Die Letzten

Der „Daniel Düsentrieb“ der Rodelherstellung

Vorarlberg
29.11.2021 07:55

In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Kürzlich hat er dem Rodelmacher Anton Bereuter über die Schulter geschaut.

Im Winter, nach der Schule, veranstalteten wir regelmäßig Rodelrennen mit den Nachbarkindern. Damals war die Straße noch eine weiße Schneefahrbahn, die nur uns Kindern gehörte. Kaum war der Unterricht aus, flog ich mehr schlecht als recht in die Schuhe und den Anorak, vergaß oft Mütze und Wollhandschuhe, packte den Rodel und sauste die Straße hinab. Ich gewann nur selten. Die Mädchen vom Nachbarhaus waren meistens schneller. Sie hatten einfach die besseren Rodel. Oder fuhren und lenkten sie geschickter? Wenn ich gewann, dann nur durch ein gemeines Foul, indem ich meine Gegner von hinten touchierte und aus der Bahn warf.

Diese Erinnerungen kommen wieder hoch, als ich in Alberschwende den Tischlermeister Anton Bereuter besuche, der sich einen über die Grenzen hinaus bekannten Namen als Rodelbauer erarbeitet hat. Bereuters „Ländlerodel“ sind berühmt und stehen für Qualität und Scharfsinn aus Vorarlberg. Ach, hätte ich damals so einen ausgetüftelten Schlitten besessen, ich hätte mir beim Ankleiden endlos Zeit lassen können!

Vor Bereuters Werkstatt lagert ein großer Stapel abgelängter Eschenholzdielen. Daraus baut er seine Rodel. Der Nebel ist so dicht an diesem Nachmittag, dass man kaum bis zum Nachbarhaus sieht. Ich klopfe an der Tür zur Werkstatt. Hinter der Glasscheibe sehe ich den Meister. Er telefoniert gerade. Weihnachten steht an, und Schnee ist auch vorhergesagt. Später erzählt mir Anton in knappen Worten, dass das Rodelgeschäft natürlich immer von der Schneelage abhängig ist. „Letztes Jahr war ein gutes Jahr. Da gab es genug Schnee.“ Er redet nicht gern, der Anton. Das ist seine Sache nicht. Er ist dennoch ein sehr freundlicher Mann. Lieber zeigt und demonstriert er ohne große Worte die einzelnen Arbeitsschritte - vom Leimen der Lamellen über das Anbringen der Laufsohle aus Flachstahl, das Beziehen der Sitzfläche mit Sitzgeflecht, bis zum fertigen Steuerseil.

Ein Tüftler durch und durch
Die Lamellen, die dann die Kufe ergeben, sind alle handverlesen. Anton schaut sich die Brettchen drei Mal an, dreht und wendet sie. „Sie müssen astfrei sein und in unterschiedlichen Schichten verleimt werden.“ Schließlich wird die Kufe gepresst und erhält somit ihr schnittiges Aussehen. Es folgen mehrere Schritte des Schleifens und Abrundens, das Einfräsen der Zapfenlöcher für den Sitzbock, das Anbohren der Löcher zur Befestigung des Laufstahls, ehe die Kufen in den Lackierraum kommen.

Sind Kufen, Böcke und Holme des Rodels getrocknet, geht es in einen anderen Raum der Werkstatt. Dort wird der Laufstahl aufgebracht. Auch hier hat Anton selbst getüftelt und eine Methode gefunden, die Schiene aufzubringen, ohne dass sich der Stahl verfärbt. Er werkelt mausallein in seinen vier Wänden. Der „Ländlerodel“ ist nur eines seiner pfiffigen Produkte. So hat er eine „Gebirgsküche“ ersonnen und gebaut. Der Grundgedanke war, eine transportable Kleinküche zu bauen, die auf einem Tragegestell überall hin mitgenommen werden kann.

Eine „Wohlfühl- und Wetterstation“ mit Thermometer und Barometer hat er sich auch ausgedacht oder einen „Umadum“-Kindersessel, einen Holzwürfel, bei dem die Sitzhöhe je nach Drehen ausgewählt werden kann. Das Kindbleiben ist Anton sehr wichtig. Er liebt das Arbeiten mit dem Werkstoff Holz. Es ist für ihn wie damals, als er noch klein war und „ghüslat“ hat. Nachdem die Laufschiene auf den Kufen angebracht ist, geht es an das Bespannen der Sitzfläche des Rodels mit dem knallig-roten Sitzgeflecht. Kommt noch das Steuerseil hinzu, das mit einem Gummischlauch überzogen wird.

Ausgeklügeltes System
Ich soll mich mal ruhig auf so einen „Freizeitrodel“ setzen, sagt Anton. Etwas ungelenkig lasse ich mich auf den Rodel plumpsen. „Die Füße vorne aufsetzen und dann in die Kurve legen“, gibt mir Anton Anweisung. Jetzt merke ich erst, wie ausgeklügelt dieses Gefährt ist, in den Kurven mitgeht, indem das Holz etwas nachgibt. „Hätte ich bloß so einen Schlitten damals in der Schule gehabt!“, kommt mir wieder der Gedanke.

Anton Bereuter baut auch spezielle Sport-und Rennrodel, wo die individuelle Abstimmung mit dem Kunden Schritt für Schritt erfolgen kann. Die Laufschienen haben einen Freiwinkel von 15, 22 oder 25 Grad. Zur Verbesserung des Sitzkomforts sind beim vorderen Bock zwei Vertiefungen und beim hinteren Bock eine flache Rundung ausgenommen. Durch die zusätzliche Seitenpolsterung entsteht ein optimaler Halt. Das Sitzpolster ist aus Leder. Mit so einem Modell hat Bereuter im Jahr 2006 den Anerkennungspreis bei „Handwerk+Form“ gewonnen.

Rodelspaß für alle
Aber er wird dennoch nicht müde, Rodel für jedermann herzustellen. So hat er angefangen, eine spezielle Form des Freizeitrodels für Menschen mit Behinderung zu konstruieren. Diese Schlitten sind breiter, höher, haben eine Ablage für die Füße sowie eine extra Rückenlehne. „Es soll doch jeder Spaß am Rodeln haben, oder nicht?“, fragt Anton und lächelt mich an. Ob er mich Ungelenken damit meint?

Anton Bereuters Rodel sind weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und überaus begehrt. Der Alberschwender Anton Bereuter ist gleichermaßen Tüftler wie Perfektionist. So sind etwa die Lamellen der Kufen allesamt handverlesen.

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