Im Sommer in Wien

Iggy Pop: Lebende Legende zwischen Prunk und Punk

Wien
04.01.2023 06:01

Mit 75 Jahren will es Lederhaut Iggy Pop noch einmal wissen - sein 19. Studioalbum „Every Loser“ ist eine Rückbesinnung auf seine alten Punk-Tage, vereint mit Grunge- und Alternative-Rock-Zitaten aber auch die Moderne im Gesamtsound. Produzent Andrew Watt hat ihm ein famoses Alterswerk auf den nackten Leib produziert. Am 14. Juli ist Iggy in Wien zu sehen.

Vor gerade einmal einem Quartal beehrte Punk-Urvater Iggy Pop die ehrwürdigen Gemäuer des Wiener Konzerthauses und ließ mit einer fulminanten Show den Stuck erbeben. Punk-Kracher von den Stooges und schmucke Ausflüge in seine ebenso erfolgreiche Solokarriere inklusive. Möglichst schnell, laut und kompromisslos. Dieses Mantra hat er sich für sein neues, bereits 19. Studioalbum mitgenommen. Nach Jahren mit Ausflügen in den Jazz, zunehmender Lounge-Atmosphäre, James-Bond-Ehrerbietungen oder Freundschaftsdiensten („Post Pop Depression“ mit QOTSA-Chef Josh Homme) hat das „Reptil“, wie er sich rund um seinen 60er schon selbst nannte, wieder richtig Lust auf Lärm. Ob es an der grausamen Weltlage oder an seinem heute sehr gediegenen Lebensstil liegen mag, man weiß es nicht. Seien wir aber froh, dass good old Iggy wieder zu seiner Kernkompetenz zurückgefunden hat.

Wichtiger Baustein
Natürlich darf man „Every Loser“, das erste große Highlight eines sehr verheißungsvollen Musikjahres, nicht mit den 70er Gassenhauern „The Idiot“ oder „Lust For Life“ in Relation setzen. Mit welcher Freude, Leichtigkeit und Nonchalance Iggy aber den Altpunk gibt, ist beeindruckend. Ein nicht unwichtiger Baustein dieses zweiten (oder gar dritten) Frühlings ist Produzent und Songwriter Andrew Watt, der in den letzten Jahren Musik von so unterschiedlichen Künstlern wie Justin Bieber, Ed Sheeran, Lana Del Rey oder Eddie Vedder richtig in Szene gesetzt hat. Vor allem aber zeichnete er auch verantwortlich für das aktuelle (und wohl letzte) Werk von Ozzy Osbourne, „Patient Number 9“. Die Parallelen in der Arbeit zwischen Ozzy und Iggy sind in mehrfacher Hinsicht nicht von der Hand zu weisen.

Dort wie da setzte Watt auf eine illustre Gästeliste, dort wie da ging er mit einer deutlich hörbaren Fanbrille ans Werk, dort wie da ging es dem 32-Jährigen vorwiegend darum, die wahre Essenz seiner Heroen herauszukratzen. Bei Iggy ist das nun einmal der rotzige Proto-Punk vermischt mit einer frechen Schnauze. Das nimmt man dem lederhäutigen Derwisch glücklicherweise noch immer ab, auch wenn er mit Ehefrau Nina Alu seit Jahren gediegen auf einem Privatstrand im sommerlichen Coconut Grove bei Miami lebt, die Barfuß-Attitüde gegen Gucci-Slipper eingetauscht hat und sich in der Freizeit liebend gerne in seinem protzigen Rolls Royce durch die floridianische Sonne kutschieren lässt. Prunk und Punk sind bei Iggy kein Widerspruch und im Gegensatz zu vielen anderen kommt er mit diesem ungewöhnlichen Chamäleon-Verhalten in seinen Fankreisen locker durch.

Stooges-Schlagseite
„Every Loser“ soll schon im Titel die Brücke zu den ärmlichen, drogenumnebelten Frühtagen der Kunstperson Iggy Pop schlagen und legt das im musikalischen Bereich weiter. Das eröffnende „Frenzy“ hat als erste Single-Auskoppelung bereits im November mit einer starken Stooges-Schlagseite überrascht. Direkt darauf folgt das Anti-Drogen-Manifest „Strung Out Johnny“, auf dem Produzent Watt den flotten Iggy geschickt aufs New-Wave-Parkett lenkt. Überraschungen herrschen in Form von zwei gut eingewobenen Spoken-Word-Einlagen oder beim nur mehr etwas mehr als zweiminütigen Pogo-Manifest „Neo Punk“, das in seiner energetischen Intensität auch von einem 30-Jährigen hätte eingespielt sein können. Getrommelt hat auf dem Track übrigens Blink-182-Schlagwerker Travis Barker, der derzeit wohl bunteste Hund im US-Rockgeschäft.

Die zuvor angesprochene Gästeliste beinhaltet alles, was der Ami-Rock-Fan mag. RHCP-Drummer Chad Smith, deren ex-Gitarrist Josh Klinghoffer, Duff McKagan, Pearl Jams Stone Gossard oder Jane’s-Addiction-Legende Dave Navarro geben sich im Laufe des kurzen Treibens ein ganz und gar nicht demütiges Stelldichein. Textlich schrammt Iggy geschickt an jeglichen Boomer-Vorwürfen vorbei und zeigt sich als durchaus aufmerksamer Alltagsbeobachter und Chronist der bittersüßen Realität. „New Atlantis“ ist ein Klima-Statement, das sich auf das drohende Versinken seiner Heimatstadt Miami bezieht und auf dem ironisch-doppelbödigen „Comments“ macht er sich über die gesellschaftliche Nutzlosigkeit der hintergrundlosen Influencer-Hypes lustig. Im abschließenden „The Regency“ fordert er vehement skandierend den Niedergang der titelgebenden Regentschaft. Geschickt konterkarieren dabei eingängige Pop-Zitate den inhaltlichen Sermon.

Bald live in Wien
Alles in allem ist „Every Loser“ ein unpeinliches Alterswerk einer lebenden Legende, das sich weder in seinen Punk-, Grunge- oder Alternative-Zitaten verhebt, noch den ach so gerne oberkörperfreien Hauptprotagonisten auf der Peinlichkeits-Slackline tänzeln lässt. Iggys Stimmvolumen ist bissig und voll wie in den Glanzzeiten, die Gäste tun ihr Möglichstes, um ihrem Idol gerecht zu werden und Watt versteht es geschickt, die Stärken und historisch gewachsenen Vorteile von James Newell Osterberg so in Szene zu setzen, dass man weder von Ausverkauf, noch von Abgesang reden muss. Man darf gespannt sein, wie die neuen Songs live funktionieren. Den einen oder anderen hat Iggy möglicherweise am 14. Juli im Gepäck, wenn er für die Red Hot Chili Peppers im Wiener Happel-Stadion eröffnet. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und weitere Infos für das Rock-Highlight im kommenden Sommer.

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