„Das alte Tier“

„Als Kind versteht man das nicht“

Vorarlberg
24.11.2020 16:45

In seiner Interviewreihe „Das alte Tier“ spricht Autor Robert Schneider mit ganz unterschiedlichen Menschen über „Corona“. Heute ist Heike Flatz, Ärztin für Allgemeinmedizin, seine Gesprächspartnerin.

Frau Dr. Flatz, was für ein Jahr! Hatten Sie als Ärztin Angst vor der Pandemie?

Ich war verunsichert. Angst hatte ich nicht. Angst habe ich dann, wenn ich eine konkrete Bedrohung vor mir sehe. Einen Säbelzahntiger, den Verlust meines Jobs...

...aber die Szenarien waren recht konkret. Tausende Tote durch Corona...

Für mich war nicht klar, ob Corona zur Bedrohung werden kann. Mich beschäftigte mehr, was geschieht, wenn die Grenzen dicht gemacht werden. Was passiert in den Ballungszentren? Weil die Schulen geschlossen wurden, bin ich mit den Kindern kurz entschlossen nach Oberösterreich auf einen Bauernhof gefahren. Ich wollte in einem anderen Setting sein, wollte nicht, dass sie mitbekommen, dass eine außergewöhnliche Situation herrscht. Ich kann mich noch gut an Tschernobyl erinnern, wie das für eine Kinderseele ist, wenn die Erwachsenen so in Aufruhr sind. Als Kind versteht man das nicht.

Wie haben Sie sich als Ärztin über Covid schlau gemacht?

Die Ärztekammer hat uns jeden Tag per E-Mail sehr gut informiert. Über Vorgehensweise, Einrichtung der Covid-19-Ambulanzen, alles Administrative, etc.. Dann habe ich natürlich die einschlägigen fachlichen Informationsquellen benutzt wie die Webseiten des Robert-Koch-Instituts (Anm.: RKI), der Charité Berlin und in statistischer Hinsicht John P. A. Ioannidis von der Stanford University.

Wieso hat diese Erkrankung gleich am Anfang so polarisiert?

Dafür habe ich selbst auch keine Erklärung. Zugespitzt hat es sich in fachlicher Hinsicht, als der Leiter des RKI, Prof. Wieler, sagte, man solle nicht obduzieren, wohingegen der renommierte Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel aus Hamburg ganz unprätentiös der Meinung war, das sei sein Job. Er hat übrigens schon im Frühjahr geäußert, die Angst vor dem Virus sei überzogen und es beeinflusse in einer völlig übertriebenen Weise unser Leben. Ich habe mich relativ schnell der Meinung Püschels angeschlossen.

Was hat Prof. Püschel bei seinen Obduktionen herausgefunden? Können Sie mir das als Laien erklären?

Naja. Er sagte ganz klar, dass es sich um eine Atemwegserkrankung handelt, wie man das von SARS und MERS-CoV auch kennt. Er fand heraus, dass es sich um die Entstehung einer Vaskulitis handelt, also einer Gefäßwandentzündung, die unter Umständen zu einer Embolie führen kann. Aber das ist jetzt nicht etwas, was nur dieses Virus verursacht. Das gibt es auch sonst. Eine Gefäßwandentzündung kann etwa auch als Nebenwirkung verschiedener Medikamente oder bei rheumatischen Erkrankungen auftreten. Nun kommt aber die entscheidende Frage: Hat der schwere Krankheitsverlauf nur das Virus verursacht? Oder war es ein Patient, der schon eine Medikation hatte, welches die Vaskulitis indiziert, und das Virus kam eben noch erschwerend dazu, oder umgekehrt.

Zitat Icon

Ich weiß nicht, ob die Angstverbreitung Kalkül war, um die Menschen für das Virus zu sensibilisieren, damit wir achtsam miteinander umgehen.

Allgemeinmedizinerin Heike FLATZ

Also die mittlerweile zum Klischee gewordene Frage: Ist jemand mit oder an Corona verstorben?

Diese Frage stellt sich allerdings nicht erst seit Corona. Bei der Schweinegrippe gab es den klassischen Fall eines 15-jährigen Mädchens in Deutschland, das an einer Herzmuskelentzündung gestorben ist. Ein Fall, der fachlich lange diskutiert wurde. Anhand des Obduktionsberichts wurde nämlich sofort die Kausalität hergestellt: Herzmuskelentzündung durch den Schweinegrippe-Erreger. Die anderen Erreger wurden gar nicht ausgetestet. Davon gibt es jedoch etliche, welche eine Herzmuskelentzündung auslösen. Dieses „Mit-oder-an-gestorben“ war also schon bei anderen Epidemien ein ziemlich großes Thema.

Hatte jemand ein Interesse daran, das „An-Corona-verstorben“ mehr zu lancieren, als das „Mit“?

Sie unterstellen also, dass jemand dahinter steckt und sich Vorteile erhofft, das so zu verbreiten?

Ich sehe lediglich, dass eine allgegenwärtige Angst verbreitet wurde und noch immer verbreitet wird.

Ich weiß nicht, ob die Angstverbreitung Kalkül war, um die Menschen für dieses unbekannte Virus zu sensibilisieren, damit wir achtsam miteinander umgehen. Damals konnte man noch gar nichts einschätzen. Nicht einmal die Virologen.

Und heute?

Wir haben eine gewisse Überregulierung, jetzt, wo der Verlauf klarer einschätzbar ist, was zum Beispiel die Todeszahlen anlangt. Viele Vermutungen aus dem Frühjahr haben sich nicht bestätigt. Kinder sind zum Beispiel nicht die Hauptüberträger. Da könnte man so viel Druck herausnehmen, was aber leider nicht passiert. Dann muss man immer wieder darum kämpfen, die Zahl der Genesenen zu bekommen. Das ist wichtig, was die Errechnung der Inzidenzrate angeht. Was mich zudem ärgert, ist die Tatsache, dass man uns die Eigenverantwortlichkeit nicht zutraut.

Sind die Erfahrungen dieses Jahres eine Chance für unsere Gesellschaft?

Eine Riesenchance! Dass Menschen wieder selber reflektieren, sich nicht einfach auf den Standpunkt stellen, dass es die Regierung für uns tut. Dass wir in die Eigenverantwortlichkeit hineinwachsen und vor allem - im Sinne Alfred Adlers - unser Menschsein an sich wieder respektieren. Wir sind nicht der liebe Gott und können nicht alles mit Antikörpern & Co. regulieren.

Robert Schneider

Fakten

Dr. Heike Flatz, Mutter von zwei Söhnen, ist Ärztin für Allgemeinmedizin in Fußach. Seit 2012 führt sie eine eigene Praxis und hat sich auf die Therapie mit körperidenten Hormonen spezialisiert.

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