Metal-Connaisseure wissen: so intensiv, markerschütternd und durchdringend wie Black Metal ist kaum ein Subgenre. Schon gar nicht, wenn das Dargebotene sehr kreativ und mit textlich nachdenkenswertem Unterbau exerziert wird. Die Belgier von Wiegedood schreiben auf ihrem vierten Kapitel „There‘s Always Blood At The End Of The Road“ ein neues Karrierekapitel und lassen wieder tief in gesellschaftliche Abgründe blicken. Frontmann Levy Saynaeve stand uns dazu Rede und Antwort.
Zugegeben - die Schere zwischen Gypsy-Jazz-Gitarrist Django Reinhardt, belgischen Maschinengewehren und dem französischen Philosophen Albert Camus ist eine weit aufklaffende, aber Wiegedood schaffen diesen Spagat scheinbar mühelos. Die Belgier haben sich mit ihrem Album-Trio „De Doden Hebben Het Goed“ von 2015 bis 2018 nicht nur einen Namen im Black Metal gemacht, sondern ihn in seiner aktuellen Ausformung durchaus mitgeprägt. Auf dem Viertwerk „There‘s Always Blood At The End Of The Road“ gibt es kürzere Songs, mehr Unwohlsein und ein paar gewaltige Faustwatschen voller dystopischer Realitätsaufnahmen. Hypnotisch, paralysierend, brutal.
„Krone“: Levy, Jänner und Februar hätten die Monate sein sollen, wo ihr euer neues Album „There’s Always Blood At The End Of The Road“ ausgiebig in Europa betouren solltet. Daraus wird wohl doch nichts…
Levy Seynaeve: Wir haben noch keine neuen Termine, aber außerhalb der Release-Show daheim bei uns in Brüssel mit maximal 200 maskierten und sitzenden Zusehern in einer 800-Menschen-Venue wird nicht viel möglich sein. Wir versuchen jede Möglichkeit für eine Liveshow zu ergreifen, aber sobald vier oder fünf Konzerte ausfallen, zahlt es sich finanziell einfach nicht mehr aus. Keine leichte Sache derzeit.
War es überhaupt einfach, sich für ein neues Album zu motivieren und Inspirationen dafür zu bekommen, wenn seit fast zwei Jahren nichts mehr besonders Aufregendes im Leben passiert?
Durch die Tatsache, dass uns die verschiedenen Lockdowns in die erzwungene Einsamkeit getrieben haben, mussten wir uns anderweitig beschäftigen als mit Reisen und Livespielen. Ich habe eine regelrechte Obsession zu Django Reinhardt entwickelt und Gypsy Jazz auf und ab gehört. Gitarrist Gilles hat sich die Zeit für sein Soloalbum genommen und dadurch extrem viel über Produktion und Aufnahmetechniken gelernt. Und Drummer Wim macht sowieso immer, was er machen will. (lacht)
Der Song „Nuages“ auf eurem neuen Album lässt sich direkt von Django Reinhardt ableiten. Dieser Künstler hat ganz deutlich den Weg in Wiegedoods Black Metal gefunden.
Der Text ist eine Ode an ihn, auch wenn er den Song wahrscheinlich hassen würde. (lacht) Aber das ist ja egal. Eines der Riffs im Song ist ein originales Gitarrenlick von Reinhardt, das ich in einer Strophe verwendet habe. Wenn du mit ihm nicht bewandert bist, dann kannst du es auch ohne diese Vorkenntnis genießen. Es war mir einfach persönlich wichtig, in meinem Hinterkopf zu haben, dass ich ihm damit eine Ehre erweise.
Wie kam es denn überhaupt dazu, dass du diesem Musiker während der Lockdowns so verfallen bist?
Wir hatten bei allen Touren bis Corona einen Kumpel von mir dabei, der beim Merchandise half und den Van be- und entlud. Er hat mich irgendwann mit Reinhardt angefixt und so kam alles ins Rollen. Mich hat interessiert, wie der Gypsy Jazz sich entwickelte. In den Niederlanden gibt es das Rosenberg Trio und zwei von denen sind die besten Gitarristen, die ich je gesehen habe. Sie können absolut alles und das ganz ohne Effekte und Verstärker. Sie haben also nichts, hinter dem sie sich verstecken können. Das hat mich so fasziniert, dass ich noch viel tiefer in die Jazzwelt geriet. Ich wollte auch ein bisschen so spielen können wie sie, was ungemein schwierig und unnatürlich für mich war. Ich bin noch immer Lichtjahre von ihren Fähigkeiten entfernt, aber wenn ich mir Zeit lasse, kriege ich schon so manches hin. Es war natürlich nicht geplant, diese Einflüsse so stark in Wiegedood zu verknüpfen, aber als es dann einfach passierte, hat es perfekt reingepasst. Wer hätte sich das gedacht?
Der Song „And In Old Salamano’s Room, The Dog Whimpered Softly“ ist eine Verbeugung vor dem großen Albert Camus.
Gut erkannt. Der Songtitel ist eine Zeile aus seinem Roman „Der Fremde“. Es geht darin um einen alten und einsamen Mann, dem nur von seinem Hund Gesellschaft geleistet wird. Obwohl der Hund alles ist, was er hat, hasst er ihn zur selben Zeit. Er ist sehr unzufrieden mit seinem Leben und immer gemein zum Hund. Ich war fasziniert von dem Gedanken, wie man so von seinem eigenen Kummer und der eigenen Misanthropie erschlagen sein kann, dass man die absolute, undurchdringbare Liebe mit Verachtung bestraft. Anstatt das Schöne zu schätzen, das sich um einen herum befindet.
Klingt ein bisschen wie der Umgang des Menschen mit seinem Planeten Erde. Oder mit dem Widerspruch, dass wir so gerne nachhaltig und frei leben würden, dem Konsumwahn und Kapital aber eigentlich total ausgeliefert sind…
Das ist auch eine gute Sichtweise. Wir sind darauf konditioniert, der ganzen Welt zu zeigen, was wir besitzen und wie gut es uns geht. Als der Lockdown kam, war das alles aber plötzlich unwichtig, denn jeder war auf sich und seine Lieben gestellt. Der Konsumwahn und der Drang, überall Teil der Gesellschaft zu sein und auf sich aufmerksam zu machen, ging zurück. Ich bin natürlich froh, dass wir letztes Jahr ein paar Konzerte spielen konnten, aber manchmal vermisse ich den Lockdown. Der ganze Stress und soziale Druck kommen jetzt wieder zurück und ich bin kein Fan davon. Für mich war es schön, die Dinge einfach mal zu reflektieren und auf mich selbst zurückgezogen zu sein. Der Konsumwahn und die Rückkehr zu alten Mustern nehmen uns Freiheiten, auf die wir jetzt die Chance hatten.
Hast du denn Dinge wirklich so reflektiert, dass sie dein Weltbild verändert haben? Oder dass du in bestimmten Bereichen anders agierst als früher?
Sehr sogar. Vor dem Lockdown war ich eigentlich nur auf Tour. Ich war ja nicht nur mit Wiegedood unterwegs, sondern auch mit Amenra und lange Zeit mit Oathbreaker, bevor sie eine Pause einlegten. Ich war maximal eine Woche daheim und dann schon wieder unterwegs, ich kam auf ca. 250 Konzerte im Jahr. Plötzlich ging alles von 100 auf 0 und ich musste erst einmal Wege finden, um mein Leben zu bestreiten und Glück zu empfinden. Ich liebe das Touren, aber ich habe gemerkt, dass es zu viel war. Deshalb habe ich Amenra verlassen und für mich beschlossen, dass ich auch mit Wiegedood weniger spielen werde. In die alten Muster will ich nicht mehr verfallen.
Dabei hast du doch mit Living Gate schon wieder ein neues Bandprojekt. Klingt jetzt nicht unbedingt nach zurückschrauben?
(lacht) Wir haben unsere EP zehn Tage vor dem ersten Lockdown veröffentlicht, sie verschwand also quasi in der pandemischen Nebelsuppe. Wir hatten auch nie die Chance, irgendwo aufzutreten und uns vorzustellen. Unser Bassist ist außerdem in den USA, während die anderen in Belgien leben. Alles nicht so einfach. Wir sind nur untätig, weil es logistisch gerade nicht anders geht, aber wir vier möchten schon ein richtiges Album machen und ein paar Konzerte spielen.
Amenra und Oathbreaker haben Wiegedood in puncto Popularität eigentlich immer übertroffen. Viele sahen Wiegedood daher immer als eine Art Side-Project. Hat sich das über die Jahre nun geändert?
Wiegedood war immer unser Hauptprojekt. Ich kann aber natürlich verstehen, dass die Leute da nicht immer ganz durchblickten, nachdem es viele Bands in diesem Umkreis gibt, die auch alle sehr aktiv sind. Wiegedood kamen zwar als letztes, aber das bedeutet nichts. Unsere Attitüde hat sich nicht groß geändert. Oathbreaker pausieren und ich bin nicht mehr bei Amenra, deshalb haben wir mehr Zeit für Wiegedood. Das ist die einzige Änderung.
Die ersten drei Alben von euch hatten alle denselben Titel und waren eine konzeptionelle Verbeugung vor einem verstorbenen Freund der Band namens Florent. Auch da gab es dann Gerüchte, mit der Albumtrilogie wäre das Konzept Wiegedood auserzählt. War das tatsächlich einmal Thema?
Nein, auch das ist ein lustiges Gerücht, das mir im Internet nicht verborgen blieb. Ich habe gar keine Ahnung, wie dieses Gerücht so breit gestreut werden konnte, von uns kam da bestimmt nichts in die Richtung. Es war immer klar, dass wir nach der Trilogie weitermachen würden.
Aber hat sich Wiegedood anfangs nur als Hommage an diesen tragischen Todesfall formiert?
Die Band war schon immer ein großer Plan von uns, aber wir haben sehr viel nachgedacht und beraten, was die Essenz sein sollte und welche Ziele wir verfolgen würden. Die Trilogie hat sich dann aus diesen Gesprächen entwickelt und als Florent verstarb, hat es bei uns sofort geklickt, dass wir mit den Alben den Tod ehren und sie Florent widmen würden. Das war vor allem beim ersten Album ganz deutlich.
Jetzt also „There’s Always Blood At The End Of The Road“. Klingt für mich so, als ob wir alle Hoffnung begraben könnten, weil wir am Ende sowieso mit wehenden Fahnen untergehen werden.
Das Ende der Geschichte geht nicht gut aus. Kein Mensch lebt in seinem Leben nur das Glück und die Freude und stirbt dann in absolutem Frieden - so läuft es nun einmal nicht. Die alten Alben haben sich eher aus der Perspektive des Verstorbenen entwickelt. Du hast die Welt hinter dir, blickst aus dem Tod zurück und schaust dir die Trümmer deines Lebens an. Das neue Album geht vom Leben aus. Solange du am Leben bist, musst du für Dinge kämpfen, kommst ins Trudeln und musst dich beweisen und verteidigen. Ein immerwährender, niemals endender Kampf.
Beginnt damit eine neue Trilogie oder steht das Album ganz für sich selbst?
Das Album steht ganz für dich. Als wir die Trilogie gemacht haben, begann es auch mit dem ersten Kapitel, das wir weiterziehen wollten. Jedes Album sollte vier Songs haben, der Titeltrack war in Mid-Tempo gehalten und wir hatten meist Überlänge. So war alles miteinander verbunden und das war uns wichtig. Wir merkten dann im Laufe der Zeit, wie schwierig das in der Realität umzusetzen ist, wenn man so einen stringenten Plan auch durchziehen will. Jetzt saßen wir vor einem weißen Blatt Papier. Es mussten keine langen Songs mehr sein, es durften mehr als vier sein und bei den Texten und beim Artwork konnten wir machen, was wir wollten. Diese Freiheit hatten wir seit dem Debüt nicht mehr und deshalb klingt es auch anders. Die Ansätze sind musikalisch und textlich anders, aber wir wollten uns den Druck einer weiteren Trilogie nicht mehr aufbürden. Wir hatten keine Lust mehr darauf, uns konzeptionell für weitere fünf Jahre zu binden.
Dafür hattet ihr dieses Mal nichts mehr, wo ihr euch anlehnen konntet. Freiheit bedeutet auch Stress, weil man sich erst wieder finden muss.
Das stimmt natürlich, aber so ganz ohne Handschellen zu komponieren und auch einmal vierminütige Songs schreiben zu können war schön. Wir waren extrem kreativ und hatten damit keine Probleme. Wir konnten einen guten Song so lassen, wie er ist. Mussten ihn nicht an etwas anpassen, das als Vorlage dient. Zwischen den Lockdowns haben wir uns auch mehr Zeit genommen, um zu dritt gemütlich zusammen zu proben. Früher waren wir in einem Monat durch, weil wir schon wieder auf die Bühne mussten. Dieses Mal haben wir uns insgesamt fast ein halbes Jahr Zeit genommen und konnten alles in Ruhe zusammenstellen. Für die ersten drei Alben hatte ich meist schon die Grundideen fertig und es gab gar nicht mehr viel Raum, um Dinge zu verändern. Das war dieses Mal auch ganz anders. Ich hatte oft nur ein einziges Riff und wir haben daraus zu dritt einen Song gebaut. Wir gaben uns Raum für mehr Improvisation und Spielerei.
Habt ihr eigentlich schon vor der Pandemie an dem Werk gearbeitet oder erst direkt währenddessen?
Wenn ich daheim bin, dann spiele ich immer herum. Ich kreiere dann Riffs, die ich irgendwann wieder hervorhole, um daraus neue Musik zu gestalten. Ich habe wirklich viel Zeug, von dem aus wir arbeiten können. Dieses Mal hatte ich aufgrund der vielen Touren vor der Pandemie nicht so viel Material wie üblich, also haben wir viel mehr während der Proben geschrieben und gefertigt. Das geschah dann schon während der Pandemie.
Das Album selbst ist nicht nur brutal, sondern auch sehr anstrengend. Man hat beim Hören ein gewisses Unwohlsein und ich habe so das Gefühl, das war durchaus eure Intention?
Ja, da liegst du ganz richtig. Wir wollten vor allem etwas machen, das sich total von der „De Doden Hebben Het Goed“-Trilogie unterscheidet. Wir wollten ins andere Extrem gehen. Das Artwork ist anders, die Songs sind vielseitiger und teilweise auch aggressiver und vertrackter. Wir mussten uns herausfordern und uns selbst zeigen, dass Wiegedood auch anders klingen kann. Das gesamte Werk ist eine große und bewusste Veränderung.
Ein sehr guter Track des Albums ist „Now Will Always Be“. Ist das eine dystopische Einschätzung, die sich um die Pandemie und ihre Folgen dreht?
Eigentlich ist der Song viel meditativer gedacht, denn der gesamte Text hat nur sechs Zeilen. Es ist eine Art Mantra, das man sich dauernd selbst wiederholen sollte. Es geht grob gesagt darum, den Moment des Hier und Jetzt zu erfassen. Zu wissen, dass es zwar eine Zukunft gibt, man das Leben aber in der Gegenwart leben sollte.
Kann man sagen, das übergreifende Thema ist, immer wieder aufzustehen, sich treu zu bleiben und trotzdem Lebenspfade außerhalb der sogenannten Norm zu beschreiten?
Wenn ich mir die Texte unserer ersten drei Alben heute durchlese, denke ich mir oft: „Mann, hör doch auf herum zu heulen.“ (lacht) Man kann aufstehen und kämpfen, oder sich hinlegen und hoffen, dass im Leben alles einfach so vorbeirauscht. Diese Wahl habe ich getroffen und jetzt auch lyrisch anders umgesetzt. Egal wie schlimm die Situation oder die Umstände sind, es gibt immer einen Ausweg. Es gibt immer eine Option, um vorwärtszukommen. Stillstand bedeutet Rückschritt.
Ist das der Grund, warum das Album mit „FN SCAR 16“ beginnt, einem belgischen Maschinengewehr? Als pures Statement?
(lacht) Der Grund ist ganz profan. Als wir einmal in Florida auf Tour waren, besuchten wir eine Schießanlage, wo wir sehr viel Spaß hatten. Der Song klingt wie ein Maschinengewehr, dass in Hochgeschwindigkeit ausgeschossen wird, bevor man nachlädt. Also dachten wir, das der Songtitel doch sehr gut dazu passen würde. Warum nicht?
Willst du den Black Metal auch ein bisschen revolutionieren, indem du mit Wiegedood immer nach einer neuen Farbe im Genre suchst?
Das wäre etwas zu hochgegriffen. Wir wollen aber uns selbst und unseren Sound revolutionieren. Wir wollen nicht immer dasselbe Album schreiben, das gleich klingt und denselben Flow hat. Wenn wir an einem Album arbeiten, dann verknüpfen wir damit auch unser Leben und die Dinge, die gerade darin passieren. Das heißt also nicht, dass Wiegedood in Zukunft immer ein Django-Reinhardt-Riff haben wird. In zehn Jahren will ich wahrscheinlich etwas anderes bei uns einbauen. Wir starten immer mit Riffs und haben den Black Metal als Grundstruktur im Visier, aber verschließen uns nicht anderen Ideen und Einflüssen. Dinge, die heute komisch oder sonderbar wirken, könnten in fünf Jahren perfekt zu einem Album passen. Man darf sich vor allem nicht limitieren, wenn man seinem Klang immer einen neuen Stempel ausdrücken möchte. Wir sind aber sicher nicht die neue Black-Metal-Sensation.
Es ist auch nicht immer so leicht, allem ein bestimmtes Label überzustülpen.
Das ist so eine Sache der Musikindustrie. Ich höre so oft Musik, die nicht pur Black Metal, Death Metal oder etwas anderes ist. Die Leute brauchen ihre Nischen und Schubladen, aber eigentlich wäre es doch wesentlich angenehmer ohne. Wir hätten auf Tour Portrayal Of Guilt mit dabei gehabt. Bei denen ist alles involviert, ohne dass man sie gleich in eine Ecke drängen kann. So will ich Musik hören und auch selbst machen.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.