Die mit Spannung erwartete Wiener-Festwochen-Produktion „Antigone m Amazonas“ des künftigen Intendanten Milo Rau konnte im Burgtheater nicht restlos überzeugen.
Der Andrang war enorm. Der designierte Festwochen-Intendant zu Gast am künftigen Dienstort Wien: Das war Attraktion genug, um das Burgtheater dreimal zu füllen. Und in der Tat gab es mehr zu sehen als den gewohnten Überschreibungsunfug, der Dramaturgengeschwätz etikettenschwindelnd mit Titeln der Weltliteratur beklebt.
Denn erstens greift der Schweizer Theatermann Milo Rau für sein Multimedia-Projekt „Antigone im Amazonas“ doch fundiert (wenn auch zu selten) auf Sophokles’ Texte zurück. Und zweitens ist er ein bildsicherer, kein Risiko scheuender Könner. Also legt er den Kern des griechischen „Antigone“-Motivs frei: den zivilen Ungehorsam gegen die Anordnungen einer schurkischen Staatsmacht. Auch unter Todesdrohung.
Rau und seine Truppe verfilmten dafür in Brasilien ein 1996 von der Polizei verübtes Massaker an 21 Landarbeitern, die gegen ihr Elend demonstriert hatten. Die dafür eingesetzten Akteure aus der indianischen Bevölkerung verkörpern filmisch auch Antigone, den Seher Teiresias und den antiken Chor. Diese Passagen gelingen am überzeugendsten. Mit dem Videomaterial interagieren die großteils europäischen Schauspieler (stark: Sara De Bosschere) auf der Bühne.
Das Resultat laboriert ein wenig am Ungleichgewicht der Kräfte: zu wenig Sophokles, zu viel Betroffenheitspädagogik. Aller Jammer der Welt wird hier in zwei Stunden gepackt, vom Kolonialverbrechen bis zu den Kalamitäten des Regenwaldes und der LGBT-Gemeinde. In seinem Pathos erinnert das bisweilen an ein Lagerfeuer-Teach-in europäischer Erntehelfer, die in Lateinamerika die Revolution stützen wollten, aber infolge mangelhafter Pflücktechnik die Kaffeepflanzen ruinierten. Dennoch: ein ehren- und sehenswerter, teilweise packender Abend.
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