Feiert 75. Geburtstag

Hans Theessink: „Gute Musik berührt die Seele“

Musik
05.04.2023 09:00

Bluesmusiker, Weltbürger, Wahl-Österreicher: Hans Theessink feiert am 5. April seinen 75. Geburtstag und ist seit jeher grenzüberschreitender Kulturbotschafter. Seine Vita mag mit Begriffen wie Straßenmusiker, Lehrer und Songwriter gefüllt sein, doch sein einzigartiger Klang wird getragen von einem positiv geprägten Stoizismus und der Liebe zu Rhythmen und Verbindungen. Ein Gespräch mit einem Großen seiner Zunft.

(Bild: kmm)

„Krone“: Hans, am 5. April feierst du deinen 75. Geburtstag. Wie stehst du solchen Feiertagen prinzipiell gegenüber?
Hans Theessink:
 Normalerweise würde ich gar nicht feiern, mir sind Geburtstage ziemlich egal. Wir haben aber mal rausgefunden, dass wir offiziell mit Konzerten feiern könnten und dazu musikalische Freunde einladen. Das machen wir seit den 60er-Jahren, und es hat sich wirklich gut bewährt. Die Leute reisen aus der ganzen Welt an und das ist eine schöne Sache. So kann man Geburtstage schon feiern.

Die Gästeliste bei deinen Geburtstagskonzerten ist immer sehr beeindruckend. Wen darf man sich heuer bei den zwei Auftritten am 14. und 15. April im Wiener Metropol erwarten?
Dana Gillespie, der US-Blues-Musiker Guy Davis, Chris Fillmore, Christian Totzler und meine eigene Band mit Musikern aus Simbabwe. Dazu sicher noch ein paar andere und ein paar Überraschungen. Ich will aber nichts versprechen. (lacht)

Fühlst du bei einem solchen Konzert, wo du auch noch extra gefeiert wirst, eine andere Form der Anspannung?
Der Blues ist eine gemeinsame Sprache. Ich spiele ihn jetzt seit mehr als 50 Jahren und kann mich längst über ihn verständigen. Man muss nicht immer reden, um sich zu verstehen.

Ist die Spontanität noch immer das Wichtigste in deiner Musik?
Auf jeden Fall, auch wenn man nicht einen ganzen Abend mit Spontanität füllen kann. Es gibt immer ein Grundskelett, von dem der Rest aufgebaut wird, doch es gibt auch viele freie Momente, in denen die Leute einfach musizieren. Man lädt andere dafür ein, damit sie brillieren können.

Der Blues dient der Musik an sich mehr als alle anderen Stile.
Die Musiker müssen sich gut zuhören können und keiner darf sich vordrängen. Nur dann ist eine fließende Spontanität möglich. Die Musik steht immer über dem Musiker.

Du spielst selbst seit jeher mit Menschen aus unterschiedlichsten Ländern und Kulturen. Ist der Blues noch viel mehr als bloße Musik? Stiftet er Frieden und verbindet er?
Musik im Generellen bringt die Menschen zusammen. In schlechten Zeiten werden die Leute durch Musik aus dem Alltag gerissen und sie bringt sie in eine bessere Stimmung. Der Blues wird immer als traurig bezeichnet, aber er hat die Leute schon immer aus Löchern gezogen. Ich kenne keinen traurigen Blues, er versprüht pure Lebenskraft.

Gibt dir der Blues die Möglichkeit, dich anders auszudrücken und zu vermitteln?
Ich bin ein sehr zurückhaltender Mensch. Ich rede wenig und bin auch bei Partys ein ganz guter Zuhörer, aber das ändert sich auf der Bühne. Dort bin ich jemand anderes als im täglichen Leben. Ich mag es nicht, zu telefonieren oder viel zu reden, aber auf der Bühne sprudelt alles aus mir raus.

Ein anderes Klischee ist, dass man als authentischer Blues-Musiker in seinem Leben stark gelitten und viele Schmerzen verspürt haben muss. Ist das bei dir der Fall?
Ich habe schon US-Blueser gesehen, die durch sehr schwere Zeiten gingen. Vor allem die Schwarzen, die unglaublich entbehrungsreich gelebt haben. Die Musik hat sie aber herausgezogen und neu aufgebaut. Solche Erlebnisse habe ich natürlich nicht, aber wir alle erfahren Gutes und Schlechtes. Ich kann mich aber niemals mit einem Sklaven in einem Baumwollfeld in Mississippi vergleichen. Ich bin zum Glück nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen und hatte ein sehr behütetes Leben.

Deine ganze musikalische Karriere begann einst als Straßenmusiker in deiner Heimat Niederlande.
Ich war extrem viel mit einem alten Freund per Interrail in Europa unterwegs. Wir fanden in Rom, Oslo oder Luxemburg immer ein schönes Mädel, bei dem wir übernachten durften. Es war eine unheimlich gute Lehrzeit, denn dort musste man die Leute musikalisch für sich gewinnen. Damals war ich ca. 18 Jahre alt. Es begann alles mit der Liebe zur Gitarre. Donovan, Joan Baez oder Bob Dylan haben die Akustikgitarre in den Mainstream getragen und das hat mich stark angesprochen. Im Radio Luxemburg habe ich das erste Mal Big Bill Broonzy gehört. Ich wusste damals noch nicht, dass das Blues ist, aber der Sound hat mir imponiert. Es war alles sehr intensiv und ich musste herausfinden, was das ist. Genau so wollte ich dann irgendwann auch spielen können. Als Kind habe ich fast Tag und Nacht Gitarre gespielt. Mein erstes Instrument war eine Mandoline von meinem Vater mit ca. neun. Dann kam die Gitarre und die habe ich autodidaktisch gelernt. Ich habe immer Platten gehört und wusste, welche Klänge mir gefallen. Heute hat man das Internet und kann mit drei Klicks alles finden. Damals war es unheimlich schwer, überhaupt eine Blues-Platte zu kaufen. Ich habe dann so gespielt, wie ich es als richtig empfunden habe.

War es wichtig, das Instrument nicht klassisch gelernt zu haben, um einen eigenen Stil zu finden und zu entwickeln?
Es gab damals auch niemanden, der das so gespielt hat. Von Unterricht ganz zu schweigen. Es gab weder Lehrer noch Bücher, die diesen Stil weitergegeben hätten. Man musste sich das selbst erarbeiten oder Freunde finden, die das genauso verfolgen.

Gab es eine bestimmte Platte von Big Bill Broonzy, der du völlig verfallen bist?
Nicht zwingend. Es kamen dann auch Künstler wie Mississippi John Hurt oder Leadbelly, aber mich hat die Musik generell ergriffen und nicht mehr losgelassen.

Ein anderer leidenschaftlicher Blues-Musiker aus Wien, Al Cook, ist in seiner Auffassung des Stils extrem streng und konservativ. Du siehst das doch etwas anders.
Ich bin schon breiter aufgestellt. Cookie war immer sehr streng, aber macht das, was er macht, extrem gut. In Holland hatte ich sehr früh einen deutschen Manager, der mich mit dem Auto abgeholt und zu Clubs geführt hat. Er hatte eine Platte von Cook mit und die hat mir sehr gut gefallen.

Wie wurdest du vom Straßenmusiker dann zu einem professionellen Musiker?
Das hat sich einfach so ergeben. Ich kam in Deutschland zu Clubs und kam darauf, dass man damit auch Geld verdienen kann. Ich wollte nur spielen, weil mir die Musik gefiel. Auf der Straße merkte ich, dass man gar kein Geld mitnehmen muss, weil man auch etwas verdient.

Hattest du jemals einen Lebensweg im Kopf, der nicht direkt mit Musik zu tun hatte?
Meine Eltern wollten, dass ich etwas Vernünftiges mache, also machte ich eine Lehrerausbildung. Ich habe dann in Dänemark in einer Schule von 7 bis 17 unterrichtet. Ich habe das ca. sieben Jahre lang gemacht und es war viel Musik dabei. Meine erste Tournee in Österreich war 1979, da habe ich meine Frau Milica kennengelernt. Sie hatte damals als Agentur schon Bands gebucht. Ich hatte einen anderen Agenten, der Drucksachen nicht von der Post abholte und so kam ich zu ihr - wir hatten gemeinsame Freunde. Mein Freund Les Brown spielte damals im Copacabana, heute das U4, und so trafen wir uns 1979. Ich bin eine Zeit lang noch hin- und hergependelt, aber 1983 haben wir geheiratet. Als Musiker ist es ohnehin egal, wo du wohnst, weil du dauernd reisen musst. Also konnte ich genauso nach Österreich ziehen.

Werden Musik, Kunst und Kultur in den Niederlanden anders behandelt als in Österreich?
Nein, das ist überall ziemlich ähnlich. In den USA hat man nicht so viel Respekt für Musik wie in Europa. Hier wird Musik als etwas Spezielles zelebriert. Du kommst als Künstler nicht nur bei der Hintertür rein und unterhältst die Leute, sondern du bist etwas. In Amerika ist man ein Entertainer und sonst absolut gar nichts. Ich spielte viel auf Liebhaberfestivals und das ist dann auch in den USA wieder ganz was anderes.

Dafür hat der Blues an sich in den USA doch einen anderen, höheren Stellenwert als in Europa.
Ja, aber früher wurden dort wunderbare Musiker gar nicht wahrgenommen, weil der Respekt für tolle Musiker gar nicht so da war. Das wird vielfach stark verklärt.

In Wien gab es Anfang der 80er-Jahre kulturell auch viel weniger Möglichkeiten, um als Musiker auf sich aufmerksam zu machen.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Wien früher unheimlich grau war und stellte es mir größer und bunter vor, als es tatsächlich war. Ich spielte im Jazzland, in Waidhofen an der Thaya und an der Uni in Klagenfurt, alles 1979. In Wien gab es wirklich wenige Möglichkeiten, um aufzutreten. 1982 hat das Metropol eröffnet, wo ich auch spielte, und dann kamen nach und nach die Clubs aus dem Boden heraus gesprossen. Im Jazzland spiele ich schon seit 1979 jährlich und eröffne es mit ein paar Konzerten Anfang Jänner. Wien sieht jetzt schon ganz anders aus als vor 40 Jahren. Es gibt auch sehr viele gute Musiker, die ihren Weg gehen.

Was benötigst du alles, um dich wirklich wo zu Hause zu fühlen?
Da wo die Musik ist, dort fühle ich mich wohl. Ich kenne mich in London genauso gut aus wie in Wien, Oslo oder Barcelona. Die Geografie ist mir eigentlich egal. Unterwegs zu sein, wird im Alter leider immer etwas schwieriger. Wenn man sechs Stunden reist, um zwei Stunden auf der Bühne zu stehen, wird das zunehmend härter. Man muss aber unterwegs sein, denn anders geht es nicht. Du kannst nicht jeden Tag am selben Ort spielen, außer du bist Dolly Parton und hast deinen eigenen Club. Oder eine Residenz-Veranstaltung in Las Vegas, wo die Leute zu dir kommen. (lacht)

Haben die linken und friedliebenden Ideale eines Musikers versagt, wenn man sich so ansieht, wo die Welt im Allgemeinen gerade steht?
Der Musik kann man die Lage nicht zuschreiben, aber man ist natürlich enttäuscht darüber, wie die Dinge in der Welt laufen. Ende der 60er-Jahre dachten wir, alles wäre besser geworden und das bleibt für immer so. Irgendwie begann alles zu kippen, Kriege entstanden und rechte Polemiker bekamen Oberhand. Es ist unglaublich, dass es überhaupt so weit kam. Als Musiker kann ich nur versuchen, vor einem kleinen Publikum entgegenzuwirken und eine gute Stimmung zu verbreiten.

Als du in den 60er- und 70er-Jahren aufgewachsen bist, ging es nur um Freiheit und Offenheit, Toleranz und Respekt. Hättest du damit gerechnet, dass dieser Gedanke jemals eine Wendung erfahren würde?
Absolut nicht. Es war alles offen und frei und man hatte unendlich viele Möglichkeiten, konnte in alle Richtungen gehen. Wir dachten alle, dass es immer so weitergehen würde. Der Begriff „Political Correctness“ ist ein Hirntöter. Du kannst kaum noch etwas sagen, ohne dass es dir irgendwelche Oberklugen verbieten wollen. Das ist total übertrieben, denn damit werden Mauern gebaut und Felder eingegrenzt.

Die Linke stand immer für Freiheit und Offenheit, ist mittlerweile aber auch federführend, wenn es um eine gewisse Art von Eingrenzung geht - längst nicht nur mehr die Rechte. Kommt das für dich überraschend?
Es ist schwer zu begreifen, aber man muss heute sehr aufpassen, was man sagt, um sich nicht zu weit in diese Welt hineinzureiten. Beim Liederschreiben denke ich aber nicht darüber nach, was ich sage oder nicht. Kurz bevor die Kriege im Kosovo losgingen, spielte ich in einem Uni-Lokal in Pristina - mitten im Winter. Sie haben nicht geheizt und alle standen mit dicken Mänteln da. Eine lokale Band bestand aus Serben und Albanern und einer von denen wurde gerade ermordet, das war unheimlich furchtbar. Das muss so 1992 gewesen sein. Nach diesem Erlebnis musste ich die Gedanken schon in Liedern verarbeiten. Für die Menschen dort unten geht es anders zu, ich konnte ja wieder nach Hause fahren.

Hans Theessink im Gespräch mit „Krone“-Redakteur Robert Fröwein in seiner Wohnung in Wien-Ottakring. (Bild: Robert Fröwein)
Hans Theessink im Gespräch mit „Krone“-Redakteur Robert Fröwein in seiner Wohnung in Wien-Ottakring.

Wie unterscheidet sich denn die Blues-Kultur in den USA zu jener in Europa, nachdem du beide Welten gut kennst?
In Amerika ist der Blues in der Volkskultur verankert, dafür erfährt man in Europa mehr Wertschätzung. Das haben auch die großen schwarzen Blues-Künstler immer wieder gesagt. Mit der Zeit hat sich das zum Glück geändert, ein Buddy Guy ist jetzt auch in Amerika ein Superstar. Für diese Kultur war es in Europa aber immer leichter.

Amerika ist trotzdem die Wiege des Blues, er wird dort ganz anders gelebt und umgesetzt. Hast du nie daran gedacht, in die USA zu übersiedeln?
Ich war immer viel unterwegs und meine ersten Platten erschienen auf einem Label in Chicago. Ich spielte bei den großen Blues-Festivals in New Orleans und Chicago, fühlte mich aber immer zu sehr als Europäer, als dass ich dort fix wohn wollte.

Hast du den Anspruch, jüngere Menschen zu deinen Konzerten zu bewegen?
Ich spielte Anfang Jänner fünf Tage im Jazzland und da waren auch sehr viele junge Menschen dabei. Junge Leute haben auch gerne Emotionen und Musik, die man greifen kann und richtig fühlt. Ich sitze da, spiele Gitarre und nichts ist versteckt oder technisch aufgepimpt. Das fasziniert Leute noch immer und es berührt in gewisser Weise auch die Seele. Ich will, dass die Leute mitsingen und mitklatschen - möchte eine Einheit schaffen.

Suchen jüngere Menschen vielleicht bewusst nach echter und handgemachter Musik, weil das Leben ansonsten sehr stark von digitalen Realitäten und geschönten Filtern bestimmt ist?
Ich weiß nicht, ob sie das wirklich suchen, aber wenn sie das Gefühl erleben, dann tut es ihnen sicher gut. Es gibt noch immer viele junge Burschen und Mädels, die selbst Gitarre spielen und total in hohe Wolken fliegen, wenn sie merken, was man alles aus dem Instrument rausholen kann. Junge Leute haben es heute schwer, denn Blues ist im Radio nicht vorhanden. Woher kriegt man also den Zugang? Wir haben die Künstler damals gehört, teilweise sogar im Mainstream. Heute wissen viele gar nicht, dass es diese Art von Musik überhaupt gibt. Ich kann diese Leute nicht zum Club bringen, aber wenn sie da sind, dann sollen sie mit einem sehr guten Gefühl hinausgehen und wiederkommen. Das ist meine Aufgabe.

Du bist im Großen und Ganzen der Akustikgitarre immer treu geblieben und hast nicht den Wandel eines Bob Dylan vollzogen.
Ich habe schon auch E-Gitarren gespielt, aber das Hauptinstrument ist natürlich die akustische. Bei Plattenaufnahmen habe ich gewechselt, doch auch wenn ich E-Gitarren verwende, ist der Sound sehr akustisch und pur. Harten Rock habe ich nie gemacht.

Ist Wien eine gute Stadt für den Blues?
Wenn du die Zeitung aufschlägst, findest du bei den Aviso-Seiten jeden Abend Bluesmusiker, die irgendwo spielen und es gibt auch ein Publikum, das stark daran interessiert ist.

Würdest du dich als Teamplayer bezeichnen?
Ich bin gerne Solist, aber sobald ich mich mit anderen Leuten umgebe, bin ich absoluter Teamplayer. In der Musik ist es sehr wichtig, dass jeder seine Stimme einsetzen kann. Man muss immer auf Augenhöhe arbeiten und jeder muss glücklich sein. Wenn man nur befehligt, wird niemand froh. Jeder muss das spielen, was er fühlt.

Du hast von Ernst Molden bis hin zu Michael Köhlmeier mit unheimlich vielen starken Persönlichkeiten zusammengearbeitet. Was muss passieren, damit es zwischen dir und jemand anderem künstlerisch funkt?
Wenn du auf Leute triffst, die ihre Profession mit Herz und Seele machen, funkt es immer. Es kann ein bisschen danebengehen, aber das passiert nur, wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnt. (lacht) Wenn Menschen beseelt sind, dann kombiniert das immer.

Haben sich die Inspirationsquellen für die Musik bei dir über die Jahre verändert?
Das Leben und die Liebe waren immer am wichtigsten. Aber auch negative Themen wie Kriege oder Umweltzerstörung - all das fließt in meine Texte ein. Musikalisch hat sich über die Jahre nicht viel geändert. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Leuten bekommt man immer neue Zugänge.

Gelingt es dir noch immer, dich mit neuen Kompositionen selbst zu überraschen?
Auch wenn ich solo spiele, denke ich mir oft, dass hier etwas ganz Neues und Ungeplantes passiert. (lacht) Wenn man sich denkt, dass etwas jetzt gar nicht so schlecht war, ist man auf einem guten Weg. Man muss immer etwas wagen und darf nicht an festen Systemen festhalten. Man muss immer wieder mal losfliegen, ohne genau zu wissen, wo man landet.

Gerade das Leben rückte während der Pandemie stark in den Hintergrund. War das schwierig für deine Kreativität?
Ich bin schon ein älterer Herr und schon lange unterwegs - es war ein erzwungener Urlaub. Mir hat es sehr gefallen, denn ich konnte viele alte Sachen durchforsten. Es war in dem Sinne keine schlechte Zeit, aber für jüngere war es eine Katastrophe. Die stehen am Anfang ihrer Karriere und es ging ums nackte Überleben, weil sie nicht mehr wussten, wie sie die Miete zahlen sollen. Ich sah die Pandemie auch als Geschenk, bei der man sich auf was anderes konzentrieren kann. Meine Frau Milica und ich gingen viel im Wienerwald spazieren und pflückten Bärlauch. (lacht) Für den Weitblick war es keine schlechte Zeit.

Als leidenschaftlicher Gitarrensammler - wie viele besitzt du denn insgesamt?
Sehr viele, mindestens 100. In den 80er- und 90er-Jahren war ich viel in den USA unterwegs und da habe ich mich in den Shops stark eingedeckt. Damals waren sie noch viel günstiger und ich habe oft zugeschlagen. Viele Gitarren haben nicht viel Wert, aber dafür einen eigenen Sound. Das war mir sehr wichtig. Ich habe auch eine Menge Mandolinen und Banjos. Ich habe ein eigenes Gitarrenlager und einige in meiner Wiener Wohnung.

Wie viele von diesen Gitarren spielst du denn zumindest halbwegs regelmäßig?
Wenn ich ein Konzert habe, wo ich fahre, habe ich vier verschieden gestimmte Gitarren dabei. Zwei Sechssaitige, eine Zwölfsaitige und eine Dobro-National-Steel-Gitarre. Wenn ich fliege, kann ich natürlich nur eine Gitarre mitnehmen. Ich habe auf Tour meistens dieselben Gitarren mit, die gut funktionieren.

Was ist denn deine absolute Lieblingsgitarre?
Eigentlich sind es viele. (lacht) Von der Bauart habe ich eine schöne Martin und eine schöne Gibson, die ich gerne verwende. Meine Zwölfsaitige ist von einem Amerikaner handgebaut für mich. Eine sehr alte Dobro-Gitarre aus den 30er-Jahren spiele ich auch gerne. Bei vielen ist es mir zu delikat, sie auf Konzertreisen mitzuschleppen. Ich greife aber alle meine Gitarren an und bin da nicht voller Ehrfurcht erstart. Georg Danzer hat mir einst eine Zwölfsaitige geschenkt, weil er wusste, ich spiele sie sehr gerne. Sie hat natürlich eine ganz spezielle Bedeutung für mich. Ich habe ein paar Mal bei Danzer-Konzerten mitgemacht und verwende dort Georgs Gitarre. Ansonsten lasse ich sie lieber zu Hause.

Hast du Berührungspunkte mit der aktuellen Pop- und Rockmusik in Österreich?
Eigentlich sehr wenige. Ich bin viel mit Ernst Molden unterwegs, aber mit der Rock- und Popschiene habe ich wirklich wenig Berührung. Ich gehe nicht zu deren Konzerten und die kommen auch nicht zu meinen. (lacht)

Gab es ein Erlebnis oder einen besonderen Auftritt, der für dich nahe an der Perfektion war?
Eigentlich ist das sogar der Normalzustand. Im Großen und Ganzen bin ich immer froh, wie ein Konzert gelaufen ist und geklungen hat. Wenn man mit Leib und Seele musiziert, gelingt das fast immer. Natürlich gibt es Tage, wo alles ein bisschen mühsamer ist und man nicht ganz zufrieden ist, aber dann sind die Leute total happy und begeistert und das gibt wieder einen neuen Blick darauf. Ich hatte auch nie eine Phase, wo ich überspielt war oder mich die Musik nervte. Wenn ich eine Gitarre angreife und ein bisschen herumklimpere, verspüre ich immer Freude. Ich bin unheimlich glücklich, dass ich den Weg der Musik gewählt habe.

Du hast auf diesem Weg prinzipiell wenige Sicherheiten, dafür aber viele Freiheiten.
Aber die Musik gibt mir immer was. Ich könnte mir nicht vorstellen, einen klassischen 9-to-5-Job auszuüben. Wir machen strenggenommen auch oft dasselbe, aber man trifft dann wieder auf Leute, die man zwei Jahre nicht mehr gesehen hat. Es entsteht daraus eine Art globale Familie. Egal, wo ich auf der Welt hinfahre, ich kenne überall drei, vier Leute, die für einen da sind. Ich war bislang noch nie in China, aber sonst bin ich ziemlich gut herumgekommen. Ich war in Neuseeland, Australien, Kanada, Indien und in ganz Europa. Es ist unglaublich, wo man auf der Welt die Menschen berühren kann. Das wundert mich sehr. Im Jazzland hatten wir Fans, die aus Prag und Budapest angereist sind. Das beseelt mich sehr.

Diese Energie des Publikums wird dann wohl ziemlich direkt auf dich übergehen.
Die Energie hat eine große Wechselwirkung - sie geht hin und her und ist immer im Fließen. Das ist eine ganz spezielle Sache. Am meisten stolz bin ich darauf, dass ich meinen Lebensunterhalt immer mit meiner Musik bestreiten konnte. Das ist schon wirklich sehr viel wert. Ich war auch immer sehr zufrieden mit meinen Platten. Nach 20 Jahren würde man gewisse Dinge vielleicht ein bisschen anders angehen, aber im Großen und Ganzen war ich immer zufrieden. Ich habe oft mit Bo Diddley, Terry Evans gespielt oder anderen großartigen Musikern gespielt und das war jedes Mal ein großes Erlebnis. Die meisten davon bewundere ich sehr.

Hast du noch große Ziele und Wünsche?
Ich bin absolut offen für alle Sachen, die noch passieren. Es öffnen sich immer wieder unerwartete Türen. 2011 habe ich einen „Jedermann“-Remix für den ORF gemacht. Ich habe plötzlich Rolling-Stones-Songs gecovert, da hätte ich mich ansonsten gar nicht drüber getraut. Man muss sich auf Dinge einlassen und für alles offen bleiben. Herausforderungen sind wichtig. Dinge zu machen, die man selbst nicht erfunden hätte, aber die einem jemand anders zutraut oder darbietet.

Spielst du noch immer jeden Tag Gitarre?
Irgendwo steht immer eine herum und ich greife sie schon jeden Tag an. Vielleicht nicht immer sehr lange, aber ein paar Akkorde zupfen geht eigentlich immer.

Was passiert denn 2023 abseits deiner Metropol-Geburtstagskonzerte sonst noch so alles?
Durch Corona kamen wir nicht zu vielen Konzerten, deshalb bin ich heuer viel mit Big Daddy Wilson und einem dänischen Kollegen unterwegs. Es gibt auch einige Festivals, aber eine neue Platte steht noch nicht am Plan. Durch Molden kam ich zum Wiener Dialekt, was für mich gar nicht einfach war. Ich bin auf jeden Fall offen für Ideen und werde mich weiterhin ausprobieren.

Theessinks Live-Konzerte
Am 14. und 15. April findet Hans Theessinks „Birthday Bash“ im Wiener Metropol statt - mit unzähligen Gästen, die mit dem Jubilar spielen und ihm gratulieren. Beide Konzerte sind bereits restlos ausverkauft. Am 19. Mai spielt Theessink mit seinen „Blues Buddies“ im Wiener Reigen, am 25. Juli mit Ernst Molden im Theater im Park. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und weitere Infos dazu. Unter www.theessink.com finden sie alle weiteren Termine und Möglichkeiten, Konzertkarten dafür zu erwerben. 

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