabei sollte es auch bleiben", postete ein Blogger.

Franz präsentiert seinen Gegenentwurf zum politischen Establishment. Das Staatsoberhaupt dürfe nicht vergessen, welche Sorgen die Menschen bedrücken. Statt den Staat zu verwalten, kümmerten sich viele Politiker lieber um ihr eigenes Auskommen. Das Land befinde sich in einer moralischen Krise.

Kein Verständnis für "Lausbub"-Attitüde
Wenig übrig hat Franz für Amtsinhaber Vaclav Klaus, einen scharfen Kritiker der europäischen Einigung und Verteidiger nationaler Interessen. "Wir sind Mitglied der Europäischen Union, und mit Deutschland verbindet uns eine mehr als tausendjährige Geschichte", sagt Franz. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum Tschechien sich nun "wie ein Lausbub in der Schule" verhalten solle.

Noch zeigt der Künstler wenig Verständnis für das Alltagsgeschäft des Staatsoberhaupts. "Der Präsident muss keine Ausstellungen von Babyschnullern eröffnen oder erklären, wie Gießkannen funktionieren", sagt Franz. "Dann glaubt er noch, dass ohne ihn der Kohl nicht wächst oder die Störche vergessen, die Kinder zu bringen."

Gespanntes Warten auf Fernsehdebatte
Die Tschechen werden am 11. und 12. Jänner erstmals direkt über ihren Präsidenten abstimmen. Die Entscheidung dürfte in einer Stichwahl fallen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Stem vom Oktober kam Franz nur auf knapp 4,5 Prozent der Stimmen. Nach dem Ausscheiden des in Tokio geborenen Unternehmers Tomio Okamura wegen formaler Fehler scheint ein Achtungserfolg aber nicht ausgeschlossen. Nach Ansicht von Beobachtern wird die Fernsehdebatte am Tag vor der Wahl entscheidend sein.

Franz will dabei sein, obwohl zeitgleich seine Opernadaption des Karel-Capek-Romans "Der Krieg mit den Molchen" an der Prager Staatsoper Premiere feiert. "Ich muss mich zwischen der Erfüllung eines persönlichen Traums und dem Dienst für den Bürger entscheiden", sagt er. Auf Nachfrage räumt Franz aber ein, dass die klar bessere Unterhaltung im Theater geboten werde.

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