Arbeit,Psyche & Corona

„Arbeit soll so flexibel wie möglich sein“

Vorarlberg
03.07.2021 10:55

Der Unternehmensberater Peter Flatscher spricht im Interview über New Work und Digitalisierung und erklärt, wie Corona die Arbeit verändert und warum es immer um den individuellen Nutzen und die Sinnfrage geht.

Krone: Der Begriff „New Work“ geht auf den erst kürzlich verstorbenen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück, der bereits in den 1980er-Jahren die Theorie einer neuen Arbeitswelt entwickelt hat. In seinen Augen sollte Arbeit das Mittel sein, mit dem sich der Mensch als freies Individuum verwirklichen kann. Inwiefern hat sich der Begriff seither gewandelt - schon vor Corona?
Flatscher: Derartige Begriffe bzw. Konzepte unterliegen meiner Meinung nach immer einem stetigen Wandel, so wie sich auch die Welt ständig verändert. Im Kern aber ist die Idee hinter New Work nach wie vor dieselbe. War es bei Bergmann die Automatisierung, die den Menschen mehr Freiheit bieten sollte, so ist es heute die Digitalisierung. Im Prinzip also war und ist es ein Technologiesprung. Unternehmen hatten und haben dadurch die Aufgabe, sich mit der Gestaltung der Arbeit auseinanderzusetzen. Währenddessen stellt sich der einzelne Mitarbeiter die Frage: Wie möchte ich überhaupt arbeiten? Wie kann ich die durch die Digitalisierung gewonnene Freiheit nutzen?

Aber hat sich nicht gerade im vergangenen Jahr gezeigt, dass die Digitalisierung nicht immer mit neuen Freiheiten einhergeht? Viele Arbeitnehmer haben das Homeoffice etwa als große Belastung empfunden.
Das stimmt. Allerdings sind die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit schon vor Corona immer mehr verschwommen. Das muss im Übrigen gar nicht negativ sein, allerdings geht es darum, die richtige Balance zu schaffen. Wobei ich den Begriff der „Work-Life-Balance“ eher durch „One-Life-Balance“ ersetzen würde. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber haben den Anspruch, dass Arbeit so flexibel wie möglich sein soll. Dann aber muss man sich unter anderem fragen, ob Leistung wirklich nur in Zeit gemessen werden kann. Gleichzeitig muss allen Beteiligten klar sein, dass Flexibilität und Freiheit auch Verantwortung mit sich bringen.

Für viele funktioniert das Homeoffice, für andere überhaupt nicht. Kann es da überhaupt eine einheitliche Lösung geben?
Meiner Meinung nach nicht. Es braucht arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, die für alle gelten. In den Unternehmen braucht es jedoch Leitplanken, innerhalb derer sich die Arbeitnehmer bewegen können. Weil aber ein Unternehmen ein soziales Gebilde ist, das sich von anderen strukturell und kulturell unterscheidet, werden auch die Lösungen bezüglich Homeoffice und Büro-Präsenz unterschiedlich sein. Fakt ist: Das eine für alle richtige Konzept gibt es nicht.

New Work rückt vor allem die Sinnfrage in den Vordergrund. Hat sich die Frage nach dem, wie es Bergmann ausdrückt, „was ich wirklich, wirklich will“ durch Corona verstärkt?
Corona hat die Einstellung der Menschen sicherlich verändert. Wie stark wird sich erst noch weisen. Corona beeinflusst aber nicht nur das Mindset, sondern drei weitere Bereiche, die in meinen Augen ebenfalls eng mit New Work verknüpft sind: Raum, Methodik und Führung. Viele mussten von heute auf morgen ins Homeoffice wechseln. Die Art der Zusammenarbeit und die dafür benötigten digitalen Tools haben sich zum Teil komplett verändert. Auch die Teamführung musste plötzlich neu interpretiert werden. Führungskräfte waren und sind extrem gefordert, das soziale Gebilde zusammenzuhalten. Jedes Unternehmen, wenn nicht sogar jede Abteilung, musste nach passenden Lösungen suchen. Und dadurch, dass derart viele Bereiche komplett auf den Kopf gestellt wurden, fragen sich nun viele: Was möchte ich wirklich?

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Weil derart viele Bereiche komplett auf den Kopf gestellt wurden, fragen sich nun viele Menschen wieder: Was möchte ich wirklich?

Peter Flatscher

Viele wollen die „alte Normalität“ gar nicht mehr zurückhaben.
Stimmt. Und andere können es gar nicht mehr erwarten. Entsprechend braucht es zwar arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, die neues Arbeiten ermöglichen, aber eben auch möglichst breite Leitplanken in den Unternehmen, sodass jeder Mitarbeiter seine individuelle Lösung finden kann. Die Kernfragen werden immer die gleichen sein: Wie arbeiten wir? Wie arbeiten wir zusammen? Und vor allem: Wie organisieren wir uns? Das sind uralte betriebswirtschaftliche Fragen, die wir uns auch in Zukunft immer wieder stellen werden. Die Antworten und die dafür benötigten Instrumente werden allerdings neu sein.

New Work sollte also Teil der Unternehmenskultur sein?
Im besten Fall, ja. Die spannende Frage aber ist: Wie entwickelt sich eine Unternehmenskultur? Kann man sie überhaupt gezielt steuern? Strukturelle Prozesse und Kultur hängen sehr eng zusammen. Ein Beispiel: Seit über einem Jahr arbeiten viele im Homeoffice, verlagern etliche Dokumente in die Cloud, verwenden Messenger, Whatsapp usw. statt Mails. Das alles macht etwas mit der Kultur.

Fakten

Zur Person: Peter Flatscher berät Unternehmen in den Bereichen Strategie, Geschäftsmodell und Veränderungsmanagement. Zudem ist er als externer Lehrbeauftragter bei der FH Vorarlberg, in Schloss Hofen und im WIFI Vorarlberg tätig.

„New Work in Progress“ sozusagen. Was bedeutet das für die Führungskräfte, die seit Beginn der Pandemie ohnehin sehr gefordert sind?
Nun, sie müssen sich auf jeden Fall damit auseinandersetzen, dass sich vieles im Wandel befindet. Das ist seit jeher Teil ihrer Aufgabe, jedoch nicht in diesem Ausmaß. Insofern sollten sie das eine oder andere Bestehende hinterfragen, ohne gleich alles über den Haufen zu werfen. Passt es noch, wie wir arbeiten, wie wir uns organisieren? Wenn nicht: Was und wie können wir es ändern, sodass alle einen Nutzen davon haben? Es kann nie jedem recht gemacht werden, aber es braucht einen möglichst großen gemeinsamen und sinnstiftenden Nenner. Ansonsten kommt es voraussichtlich zum berühmten Boomerang-Effekt: Die Kernthese Bergmanns war, dass wir durch die Automatisierung bzw. nun eben durch die Digitalisierung Freiheiten bekommen, die wir nutzen können. So wird Arbeit sinnstiftend. Ein unreflektierter Einsatz von Technologien kann allerdings schnell zum Boomerang werden und alles kaputt machen. Das Prinzip „One-size-fits-all“ funktioniert einfach nicht. Schon gar nicht im Hinblick auf New Work, die ja vom Grundgedanken her sehr stark mit dem einzelnen Individuum und dessen Bedürfnissen verwoben ist. In diesem Zusammenhang wäre es sogar fatal, wenn ein Konzept für alle gelten würde.

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