Mit Velojet heimst der in Steyr geborene René Mühlberger einst eine Amadeus-Nominierung ein und huldigte den Pop-Helden 60er-Jahre. Nach dem Ende fand er sich neu und gründete 2018 sein Soloprojekt Pressyes. Sommerliche Vibes mit analoger Elektronik und Pop-Appeal treffen auf kreative Schübe und die Liebe zum Ursprünglichen. So auch auf der zweiten Platte „Breeze In Breeze Out“, die trotz Corona stark von Reisen und Erlebnissen inspiriert ist. Im großen Interview erklärt uns Mühlberger, warum er der Positivität so viel Raum gewährt, wie es ist, als Gitarrist von Clueso in großen Arenen zu spielen, weshalb kein Instrument auf dem Album jünger als 34 ist und weshalb er sich um Werte im Leben sorgt.
„Krone“: René, deine Wohnung ist voller analoger Instrumente und diese nehmen auch einen extrem wichtigen Teil auf deinem zweiten Pressyes-Album „Breeze In Breeze Out“ ein. Warst du dem Trend zum Analogen schon immer einen Schritt voraus?
René Mühlberger: Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren mit analogen Geräten. Die meisten glauben, es wäre wegen des Vintage-Flairs, aber es geht vor allem um die Einfachheit der Geräte. Man hat ein Kastl, lernt sich ein und kann es bestenfalls 40 Jahre bedienen. Ich kann mich mit der digitalen Welt nicht gut anfreunden. Ich will keine neuen Plug-Ins und mache keine Updates. Ginge es nach mir, hätte ich den ersten Atari verwendet. (lacht) Ganz ohne Computer schaffe ich es auch nicht mehr, er ist zu praktisch. Ich fokussiere mich abseits davon aber mehr auf die Musik und alles ist viel stressfreier. Es macht schon etwas aus, wenn alle Sinne gleichzeitig aktiv sind.
Analog lassen sich Dinge nicht einfach so schnell ausbessern und verändern. Ist das eine ehrlichere Art von musikalischer Arbeit?
Es hat einfach mehr mit dem eigentlichen Spielen eines Instruments zu tun. Wenn es nicht gut war, spielt man es noch einmal. Beim Digitalen kann ich alles verschieben und verändern. Ich spiele aber alles in meine Analogsynthesizer. Das Musikmachen ist für mich eine Spielwiese und die Musik von Pressyes ist ein Soundtrack zu den schönen Momenten meines Lebens. Reisen und Roadtrips. Da ist das Spielerische extrem wichtig. Die Arbeit daran ist mir wichtiger als das Produkt selbst. Ich bin viel zu viel Purist für große Marketingmaßnahmen. Ich bin Musikliebhaber und wem meine Musik nicht gefällt, der kann gerne etwas Anderes hören.
Das Album ist aber nicht nur für dich, sondern auch für außenstehende Hörer eine angenehme Reise in eine andere Zeit. Man kann sich dabei sehr schön in eine heile Welt hineinträumen…
Ich habe bei Velojet immer melancholische Popsongs geschrieben, merkte aber zunehmend, dass mich diese Songs runterziehen. Irgendwann habe ich die Band dann aufgelöst und wollte etwas machen, das mir Kraft gibt und keine Energie nimmt. Pressyes steht für meinen eigenen Anstoß, die Dinge positiv zu sehen. Ich bin als Österreicher nicht nur mit positiven Gedanken sozialisiert. Am Land wächst man in einer Welt mit viel Neid und Missgunst auf. Das wollte ich alles beiseitelassen und mich auf das Schöne konzentrieren. Wenn das in der Musik nachempfindbar ist, ist das toll.
Ist es die Verspieltheit an der Musik oder dein Perfektionismus, der dafür verantwortlich ist, dass zwischen Album eins und dem neuen fast vier Jahre ins Land gezogen sind?
Die Frage habe ich mir selbst oft gestellt. Ich habe nur zwei Gefühle: ist etwas fertig oder nicht. Ich gönne mir die Zeit, es so zu machen, wie ich es für richtig halte. Da werden auch gerne mal Deadlines verschoben oder andere Songs vorgeschoben. Ich kann problemlos 50 Mixe von einem Song machen, bis es für mich passt. Diese Geduld habe ich, auch wenn ich nicht begründen kann warum.
„On The Run“ war 2018 der Sprung zu einer positiveren Sichtweise aufs Leben. Du hattest beim Pressyes-Debüt also eine klare Vision. Was war nun der Unterbau für „Breeze In Breeze Out“?
Das zweite Album ist die Weiterführung der Reise. „On The Run“ drehte sich, wie im Titel erkennbar, ums Weglaufen. Ich wollte ganz anders klingen als bei Velojet. Am liebsten hätte ich sogar Hip-Hop gemacht und ganz anders gesungen. Ich musste mich verändern. „Breeze In Breeze Out“ passierte passiver, weil ich durch meine Produzententätigkeit relativ eingespannt war. Ich hatte das Album nie genau im Auge, die Songs und Spuren haben sich angehäuft. Irgendwann sichtete ich das Material und merkte, dass ich schon ein Album hätte - ich musste es nur mehr zusammenschnüren. Beim Debüt musste ich alles neu lernen. Wie mischt man und nimmt ein Schlagzeug gut auf? Mittlerweile habe ich dieses Wissen als Produzent bei Bilderbuch, Cari Cari und anderen angewendet. Das zweite Album verlief ganz ohne Druck. Es war einfach alles da. Der Titel steht für das Ein- und Ausatmen, für das Meditative. Ich meditiere seit dem Beginn von Pressyes sehr viel und es gibt mir viel Positivität. Ich erinnere mich dann an Urlaube und kann wieder zu diesen Orten gehen, die in die Songs einfließen. Im Titel ist auch das Eintauchen in die Soundwelt gegeben und mit dem Wortspiel kann man sich gut in den Sommer denken.
Die letzten zwei Jahre bestanden aber auch für einen Weltenbummler wie dich eher aus Reisen im Kopf.
Ich war viel weniger unterwegs, habe aber jede Gelegenheit genutzt. Als die Grenzen das erste Mal offen waren, sind meine Freundin Marlene und ich sofort in den VW-Bus gesprungen, um nach Kroatien zu fahren. Wir haben unsere alte Analogkamera mitgenommen, um Videos zu drehen und auch Anhalter mitgenommen. Wir mussten die paar Tage ausleben, weil klar war, dass bald wieder alles zumacht. Das erste Video haben wir in Malta gedreht. Ich freue mich jetzt extrem auf Konzerte, denn die sind auch wie ein Urlaub. Ein Urlaub mit viel Gepäck. (lacht)
Hast du am Album ein inhaltliches Narrativ, das die Reise kompakt zusammenfasst?
In sich nicht, aber bei der Songauswahl war mir wichtig, dass der Roadtrip-Aspekt klar heraussticht. Durch die Pandemie haben sich vermehrt melancholische Songs eingeschlichen, was ich am Schluss einfach akzeptiert habe. Das passt aber schon so, weil eben nicht nur Sommerfeeling herrschte. Es gibt auf dem Album drei kurze Interludes, die das sommerliche Gefühl widerspiegeln sollen. Ich habe sie noch aus der Bandmaschine gezogen, weil mir das Album ohne fast zu traurig war. Ich will die Welt weitergeben, in der ich Leben möchte.
Diese Welt trägst du komplett. Musikalisch, produktionstechnisch, grafisch, filmisch und allgemein in der gesamten Ästhetik. 70er-Vintage mit etwas Yachtrock und Kalifornien-Feeling in Sepiatönen.
Das große Ganze sehe ich nicht, das kommt erst am Schluss. Es gibt so viele kleine Bausteine, die sich nacheinander zusammensetzen. Einzelne Fotos liegen zwei Jahre herum, bis sie im Booklet landen. Anderen fällt das am Ende mehr auf als mir selbst. Ich mache einfach, was mir gefällt und offenbar kommt da immer was Farbenfrohes mit Vintage-Feeling raus. Das Cover-Artwork ist mehr an die 80er-Jahre angelehnt. Ich habe meinem Grafiker keine Vorgaben gegeben. Ich wollte nur etwas Strandflair haben. Ein Kumpel von mir, der bei Catastrophe & Cure spielt, meinte, es erinnert ihn an Toto. (lacht) Bei einem Soloprojekt macht man ja auch nicht alles selbst, aber die Videos gebe ich nicht ab. Kurt Cobain sagte einmal, dass Videos das fragilste Format sind. Wenn ein Detail nicht passt, kommt das ganze Produkt komisch rüber. Wenn Bands Videos drehen lassen, ist es meist die Vision von jemand anderen. Marlene und ich sind durch die Wüste gelaufen und haben alles selbst gemacht.
Bist du ein Nostalgiker oder magst du einfach nur Stil und Gefühl der 70er-Jahre?
Schwer zu sagen, was mich anspricht. Es gibt eine gewisse Wärme und Direktheit, die in der digitalen Welt verlorengeht. Die Welt besteht aus zu vielen Pixel. Man sieht das auch bei Hollywood-Filmen - sie sind extrem professionell, aber ein alter Film aus den 60ern, wo die Schauspieler Falten haben, hat viel mehr Charakter. So geht es mir auch mit der Musik. Jeder sollte sein Ding durchziehen und ich bin in dem Bereich absolut Anti-Mainstream. Ich sehe keinen Sinn was zu machen, was alle anderen auch machen. Wenn ich gerade vier Akkorde gehört habe, nehme ich sie nicht - auch wenn es mir gefällt. Ich höre mich sehr schnell ab, aber das ist auch beruflich bedingt. Es wäre relativ einfach, zehn Songs zu schreiben, die keinen Wert auf neue Sounds legen, aber mir macht es so keinen Spaß. Ich will nach einem Gefühl in den Songs suchen. Der Opener „Mirissa“ funktioniert nur mit dem Wurlitzer-Piano am Anfang. Da kommt das Gefühl von Strand und schwüler Hitze auf. Ich brauche dazu den Hall, ansonsten hätte ich nicht die Assoziation dazu. Ich bin da sehr detailverliebt, weil jedes Gerät ein Lebensgefühl ausdrückt. Bei „Midnite Diving“ lege ich einen Hall nach, der daran erinnert, dass man unter Wasser schwimmt. Es ist die Suche nach einem Sound, in dem man den Ort heraushört.
Die Einflüsse von Tame Impala hört man bei dir sehr deutlich heraus. Welche Musiker oder Bands haben dich sonst inspiriert?
Ich höre viel Musik und habe natürlich meine Favoriten. Tame Impala sind eine faszinierende Band, aber ich muss sagen, dass ich die Vintage-Instrumente, die Kevin Parker verwendet, auch schon lange habe. Die Soundästhetik der Beatles habe ich auch schon verinnerlicht, aber daraus lassen sich natürlich Parallelen ziehen. Ich höre sehr viel 70er-Jahre Soul, weil ein tolles Lebensgefühl darinsteckt. Es gibt großartige Sängerinnen wie Minnie Riperton. Ich höre zudem viel kurioses Zeug aus Japan, das auf Spotify- und YouTube-Playlists auftaucht. Außerdem habe ich einen Hang zu orientalischen Einflüssen aus meinen Marokko-Urlauben.
In dem dem Album beiliegenden Pressetext ist die Rede, dass du mit Equipment aus sieben Jahrzehnten arbeitest. Also seit der Erfindung des Rock’n’Roll.
(lacht) Beim letzten Album habe ich damit geprahlt, dass ich kein Instrument nach 1978 verwendet habe - dieses Mal endet das Instrumentarium glaube ich 1986. Das Mac Book gibt es natürlich, aber das macht bei mir keine Musik. Jeder einzelne Ton kommt von einem Instrument. Es gibt kein Plug-In, das einen Sound macht. Auf Instagram sieht man heute überall Bandmaschinen rumstehen. Ich finde das lustig, weil ich schon mit 14 das erste Mal darauf aufgenommen habe. Ich habe das Equipment noch immer, auch wenn mich das nicht jung macht. (lacht) Mein Drumset ist das klassische Beatles-1968er-Ludwig-Set.
Es muss am digitalen Stress des Alltags liegen, dass sich selbst junge Menschen, die die 80er- oder 70er-Jahre gar nicht erlebt haben, in einer sonderbaren Nostalgie danach zurücksehnen…
Junge Menschen wollen Analogfotos, obwohl sie richtig teuer sind. Der Trend geht weiter nach oben. Ich kann mir das nur so erklären, dass die digitale Welt nicht so greifbar und ehrlich ist und keiner will mit 100 Backup-Platten hantieren müssen. Ich habe früher Bänder von Harri Stojka auf Achtspurgeräten bekommen, die wahrscheinlich nie erschienen sind. Es ist schön, wenn man so etwas findet und auswerten kann - digital versickert das alles.
Möglicherweise ist die Generation deiner frisch geborenen Tochter dann schon so weit, dass sie bewusst auf das Digitale verzichtet und darüber lacht, wie inflationär wir damit umgegangen sind.
Ein schöner Gedanke, auch wenn ich ihm skeptisch gegenüberstehe. Bei meinen Gitarrenschülern merke ich schon, dass sie das Computerspielen teilweise als Zeitverschwendung sehen. Manche gehen lieber Fußball spielen oder nehmen die Gitarre in die Hand. Digitale Produkte sind so erschwinglich geworden, dass sie keinen Wert mehr haben. Man kann alles gratis runterladen. Die Nintendo-Spiele waren damals richtig teuer, mit einem gewissen Respekt davor hast du lange damit gespielt. So geht es mir auch mit der Musik. Wenn das Instrument wirklich viel gekostet hat und handgefertigt wurde, mit viel Arbeit und Design, dann will ich es auch richtig nutzen. Das fehlt beim Digitalen völlig. Auf Spotify gibt es so viele Hip-Hopper, die alles daheim und alleine zusammenstückeln. Das ist so unfertig. So als würde man jemandem ein Sprachmemo senden und nie auf den Punkt kommen. Das liegt auch daran, dass es nichts kostet. Bei meinem Pager hat früher jede Zeile zehn oder 20 Schilling gekostet. (lacht) Da hat man sich gut überlegt, was man wem übermittelt.
Deine Tätigkeiten als Musiklehrer, Produzent und Livegitarrist beim deutschen Popstar Clueso ermöglichen dir die Freiheit, mit Pressyes zu machen was du willst und wann du es willst?
Genau. Das ist natürlich ein Job, aber er macht wahnsinnig viel Spaß. Die Produktion ist so groß, dass man keinen Verstärker mehr schleppen muss. Man geht nur auf die Bühne und hat backstage das beste Essen. Wenn man zu viert mit einem Dacia Logan samt abgelaufenem Pickerl eingezwängt im Winter-Schneesturm nach Deutschland fährt, dann kann man dieser Seite des Musikgeschäfts viel abgewinnen. (lacht) Musikalisch ist natürlich immer das eigene Projekt das, wo man sich Zuhause fühlt. Alles andere sind Abenteuer in anderen Leben. Manchmal kann man was Gutes mitnehmen, manchmal nicht. Wichtig ist aber, als Musiker diese Erfahrungen zu machen. Früher wollte ich nur geschützt meine Projekte machen, aber wenn man auch woanders tätig ist, weiß man das Eigene viel mehr zu schätzen. Das gilt auch fürs Unterrichten, weil jüngere Leute anders denken und spielen. Ein Queen-Song kann auch einen Zehnjährigen begeistern. Diese Momente vergisst man im Musikbusiness zu schnell, weil es so Marketing-lastig geworden ist. Am Ende geht es dann aber doch um die Musik und nicht um die Fotos. Du kannst noch so gut ausschauen, aber wenn der Song nicht passt, wird es nicht funktionieren.
Wie bist du eigentlich zu Clueso gekommen?
Das war vor ca. fünf Jahren, relativ zeitgleich mit dem Beginn von Pressyes. So konnte ich einmal für zwei Jahre aus meiner Wiener Szene flüchten. Als Velojet nicht mehr war, war das Gefühl sehr komisch. Die Leute fragen dauernd, was man jetzt macht und wie es einem gehen würde. Ich wusste aber gerade nicht, was ich mache und es fühlte sich komisch an zu sagen, dass es mir gut geht. Das nimmt dir keiner ab, wenn du gerade kein Projekt hast. Wenn eine Karriere aufhört, geht man immer davon aus, dass der Künstler zerstört ist und darunter leidet. Das hat man auch John Lennon oder Freddie Mercury vorgeworfen, aber die meisten sind froh, einmal Ruhe und Zeit für sich zu haben. Das kann das Publikum nicht wissen, dass das Bühnenleben für den Künstler nicht immer das Wichtigste ist.
Künstler sind meist kreativ getriebene Menschen, die etwas schaffen wollen - in erster Linie für sich selbst. Wie jemand, der sein Auto restauriert. Er macht es nicht für den Wiederverkaufswert, sondern für sich und seine Leidenschaft. Manche bauen Häuser, manche Autos, manche Songs. Als sich Lennon Mitte der 70er-Jahre zurückzog, sagte er in einem Interview, er backe jeden Tag einen Laib Brot. Davor hat er eben jeden Tag an Songs geschrieben. Für den Künstler ist die Erwartungshaltung der Tod. Nach einem Hit will jeder den nächsten. Die Welt wird immer schnelllebiger und auf das Spiel mag ich mich nicht einlassen. Ich will Entspannung, das geht mit Pressyes. Velojet haben mich eher gestresst.
Man kann es einem Fan wahrscheinlich nie recht machen, weil die Erwartungshaltung und Hoffnung bezüglich seines Lieblingskünstlers immer eine andere ist, als die des Künstlers selbst.
Die Wahrheit im Showbusiness funktioniert nicht wirklich. In den letzten Jahren sogar immer weniger. Ich kann nicht lügen. Ich will nicht schreiben „nur noch wenige Karten übrig“, wenn es nicht stimmt. Das sind Marketingstrategien, die viele Menschen anwenden und die funktionieren. Allein schon, wie sehr mit limitiertem Vinyl in unterschiedlichen Farben geworben wird. Manche Erstpressungen hat es kaum gegeben, schon sind sie ausverkauft. Es sollen alle ihr Spiel spielen, aber ich spiele da nicht mit.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.