Ein gutes halbes Jahr nach ihrem letzten Album legen die schottischen Indie-Popper Belle And Sebastian quasi ohne Vorankündigung das nächste nach. „Late Developers“ sprüht über vor Spaß und guter Laune und zeigt eine etablierte Band in absoluter Zufriedenheit mit sich und seiner Situation.
Langsam, aber sicher kennt der geneigte Popmusikfan alle Schmähs, mit denen Künstler seit dem Aufkommen der Streaming-Ära gerne aufwarten. Zum Beispiel ohne Ankündigung über Nacht neue Alben zu veröffentlichen, wie es, repräsentiert von z. B. Eminem, Frank Ocean oder Beyoncé, vor allem im Hip-Hop längst zum guten Ton gehört. Oder einfach so fleißig der Kreativität frönen, dass man eigentlich ein Doppelalbum machen könnte, das Material dann aber lieber auf zwei Einzelwerke aufteilt - lohnt sich im Marketing und auch finanziell wesentlich besser, als gleich alles auf einmal in die Gehörgänge der dürstenden Fans zu werfen. Schlag nach bei den Red Hot Chili Peppers. Gleich eine Mischung aus diesen beiden Trends zu veranstalten, das obliegt den unermüdlichen Indie-Poppern von Belle And Sebastian, die ihr neuestes Werk „Late Developers“ erst vor einer knappen Woche angekündigt haben und ein gutes halbes Jahr nach dem gelungenen „A Bit Of Previous“ nachschießen.
Danke, liebes Virus
Fairerweise muss aber gesagt werden, dass die Schotten rund um Mastermind Stuart Murdoch nur so vor Kreativität übersprossen und relativ früh im Schreib- und Verarbeitungsprozess wussten, dass sich all das nicht mit einem einzigen Lebenszeichen ausgehen wird. Das ist auch insofern beeindruckend, als dass man vor dem Doppelschlag - diverse Soundtracks und Liveexzerpte ausgekoppelt - ganze sieben Jahre lang auf neue Songs warten ließ. Während anderen Künstlern zu Zeiten der Pandemie der Motivationsstachel gezogen wurde, funktionierte das familiäre Septett wie aufgezogen. Ursprünglich wollte man vom verregneten Glasgow ins sonnendurchflutete Los Angeles, um neue Musik mit dem sechsfachen Grammy-Gewinner Shawn Everett aufzunehmen, der sich seine Meriten für The War On Drugs oder Kacey Musgraves schon redlich verdient hat. Aus Virusgründen blieb dann doch nur der heimelige Proberaum ohne Star-Produzenten, doch gerade das sollte dem Songwriting der Rasselbande die nötigen Flügel verleihen.
Was bei Genuss beider Platten als Erstes im Ohr hängenbleibt, ist die ungezwungene Fröhlichkeit, die sich als klangliches Narrativ durch ein Gros der Songs zieht. Wer sich vor allem an den drei unsterblichen 90er-Alben von Belle And Sebastian labt, der wird sich mit der Neuausrichtung der Mittfünfziger ein bisschen schwertun. Mit „Tigermilk“ (1996), „If You’re Feeling Sinister“ (1996) und „The Boy With The Arab Strap“ (1998) wuchs die Band zu späten Indie-Darlings auf, die die Seele des Brit-Pop aus dem Überkommerz der Oasis- und Blur-Jahre zurück in einen folkloristisch-alternativen Kontext holten. Damit wuchsen Belle And Sebastian über die Jahre zu Stammgästen von geschmackvollen kuratierten Festivals und konnten sich trotz leichten Hype-Anflügen, guten Kritiken und erfolgreichen Tourneen immer dem Mainstream entziehen, was gleichbedeutend mit dem Hochhalten der kreativen Freiheit war.
Zäsur beim Sound
Belle And Sebastian verhinderten stets, sich dem Vorwurf der Omnipräsenz aussetzen zu müssen, legendär war auch die jahrelange Interviewsperre, die der altersmilde Murdoch mit den Jahren genauso gelockert hat, wie das stringente Indie-Songwriting. Die lichten Momente im Sound sind zwar beileibe keine Revolution in der Band, dass mit dem sehr gelungenen „When The Cynics Stare Back From The Wall“ aber nur mehr eine düstere Nummer übriggeblieben ist, ist schon als kleine Zäsur zu sehen. Und selbst dieser Song hat seinen Ursprung im Jahr 1994 und wurde von Murdoch in der Pandemie aus dem verstauben Kellerlager geholt, dafür überzeugen die Guest-Vocals von Tracyanne Campbell, die Indie-Gourmets freilich noch sehr gut von Camera Obscura in Erinnerung haben.
Eine gute Freundin/Musikerkollegin hatte Murdoch erzählt, dass sie Belle-And-Sebastian-Songs aus dem Zimmer ihrer Teenager-Tochter hörte, was dem Songwriter der Schotten einen ordentlichen Boost verpasste, wie er dem „NME“ im Interview erzählte. „Wir sind so lange im Geschäft, dass du langsam realisierst, deine Fans sind zu alt, um jedes Mal aufs Neue zu einer Show zu kommen. Aber dann kommst du plötzlich drauf, dass auch jüngere Menschen deine Musik hören, was einfach nur toll ist.“ Das erklärt die ungemeine und ungefilterte Spielfreude, die Songs wie „Give A Little Time“, „When We Were Very Young“ oder „The Evening Star“ durchziehen. Auch wenn man es punktuell fast zu gut meint. Die Single-Auskoppelung „I Don’t Know What You See In Me“ gräbt sich zwar erfolgreich in die Gehörgänge, die seichte Pet-Shop-Boys-Schlagseite ist dann aber selbst für die fröhlichen Indie-Hippies aus den Highlands eine leichte Spur zu viel.
Endlich so richtig austoben
Textlich erweist sich Murdoch einmal mehr als profunder Beobachter und feinfühliger Lebemann, der es bravourös versteht, all diese Erlebnisse und Emotionen in nachvollziehbare, aber niemals platte Texte zu gießen, die das angenehm sommerliche Feeling der Musik akkurat unterstützen. „Die zweite LP ist die Spaß-LP“, erzählte Murdoch dem „NME“ weiter, „auf dem ersten Album versuchst du etwas zu formen, das ein bisschen besser zusammenpasst. Ein zusammenhängendes Narrativ oder perfekt austarierte Stimmspuren. Beim zweiten Album kannst du dich viel breiter austoben und achtest nicht mehr so auf die Details.“ So mäandert „Late Developers“ zwischen Synthie-Pop, Beatles-Zitaten und leicht angekratzter Psychedelic-Pop-Schlagseite und ironisiert sich mit dem auf dem Albumcover eingebauten Cover von „A Bit Of Previous“ geschickt selbst. Spaß allerorts und dazu eine musikalische Zeitreise zurück in die seligen 90er-Jahre. Da scheint auch im trüben Schottland die Sonne gleißend hell.
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