Hypeband mit Debütwerk

Wet Leg: Indie-Rock-Hype ohne bestimmte Agenda

Musik
15.04.2022 06:00

Vor einem knappen Jahr tauchte das britische Duo Wet Leg aus heiterem Himmel auf und wurde mit der Single „Chaise Longue“ zum größten Hype der britischen Insel. Jetzt, wo Livekonzerte wieder flächendeckend möglich sind, können Rhian Teasdale und Hester Chambers beweisen, dass sie „the next big thing“ am Indie-Rock-Firmament sind. Im „Krone“-Gespräch gab sich Frontfrau Teasdale noch bewusst schüchtern und unreflektiert.

(Bild: kmm)

Im Popgeschäft funktioniert ganz offen zur Schau gestellter Nihilismus manchmal doch am besten. Hinter dem eindeutig zweideutigen Bandnamen Weg Leg stecken die beiden Endzwanzigerinnen Rhian Teasdale und Hester Chambers von der beschaulichen Isle Of Weight in Großbritannien. Die wichtigsten Beweggründe zum gemeinsamen Musizieren sind so einfach wie erfrischend ehrlich: „In England sind die Festivaltickets so teuer, also haben wir einfach eine Band gegründet, um frühe Slots zu spielen und die Karten nicht mehr kaufen zu müssen“, lacht Teasdale im „Krone“-Interview, „außerdem sind wir die besten Freundinnen und wollen einfach Spaß haben.“ Teasdale ist die charismatische Frontfrau mit der bewusst auf lässig gekippten Singstimme, Chambers bleibt lieber im Hintergrund, sorgt aber für das Rhythmusfundament und die Kreativarbeit in der Band.

Ein wilder Ritt
Als im Juni 2021, also in der kurzen Zeit zwischen den zermürbenden Covid-Lockdowns, die Single „Chaise Longue“ aufpoppte, entwickelte sich um das Duo ein Online-Hype, der seither nicht mehr abriss. Die Indie-Radios spielten den Song auf und ab, die beiden saßen bei Jools Holland und Seth Meyers, spielten einige erfolgreiche Gigs mit Inhaler und den Chvrches und haben ihre erste Tour 2022, die leider nicht durch Österreich kreuzt, ausverkauft, obwohl zu dem Zeitpunkt erst zwei Songs veröffentlicht waren. „Wet Dream“ folgte im September und konnte zwar nicht mehr derart kräftig reüssieren, war aber eine weitere Talentprobe. Seitdem werden die beiden von Interview zu Interview gekarrt und kommen kaum noch zur Ruhe. „Es geht wirklich wild zu, das müssen wir schon zugeben. Wir sind noch nicht berühmt, haben aber extrem viel zu tun.“

Als Teasdale die Uni verließ jobbte sie in verschiedenen Pubs und Kaschemmen als Kellnerin, bevor sie zur Styling-Assistentin wurde. Chambers ist gelernte Juwelierin und zudem der Kopf hinter den grafischen Eindrücken. Ein knappes Jahr nach Veröffentlichung der ersten Single erscheint nun das Debütalbum „Wet Leg“ und nichts ist auch nur mehr annähernd so, wie es einmal war. Der Hype um das Indie-Rock-Duo mit den klassisch britischen Post-Punk-Einflüssen ist insofern interessant, als er nicht den ungeschriebenen Gesetzen ihrer Generation folgt. Ein schlüpfriger Bandname, sehr viel Sex in den Texten und eine allgemein ziemlich verruchte Darstellung entsprechen nicht unbedingt den Kriterien der Generation Woke, deren oberste Gottheit die Politicial Correctness darstellt. Wet Leg verstehen ihren Feminismus aber nicht politisch oder von Scheinmoral durchzogen, sondern besingen augenzwinkernd relevante Themen wie Depressionen, toxische Beziehungen oder Zukunftsängste.

Herzschmerz im Wandel der Zeit
Dass das Album schon vor der Veröffentlichung des YouTube-Hits „Chaise Longue“ fertig war, spürt Texterin Teasdale mit etwas Distanz heute deutlich. „Als wir die Songs geschrieben haben, ging ich gerade durch eine komplizierte Phase in meinem Leben. Sie sind eine Zeitaufnahme meines damaligen Zustands, heute befinde ich mich auf einer anderen Ebene.“ Im Zoom-Gespräch wirkt die Frontfrau unsicher. Es besteht definitiv keine Gefahr eines NLP-Rhetorikkurses, aber trotz der vielen Interviews aus den letzten Wochen und Monaten merkt man ihr an, dass sie nie damit gerechnet hätte, ihre Songs einmal erklären zu müssen. „Wir haben nie viel über die Band nachgedacht und hatten bislang auch keine Zeit zum Reflektieren“, gibt sie unumwunden zu, „in meinen Texten geht es stark um Herzschmerz. Einen Herzschmerz, den ich heute nicht so fühle wie damals, aber die Texte haben von ihrer Unmittelbarkeit nichts verloren. Sie haben einfach eine andere Dynamik.“

Das auf dem Indie-Großlabel Domino Records veröffentlichte und von Branchenprimus Dan Carey produzierte Album kann seine Herkunft nicht verleugnen. Auch wenn Teasdale von den Vergleichen genervt ist, die klangliche Kante zum Post-Punk-Vermächtnis der frühen 80er-Jahre und jungen Bands von Squid über Shame bis hin zu Fontaines DC ist nicht zu leugnen. Von den vereinzelten Projekten aus der Vergangenheit haben sich die beiden längst gelöst, Wet Leg sind schon vor dem großen Hype gekommen, um zu bleiben. „Too Late Now“ rückt augenzwinkernd Wohl und Wehe von Dating-Apps und scheiternden Beziehungen ins Zentrum, „I Don’t Wanna Go Out“ ist eine Ode an das Chillen in einer Großstadtmetropole wie London mit ihren unendlichen Möglichkeiten des Partymachens und der Opener „Being In Love“ stellt die Auswirkungen des Verliebtseins mit depressiven Schüben zueinander. „In beiden Fällen ignoriert man, was so alles um einen herum passiert, leidet an Schlaf- und Essstörungen und befinden sich in einem konstanten Schwebezustand.“

Boden ist bereitet
Ein Kampf gegen das Patriarchat schaut im Pop-Kosmos anders aus, aber Wet Leg wissen sehr gut, dass Emanzipation in erster Linie Akzeptanz und Selbstliebe benötigt, um erfolgreich sein zu können. Auch wenn Teasdale und Chambers nicht unbedingt Lust darauf haben, bedeutungsschwanger durch die Welt zu laufen. „Die wichtigste Botschaft des Albums ist, dass ihr alle nett zueinander sein und gegenseitig auf euch achtgeben solltet“, so Teasdale, „wir hatten wirklich keine Agenda. Das Album ist eigentlich ein Egotrip, der es irgendwie in die Welt hinausgeschafft hat“, fügt sie lachend hinzu. Vielleicht ist das genau die Botschaft, die wir uns alle hinter die Ohren schreiben sollten: nehmt nicht alles immer todernst, man kann auch zwanglos und vor sich hintreibend zum Erfolg kommen. Ob das auf Langstrecke funktioniert, das wird die Zeit weisen. Der Boden für weitere Großtaten ist jedenfalls bereitet.

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