Kämpfe in der Ukraine

Weltkriegs-Betroffene: „Vieles wieder wie damals“

Österreich
06.03.2022 14:16

Frauen und Männer, die während des Nazi-Regimes aufgewachsen sind, empfinden den Krieg in der Ukraine extrem belastend. Weil sie wissen, was Hass und Bombenangriffe bedeuten. Zwei Betroffene sprechen in der „Krone“ über ihr Leid, einst. Und darüber, „dass die Menschheit nichts dazu gelernt hat“.

Erika Kosnar sitzt am Esstisch in ihrer gemütlichen Wohnung in Wien-Simmering. Vor ihr liegen unzählige Briefe; von Lehrern, von Schülern. Die sich bei der 90-Jährigen für ihre eindrücklichen Erzählungen aus einer grauenhaften Zeit bedanken.

„Meine Eltern und ich waren Geächtete“
Seit 2000 hält die Frau in Geschichte-Stunden Vorträge, und spricht dabei über ihr Schicksal; über ihre horriblen Erfahrungen während des Nazi-Regimes: „Ich bin Jüdin, in meinen ersten Lebensjahren störte das niemanden. Und ich hatte viele Freunde. Aber mit der Machtergreifung Hitlers 1938 wurde plötzlich alles ganz anders.“ Die Kinder, „die davor so oft im Hof mit mir gespielt hatten, wandten sich von mir ab und beschimpften mich. Ich war quasi von einem Moment zum nächsten zu einer Geächteten geworden“.

Wie ihre Eltern: „Mein Vater verlor seinen Job bei einer Feigenfabrik, kaum wer ließ sich noch von meiner Mutter – einer Schneiderin – Kleider nähen. Unser Nachbarn redeten nicht mehr mit uns.“ Und bald weigerte sich Erika Kosnars Klassenvorstand sogar, „mich, das Judenbalg“, zu unterrichten.

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Ich denke, es ist – bei gar nicht wenigen – einfach, das Böse in ihnen zu wecken. Wenn es ,von oben‘ als das Richtige propagiert wird.

Erika Kosnar

„Mein Vater sollte hingerichtet werden“
„In der Folge erlebte ich jedoch noch Schlimmeres: den Abtransport meines Papas in ein Arbeitslager im Burgenland.“ Lange musste er dort schuften: „Letztlich hatte er Glück. Fünf Tage, nachdem die Russen in das Gebiet einmarschiert waren, hätte er – wie wir später erfuhren – hingerichtet werden sollen. Und es ist ein Wunder, dass meine Mutter und ich nicht gestorben sind, bei den Bombenangriffen auf Wien.“ Die Geräusche der Sirenen, der Detonationen; ihre Furchtgefühle, wenn Erika Kosnar in einem Keller saß – „werde ich nie vergessen“.

Jetzt, durch den Krieg in der Ukraine, „sind meine Erinnerungen daran besonders stark“. Wieso können Menschen dazu fähig sein, anderen schrecklichste Dinge anzutun? „Ich denke, es ist – bei gar nicht wenigen – einfach, das Böse in ihnen zu wecken. Wenn es ,von oben‘ als das Richtige propagiert wird.“ Wenig verwunderlich daher für die Frau, „dass Leute, die meine Familie eine kleine Ewigkeit hindurch wie Aussätzige behandelt hatten, zu uns wieder freundlich waren – nach dem Sturz der Nazis“.

Glaubt die 90-Jährige an den Ausbruch eines dritten Weltkriegs? „Ich habe Angst davor. Nicht wegen mir, ich bin schon alt; aber wegen meiner Kinder und Enkelkinder. Denn ich wünsche ihnen ein Dasein in Frieden.“

„Durch den Krieg wurde mir mein Papa genommen“
Auch Georg Scheibelreiter ist in Kriegszeiten aufgewachsen. „In meinem Heimatort, einem kleinen Dorf in Niederösterreich“, erzählt der 84-Jährige, „merkten wir zunächst wenig von den entsetzlichen Dingen, die durch die Nazis geschahen“. Nachsatz: „Zumindest ich nicht, als kleiner Bub.“

Seine ersten Lebensjahre seien also „nicht schlecht verlaufen“, am Land, im Grünen. Aber freilich, es tat weh, als der Vater 1943 „eingezogen“ wurde: „Was das bedeutete, verstand ich damals freilich noch nicht.“

Er begann erst 1945 zu begreifen: „Meine Mama und ich wohnten bei meinen Großeltern, wir saßen gerade am Küchentisch und aßen Zwetschgenknödel; ein Mann in Uniform klopfte an unsere Türe und überbrachte uns dann die Nachricht, dass mein Papa in Russland gefallen sei.“ Die Mutter, der Opa, die Oma, „und ich – wir haben alle bitterlich geweint“.

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Wenn es Fliegeralarm gab, setzte mir meine Mama eine dicke Pelzmütze auf – und stellte mich in eine Ecke unseres Hauses.

Georg Scheibelreiter

„Und dann fielen Bomben vom Himmel“
Georg Scheibelreiters letzte Erinnerung an seinen Vater? „Ein paar Monate vor seinem Tod hatte er einen Heimaturlaub; ich weiß noch, ich saß auf seinem Schoß, er streichelte meinen Kopf und er schenkte mir eine kleine Tafel Schokolade. Noch nie davor hatte ich so etwas Gutes gegessen.“ Die Trauerfeier in der Kirche – „ein leerer Sarg mit einem Helm darauf stand vor dem Altar“ – habe er „wie durch einen Schleier“ wahrgenommen.

„Irgendwann fielen auch in Niederösterreich Bomben vom Himmel.“ Wenn es Fliegeralarm gab, „setzte mir meine Mama eine dicke Pelzmütze auf und stellte mich in eine Ecke. Weil sie meinte, dass ich dort, wenn unser Haus getroffen würde, am sichersten wäre.“

Später, während der russischen Besatzung, hätten Soldaten das Grundstück okkupiert: „Meine Mama musste für sie kochen, mit Lebensmitteln, die sie ihr brachten. Wir aßen mit, hatten ergo keine Hungersnot.“

„Ich habe tiefes Mitleid mit den Opfern in der Ukraine“
Wie ist Scheibelreiters Dasein weiter verlaufen? „Nach der Matura studierte ich Geografie und Biologie.“ In der Folge entwickelte er für landwirtschaftliche Betriebe Strategien, um Schädlinge mit natürlichen Feinden – Insekten – zu bekämpfen: „Ich arbeitete Jahrzehnte hindurch, im Auftrag einer englischen Firma und der UNO, in Afrika.“ Wo er wiederholt mit Unruhen konfrontiert war. Dass Menschen einander bekriegen, mit fürchterlichen Methoden, habe er also oft erfahren, „und damit das Elend, das dieses absurde Handeln mit sich bringt“.

Was empfindet er, wenn er Bilder aus der Ukraine sieht? „Mitleid mit den Opfern.“ Mit jenen, die ihr Leben - oder geliebte Angehörige verloren haben: „Wie einst ich meinen Papa. Den ich wegen Hitlers Wahnsinnsideen nie wirklich kennenlernen durfte ...“

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