Schwieriger Spagat

Schockfotos: Welche Bilder sind vertretbar?

Ausland
09.04.2022 06:00

Christian Schicha, Professor für Medienethik, über den Spagat zwischen Aufrütteln der weltweiten Öffentlichkeit und moralischen Grenzen bei Schockfotos.

„Krone“: Haben Sie zuletzt in Medien Fotos aus der Ukraine gesehen, die Sie verurteilen würden?
Christian Schicha: Umstritten war ein Titelbild der „New York Times“, auf dem die Gesichter von Bombenopfern identifiziert werden konnten. Das habe ich in Interviews kritisiert.

Andererseits entstehen dadurch „ewige“ Bilder - wie etwa von jenem Mädchen, das 1972 im Vietnamkrieg nackt aus einem bombardierten Dorf lief. Die Aufnahme auf Titelseiten weltweit befeuerte die Anti-Kriegs-Proteste.
Ja, aber so etwas wird heute viel kritischer gesehen. Das damalige Bild von Kim Phúc hat sogar Preise gewonnen. Wichtig sind hier die Zusammenhänge. Der Fotograf hat sich auch um das Kind gekümmert und sich später mit ihr bei öffentlichen Auftritten engagiert.

Gräber in der Ukraine (Bild: AFP)
Gräber in der Ukraine

Ist es nicht ein großer Zwiespalt - einerseits das Aufrütteln, andererseits moralische Grenzen wie etwa bei Bildern von Todesopfern?
Das ist genau das Problem. Journalisten sind verpflichtet, über derartige Verbrechen in Wort und Bild zu berichten. Zugleich müssen die Wirkungen bedacht werden. Kinder sollen nicht durch öffentlich zugängliche Schockfotos verstört werden. Das Bild aus dem Vietnamkrieg wurde bei Facebook sogar gelöscht, dann aber wieder hineingestellt.

Droht bei einer monatelangen Veröffentlichung von drastischen Bildern eine gewisse Abstumpfung?
Der überwiegende Teil der Rezipienten ist sicher schockiert und reagiert nicht abgestumpft. Manche schauen aber auch weg, weil man die Bilder nicht ertragen kann. Es kann durchaus ein gewisser Gewöhnungseffekt entstehen, weil die Bilder zerstörter Gebäude sich ähneln. Bilder von leidenden oder verstorbenen Menschen lösen aber weiter Mitleid und Mitgefühl aus, auch Wut gegenüber den Tätern.

Professor Schicha ortet engere Grenzen. (Bild: zVg)
Professor Schicha ortet engere Grenzen.

War es Russlands Hoffnung, dass der Krieg schnell gewonnen wird, sodass Bilder, die international für Aufmerksamkeit sorgen, erst gar nicht entstehen?
Davon kann ausgegangen werden, da Bilder der letzten russischen Kriegseinsätze in der Medienberichterstattung keine zentrale Rolle gespielt haben.

Können gewisse Bilder das politische und militärische Geschehen beeinflussen?
Das ist bereits der Fall. Es wurden ja weitere Sanktionen und auch Militärhilfe angekündigt.

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