Immer mehr Wahlärzte

Alarmierend: Österreich gehen die Kinderärzte aus!

Österreich
27.12.2021 06:00

Immer mehr Arztpraxen für unsere Kleinsten bleiben verwaist. Wegen schlechter Arbeitsbedingungen und niedrigerer Honorare tun sich Jungmediziner den Job des Kinderarztes kaum mehr an. Für die Eltern bedeutet das längere Wege und mehr Kosten.

Der kleine Michael (4) leidet an starkem Husten, das Schlucken tut ihm weh, auch die Temperatur ist erhöht. Mama Angelika (Name von der Redaktion geändert) ist verzweifelt. Bisher fuhr sie in solchen Fällen samt Kind zum wenige Hundert Meter entfernten „Onkel Doktor“. Dort fühlte sich Michael wohl, er fasste Vertrauen in den Mediziner, von dem er schon seit der Geburt betreut wird.

Doch der trat seine wohlverdiente Pension an - für seine Praxis fand er bisher trotz aller Bemühungen keinen Nachfolger. Stattdessen muss er die Räumlichkeiten nun wohl oder übel verkaufen. Was mit der großen Ordination passiert, ist völlig unklar. Ebenso unklar ist für Mama Angelika, wohin sie ihren Nachwuchs jetzt bringen soll. In ihrem Bezirk gibt es kaum noch Kinderärzte, die über die Krankenkasse verrechnen. Für einen Wahlarzt fehlt der zweifachen alleinerziehenden Mama schlicht und einfach das Geld. Ein Problem, das sich schon lange abzeichnete und zu lange ignoriert wurde.

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Wir fordern insgesamt rund 1300 zusätzliche Kassenärzte im ganzen Land. Nur wenn wir hier ganz deutlich aufstocken, ist ein niederschwelliger Zugang zum System möglich.

Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer

Vor allem in Wien stimmt die Entwicklung der Versorgung mit Kassen-Kinderärzten seit 2010 bedenklich. 20 Ärzte gingen in den letzten elf Jahren in Pension - zumindest 14 fehlen aktuell.

Größtes Bundesland mit nur noch 38 Kinderärzten
Auch in den anderen Bundesländern sieht die Lage nicht weniger dramatisch aus. Geht man nach den Ärzten in Zahlen, verdeutlicht sich die Problematik. Im flächenmäßig größten Bundesland Niederösterreich ordinieren nur 38 Kinderärzte auf Kasse, 13 mehr wären notwendig. In Oberösterreich fehlen sechs Mediziner, in Tirol drei.

Auch in der Steiermark und in Salzburg sucht man händeringend nach zwei Ärzten, die sich um das Kindeswohl sorgen, in Vorarlberg einen. Bei den Zahlen handelt es sich nur um die absolut notwendigen Posten, die die flächendeckende Versorgung gewährleisten. Laut Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres bräuchte es viel mehr, um im Angebot möglichst niederschwellig zu bleiben. Denn nicht jede Familie hat das Geld, um sich Wahlärzte leisten zu können. Und die Bevölkerung wächst.

Ärzte kritisieren Kasse: Konzept liegt fertig vor
Grund genug für die Ärztekammer, heftige Kritik an der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zu üben. Man habe ein fertiges Konzept entwickelt, angelehnt auch an die von der Politik so oft geforderten Primärversorgungseinheiten (PVE). In jenen sollen die verschiedensten Gesundheits- und Sozialberufe als Erstanlaufstelle für Patienten agieren. Wenn ein Kind also an Ernährungsproblemen leidet, müssten etwa die Wege zu Diätologe und Psychologe kurz gehalten werden. Der Vorschlag für Gruppenpraxen wurde von der Politik auch wohlwollend aufgenommen – jetzt liege dieser aber seit Monaten bei der ÖGK. Laut Kammer blockiert die Kasse seither jegliche Planungen.

Fakten

  • 41 Kinder- und Jugendärzte fehlen aktuell im gesamten Bundesgebiet
  • Seit 2010 sank die Zahl aller Kassenärzte in Wien um fast zwölf Prozent
  • Die Zahl der Wahlärzte steigt an: Vor elf Jahren waren es noch 4778. Heute sind es 5610 Mediziner.

Bei der ÖGK zeigt man sich auf „Krone“-Anfrage überrascht. Auf Bundesebene würden aktuell Gespräche laufen, um auch Kinderärzten die Gründung einer PVE zu ermöglichen. Gleichzeitig habe man selbst Konzepte zur Kinderversorgung erstellt und umgesetzt, verweist auf das erst im Mai eröffnete Kinderambulatorium Wien-Margareten. Jenes orientiere sich bereits am Modell der Gruppenpraxis und habe auch am Wochenende und an Feiertagen geöffnet, heißt es.

Wann Ärztekammer und Krankenkasse auf einen grünen Zweig kommen, bleibt vorerst abzuwarten. Bis dahin muss auch Mama Angelika für ihren Sohn noch längere Wege und empfindlich höhere Honorare in Kauf nehmen.

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