Altes Handwerk

„Wir haben noch krumme Nägel gerade geklopft“

Vorarlberg
25.07.2021 11:55

In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert der Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Jüngst hat er den Schindelmacher Franz Scheibenstock im Montafon besucht.

Meine Reise in die handwerkliche Vergangenheit unseres Landstrichs verschlägt mich heute auf den Sonnenbalkon des Montafon, hoch über Bartholomäberg, ins Rellseck. Nach den tagelangen Regenfällen ist das Hochjoch noch wolkenverhangen. Die Riesen des Silvretta-Gebirges sind nur zu erahnen, aber der Rätikon liegt klar umrissen in einem herrlichen Sommerblau. Eine steife Nordostbrise fegt durch das ungemein zarte und vielfältige Gras der Magerwiesen. An der sonnenverbrannten Wand eines Heustadels lehnen zwei Mountainbiker aus Holland und genießen den unvergleichlichen Ausblick.

Franz Scheibenstock, 72, aus Schruns, hat mich herauf begleitet, denn im Rellseck befindet sich eine kleine Freiluftschau für uralte Techniken in Holz. Hier demonstriert er, wie man vor 200 Jahren mit langen Eisenbohrern Brunnenröhren aus Fichtenrundlingen gebohrt oder mit der Breitaxt Rundholz zu Pfetten behauen hat. Mich interessiert vor allem das alte Schindelmacherhandwerk, das die Bauern früher so nebenher betrieben haben. Franz hat es noch direkt von seinem Vater gelernt.

Der Name Scheibenstock klinge nicht gerade nach Montafon, sage ich, worauf Franz antwortet, dass die Scheibenstocks schon vor 300 Jahren aus dem Südtirol ins Montafon gezogen seien. Montafonerischer geht’s wohl nicht.

Franz ist ein etwas untersetzter Mann, der eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlt. Er wirkt zufrieden mit sich und seinem Leben. Diese Zufriedenheit habe er seiner Kindheit zu verdanken und den Bergen, in denen er aufgewachsen ist. Zwar hätten alle auf dem Bauernhof mithelfen müssen, und das Wort „Schwimmbad“ sei ein Fremdwort für ihn gewesen. Aber die familiäre Geborgenheit habe ihm die ganze Kraft für sein späteres Leben gegeben. Er war jahrzehntelang Fernfahrer, dann Baggerfahrer. Nach der Pensionierung wollte er nicht einfach nur herumsitzen, sondern ist wieder zu den Wurzeln zurückgekehrt, betreibt heute eine kleine Landwirtschaft und das Schindelbrechen, wie es ihm der „Dätta“ beigebracht hat.

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In den alten Häusern war es zugig. Das würden die Jungen heute gar nicht mehr aushalten

Franz Scheibenstock

„In den alten Häusern war es zugig“
„Wichtig ist, dass man das Holz von langsam gewachsenen Fichten verwendet und es im Winter im richtigen Zeichen schlägt“, erzählt Franz. „Geeignet sind nur Bäume mit einer Linksdrehung, und sie sollten von Hand aufgespalten sein, damit das Holz seine Form behält. Die Wuchsrichtung muss man kennen, weil die Schindel so auf dem Dach liegen soll, wie der Baum gewachsen ist. Außerdem sollte ein Schindeldach immer ein wenig aufgestellt sein, was optisch vielleicht nicht so schön aussieht, aber der Luftzirkulation dient. In den alten Häusern war es zugig. Das würden die Jungen heute gar nicht mehr aushalten.“

Er lacht und nimmt einen „Spälta“, stellt ihn in eine Vorrichtung, fängt an mit Holzschlägel und Schindelmesser ca. 12 bis 14 mm dicke Schindeln zu brechen. Er hat die Burren auf eine Länge von 50 cm geschnitten, weil man im Montafon von jeher vierfach gedeckt hat. „Diese Dächer hielten 20 bis 50 Jahre, je nach Höhenlage. Wo der Schnee länger auf den Dächern liegen blieb, haben sich auch die Schindeln länger gehalten. Ganz früher haben die Bauern ihre baufälligen Dächer abgedeckt, die Schindeln einfach umgedreht, und so das Dach wieder eingedeckt.“ Und Franz fügt gleich einen Scherz hinzu: „D’Muntafunr sind halt spärige Lüt gsi.“

Er habe seinem Vater oft geholfen, krumme, rostige Nägel wieder gerade zu klopfen. Stundenlang. Man hat damals nichts weggeworfen und praktisch keinen Müll produziert. Am Schluss „putzt“ er jede Schindel sorgfältig, entfernt den „Splint“, den äußeren Rand, und auch das Mark, weil es zu unruhig wäre. Dann führt er mich zu einem kleinen Schindeldachmodell, wo er anhand der Richtschnur die Schindeln mit Kennerblick haargenau nebeneinander legt und mit speziell dünnen Stiften annagelt. „Als es noch keine Nägel gab und die Dächer nicht zu steil waren, wurden die Schindeln mit langen Rundlingen und Steinen beschwert.“

Ein durch und durch zufriedener Mensch
Die Brise wird heftiger hier oben im Rellseck. Wir stellen uns in einen windgeschützten Unterstand. Ob er in seinem Leben etwas bereue, frage ich Franz Scheibenstock. Er denkt lange nach. „I ha immr gnua zum Ässa kha, Arbat und Häs“, sagt er, und es klingt wie aus einer anderen Welt.

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I ha immr gnua zum Ässa kha, Arbat und Häs!

Franz Scheibenstock

Wenn er ganz ehrlich sei, habe er von seinen drei Töchtern - die alle verheiratet sind und selbst Familie haben - zu wenig mitbekommen. Man hat halt viel gearbeitet. Als aber meine älteste Tochter zu mir sagte „Du, Papa, ich heirate jetzt“, habe er sich gefragt, wo war ihre Kindheit. „Äs tut denn scho Rüpf“, fügt er hinzu. Das wäre das Einzige, was er heute anders machen würde. Mehr Zeit mit den Kindern verbringen.

Die Begegnung mit Franz Scheibenstock hinterlässt in mir den Eindruck eines mit sich rundum zufriedenen Menschen. Eine Beobachtung, die ich so oft gemacht habe auf meiner wunderbaren Reise in die Vergangenheit Vorarlbergs.

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