"Tolles Guantanamo"

Rumsfeld schreibt in Memoiren die Geschichte um

Ausland
09.02.2011 10:06
Die Aufregung über die kürzlich veröffentlichten Memoiren von US-Altpräsident George W. Bush war groß, doch sein ehemaliger Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schießt mit seiner neuen Biografie "Known and Unknown" den Vogel ab. Anders als Bush, der in seinem Buch "nur" offensichtliche Fehlentscheidungen bei 9/11 und Katrina relativiert, schreibt Rumsfeld die Geschichte praktisch neu. Kostprobe? Das Gefangenenlager Guantanamo Bay ist "eines der besten Gefängnisse der Welt", in dem "nicht gefoltert und niemand verletzt wurde".

Rumsfeld, von Bush einst liebevoll "Rumstud" genannt, traf die Ächtung nach seinem Ausscheiden aus der Regierung so gnadenlos wie keinen anderen. Mit Bush hatten die Amerikaner gegen Ende seiner Amtszeit fast schon Mitleid, der forsche Verteidigungsminister personifizierte hingegen den Übermut, die Rechthaberei und die fatalen Fehleinschätzungen der USA beim Kriegsgang im Irak - und er wurde dafür bestraft. 2006 drängte Bush den Minister zum Rücktritt, danach mieden selbst republikanische Parteikollegen den zur Belastung gewordenen Politiker. Rumsfeld verschwand in einer Versenkung, aus der heraus er sich erst am Dienstag mit seinen Memoiren meldete. Der Gedemütigte rechnet jetzt ab: Er schildert die Bush-Regierung als Hort von Inkompetenz und Intrigantentum.

Das "alte Europa" stärkte Saddam
Rumsfeld teilt Vorwürfe in alle Richtungen aus - bis hin zu der Aussage, die Kriegsgegner Deutschland und Frankreich trügen eine Mitschuld am Irak-Krieg. Mit ihrer Ablehnung hätten der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Jacques Chirac eine Eskalation bewirkt: "Die Franzosen und Deutschen vermittelten dem Regime Saddams - ob mit Absicht oder nicht - den Eindruck, es könne eine militärische Konfrontation aufhalten", schreibt Rumsfeld. "Indem sie Saddam ein falsches Gefühl der Sicherheit gaben - und dadurch den Anreiz für ihn zur Befolgung der UNO-Forderungen schwächten -, haben Deutschland und Frankreich ohne Zweifel die Kriegswahrscheinlichkeit erhöht, nicht verringert."

Rumsfelds gefürchtete Rauflust ist auch mit 78 Jahren ungebrochen. Mit Befriedigung stellt er fest, dass sein abfälliges Wort vom "alten Europa", das sich dem Irak-Krieg entgegenstellte, "längst zum Teil des allgemeinen Sprachguts geworden" sei. "Die Äußerungen haben einen Aufschrei verursacht, vor allem bei denen, die gemeint waren", schreibt Rumsfeld. Gemeint gewesen seien "die Eliten in Paris und Bonn", fügt er hinzu - in Missachtung der Tatsache, dass die deutsche Regierung damals längst nach Berlin umgezogen war. Der Begriff "altes Europa" sei ihm "versehentlich" rausgerutscht, bereut habe er ihn aber nie: "Alles in allem hat mich der Wirbel amüsiert."

Alle sind schuld, nur nicht "Rumstud"
Der frühere Verteidigungsminister präsentiert sich in den Memoiren als Ressortchef für Selbstverteidigung. Am Abgleiten des besetzten Irak in Chaos und Gewalt trügen andere Schuld: überforderte Amtsinhaber wie Bushs erster Außenminister Colin Powell und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice etwa oder die Geheimdienste, welche den Aufstand gegen die US-Besatzer nicht hätten kommen sehen. Rumsfelds besonderer Zorn gilt seinem Kabinettskollegen Powell, der sich später vom Irak-Krieg distanziert hatte. Powell habe sich in internen Sitzungen nie gegen den Krieg ausgesprochen: "Es ist in den Medien viel zu lesen, dass Colin Powell dagegen war", sagte Rumsfeld süffisant dem Sender ABC. "Davon habe ich aber nicht das Geringste gemerkt."

Das umstrittene US-Gefangenenlager Guantanamo in Kuba bezeichnet Rumsfeld als "eines der besten Gefängnisse der Welt". Aus ihm unbekannten Grund sei es aber der US-Regierung nicht gelungen, den Menschen zu vermitteln, dass in Guantanamo "nicht gefoltert wurde, dass niemand verletzt wurde", sagte Rumsfeld "Fox News". Das für das Lager verantwortliche Militärpersonal sei "unfairer Weise" im Kreuzfeuer der Kritik gestanden, es verdiene im Gegenteil "sehr viel Lob" für seine Leistung, fügte Rumsfeld. Zugleich kritisierte er die Ankündigung des heutigen US-Präsidenten Barack Obama, das Anfang 2002 eröffnete Lager auf Kuba schließen zu wollen. Während des Wahlkampfes 2008 habe Obama die unbefristete Inhaftierung von "illegalen Kombattanten" und die "Sondermilitärtribunale" scharf kritisiert, sagte Rumsfeld. Zwei Jahre nach Obamas Wahl existierten alle diese Dinge noch. "Nicht weil irgendwer möchte, dass sie noch da sind, sondern weil es die beste Lösung ist."

Irak-Krieg: "Es ging nie um das Ob, sonder nur um das Wie"
Rumsfelds Buch gewährt außerdem einen Einblick in bittere Machtkämpfe zwischen Verteidigungs- und Außenministerium in Washington und in chaotische Prozesse der Entscheidungsfindung hinter den Kulissen. Und er illustriert, mit welchem Übermaß an Gewissheit Bushs Regierung in den Krieg zog. In seinen Gesprächen mit Bush sei es nie um das Ob, sondern nur um das Wie des Kriegs gegangen: "Ich kann mich nicht erinnern, dass er mich jemals gefragt hätte, ob ein Kriegszug gegen den Irak die richtige Entscheidung wäre." Rumsfeld macht deutlich, dass er die Entscheidung nach wie vor für richtig hält: "Dass die Region von der brutalen Diktatur Saddam Husseins befreit wurde, hat eine stabilere und sicherere Welt geschaffen."

Wirkliche Reue zeigt er hingegen im Zusammenhang mit den skandalösen Fotos zur Misshandlung irakischer Gefangener durch US-Soldaten im Gefängnis Abu Ghraib, die 2004 ans Licht kamen. Er hätte damals zurücktreten müssen, schreibt er heute: "Mehr als alles andere, das ich versäumt habe, bedaure ich, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht gegangen bin."

Wenig später bläst er dann in dem Buch zum Ritt gegen Menschenrechtsaktivisten und US-Kritiker, die der Bush-Regierung systematische Folter von Kriegsgefangenen vorwerfen. Dass den USA überhaupt so etwas vorgeworfen werden konnte, liege an der Genfer Konvention, die nicht berücksichtige, dass Gefangene in "asymmetrischen Krieg" einer härteren Behandlung bedürfen. Und freilich sei es auch "völlig neuartig" gewesen, als das amerikanische Höchstgericht den Guantanamo-Gefangenen Rechte zusprach.

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