Schneider-Serie

Der Löwe legt sich schlafen

Vorarlberg
17.07.2022 11:25

In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. In Lech traf er jüngst den Seilbahnpapst Michael Manhart.

Über ihn ist viel geschrieben worden, sein Name stand in nationalen und internationalen Magazinen. Keine Persönlichkeit hat den Skitourismus im Arlberggebiet so maßgeblich geprägt wie er. Er hat mit seiner Erfindung, dem Arlberg Jet, die Winterolympiade im kanadischen Calgary exklusiv beschneit. Sein Lebenswerk bestand darin, Frau Holle ein Schnippchen zu schlagen. Wir schneien. Der Himmel hat da nichts zu kamellen. Wir bestimmen, wann der Winter anfängt und wann er wieder aufhört. Das hat dem Pionier der Beschneiungsanlagen den Wind rau um die Ohren pfeifen lassen, besonders seitens des Umwelt- und Naturschutzes, worauf er selbst grün wurde vor Wut und sich mit enormem Einsatz für die Hochlagen-Renaturierung der Skigebiete einbrachte.

Er gab pflanzensoziologische Gutachten renommierter Universitäten in Auftrag. Heute ist es amtlich: Flora und Fauna nehmen durch eine frühzeitige Beschneiung keinen Schaden. Eine gleichmäßige Schneebedeckung bedeutet sogar Schutz für die Wiesen. „Es ist halt ein sauteurer Spaß“, sagt er, und er wisse nicht, was im kommenden Winter sein werde in Anbetracht der Energieungewissheit. „Die Nerven liegen blank in Lech. Zum ersten Mal konnten wir die Skipasspreise für die kommende Saison nicht bekannt geben. Kann sein, dass einige Anlagen nur eingeschränkt laufen werden.“ Sagt es, der Don Corleone der Seilbahner, und zündet sich eine Virgina an. „Du musst die Amaryllis fotografieren, nicht mich“, grummelt er den Fotografen an. „Heute am Morgen ist die dritte Blüte aufgegangen.“

Generös, gewieft und sehr hartnäckig
Hinter der bärbeißigen Art des Michael Manhart wohnt eine verletzliche Seele und eine generöse Persönlichkeit, aber auch ein gewiefter Geschäftsmann, der vierzig Jahre hartnäckig warten kann, bis er mit einem Vorhaben ans Ziel kommt. „Ungeduldig bin ich nur in den kleinen Dingen.“ Viele haben sich schon in ihm getäuscht und geglaubt, den „Michi“, wie sie ihn anbiedernd nennen, verzwecken zu können. Er hat sie in dem Glauben gelassen, sich das Seine gedacht. Auch mit achtzig Jahren ist er hellwach, analysiert und denkt blitzschnell.

„Ich sollte einfach mehr gehen“, murmelt er, der ein leidenschaftlicher Sportler war und einer der ersten Deltaflieger in Vorarlberg überhaupt. Manhart nimmt seine Trekkingstöcke, führt uns an den Lieblingsplatz seiner Kindheit. Der liegt nur wenige Schritte hinter seinem Haus in einem kleinen Bannwald, den er selbst aus heimischen Hölzern bepflanzt hat. „Das war wegen dem Wind, der hier so hereinpfeift.“ Der buchstäblich raue Wind. Wir gelangen zu einer kleinen Holzbrücke, darunter ein Bergbach eisig kalt hinabplätschert. „Hier war ich als Bub, stundenlang. Selbstvergessen.“

Er betrachtet sorgenvoll seine Föhren, die kränkeln. Ihre Äste verdorren. „Ich weiß nicht, was sie haben. Einen Pilz oder sowas. Nicht gut.“ Ihm tut es sichtlich weh, dass seine Bäume darben, und er kehrt dem Platz auch bald wieder den Rücken. „Bleibt ihr zum Mittagessen?“ Ich bejahe. Fotograf Dietmar muss zum nächsten Termin.

Robert Schneider: Das Erfindergen liegt in Ihrer Familie. Ihr Großvater hat 1938 den ersten Schlepplift in Zürs gebaut, außerdem die erste Skisicherheitsbindung konstruiert...
Michael Manhart: ...weil er sich beim Skispringen den Haxen gebrochen hat. Er war österreichischer Meister. Aber nicht nur das. Er war der technische Leiter von Daimler-Benz in Mannheim, hatte einige Patente inne. Die Lifte waren nur ein Hobby. Mein Vater, ein gebürtiger Kärntner, war bei der BASF.

Schneider: Sie stammen also gar nicht aus Lech. Was hat die Familie hierher verschlagen?
Manhart: Der Opa liebte den Arlberg als Skibergsteiger, kaufte eine kleine Hütte und verbrachte die Urlaube hier. Bevor es ganz aus war mit dem Nazireich, hat er Frau und Kinder nach Lech evakuiert, und so bin ich eben hier aufgewachsen.

Schneider: Wurde die Familie im Dorf akzeptiert?
Manhart: Wir wurden akzeptiert. Dank Liftebau des Großvaters. Es war eine sehr angenehme Kindheit. Ich bin hier zur Volksschule gegangen, dann in Bregenz aufs Gymnasium. Der Opa hielt viel von einer humanistischen Ausbildung, aber ich war ein fauler Hund, hab nur das gelernt, was notwendig war. Mein Studierzimmer war die freie Natur. Später studierte ich in Wien und Stuttgart. Da ging der Knopf auf. Ich entdeckte, dass ich ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen habe. Wir werden im Gespräch unterbrochen. Lilli, die bosnische Hausangestellte, fragt vorsichtig, was sie zu Mittag kochen soll. Wir einigen uns auf Fisch mit Petersilkartoffeln.

Schneider: Ihre Leistungen sind hinreichend dokumentiert. Sie haben viele Auszeichnungen erhalten. Ehrenbürger von Lech sind Sie aber noch nicht.
Manhart: Dafür bin ich noch zu jung.

Schneider: Im Rückblick: Was war für Sie das größte Glück?
Michael Manhart greift in die Westentasche und zieht ein Foto heraus. Darauf ist eine blonde, sehr mondän wirkende Dame zu sehen.
Manhart: Sie war mein größtes Glück. Meine Doris. Sie fehlt mir sehr, obwohl sie schon fast zehn Jahre tot ist.

Es entsteht ein ungewollter, stiller Moment. Manharts Blick schweift hinüber zur Amaryllis, die über Nacht eine dritte Blüte geöffnet hat. Das Gespräch kommt nicht mehr so leicht in Gang. Lilli beginnt mit dem Servieren. Wir essen gemeinsam. Auch sie setzt sich zu uns an den Tisch. Ziemlich unvermittelt hebt Manhart die Tischrunde auf. Er wolle sich ein wenig hinlegen. Ich bleibe mit Lilli zurück. Seit sechzehn Jahren arbeite sie jetzt bei Manharts, erzählt sie. „Er ein Herz haben. Groß. So.“ Und sie malt das Herz mit beiden Händen in die Luft.

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