75 Jahre Befreiung: Im Konzentrationslager Mauthausen starben mehr als 100.000 Menschen. Am 5. Mai 1945 fuhr der erste Wagen der US-Armee ein. Die Befreiungsfeier findet heuer in TV und Internet statt.
Es bleibt ewig unfassbar: Mehr als 100.000 Menschen wurden im Konzentrationslager Mauthausen und seinen Außenlagern, in vielen Bundesländern gelegen, von August 1938 bis Mai 1945 ermordet oder starben noch nach der Befreiung.
„Der Großteil in den letzen Monaten“, erzählt Christian Dürr, der in Wien lebt. Er ist Kurator der Gedenkstätte. In Mauthausen befanden sich zum Schluss an die 40.000 Menschen. Der Grund: „Auschwitz, auch die Lager in Österreich wurden aufgelöst, es gab den Befehl des Reichsinnenministers Heinrich Himmler, dass kein Häftling den Alliierten in die Hand fallen dürfe“, sagt Dürr.
Daraufhin begannen „Todesmärsche“ nach Mauthausen. „Frauen, Männer, Kinder und sogar Schwangere“, erzählt Gudrun Blohberger, Pädagogin der Gedenkstätte - siehe auch Interview unten. Sie weiß von drei Kindern, die während des Marsches zur Welt kamen: „Sie haben überlebt, feiern die Befreiung des KZ Mauthausen jedes Jahr wie ihren Geburtstag.“
Tage der Befreiung
Am 28. April 1945 hatte die letzte Vergasung stattgefunden, am 29. April mussten Häftlinge Gaskammern abbauen, Zeugen wurden liquidiert. „Schon Mitte April war die Leitung des Lagers der Wiener Berufsfeuerwehr übergeben worden“, weiß Dürr. Doch erst am 3. Mai verließ das Personal der SS das Lager. Am 5. Mai fuhr das erste Fahrzeug der 11. Panzerdivision der US-Armee ein.
Den Befreiern bot sich ein Bild des Grauens: Tausende unterernährte, entkräftete, halb tote Menschen aller Altersgruppen sowie Leichenberge. Die Sicht der Häftlinge dokumentierte der spanische Fotograf Francisco Boix (1920-1951). Er war auch inhaftiert gewesen, trat später als Zeuge in Prozessen gegen Kriegsverbrecher auf.
Mit dem Fahrrad nach Polen
In der Gedenkstätte erinnern vor allem die Bauten an die Gräuel. Bei Führungen erzählen auch Gegenstände, die Häftlingen gehört haben, Lebensgeschichten. Wie etwa das Fahrrad des Überlebenden Stanislaw Kudlinski. „Ordensschwestern schenkten ihm das Rad, zu dritt - er und zwei Kameraden - fuhren sie damit heim nach Polen“, berichtet Dürr.
Feier erstmals online
Seit 1946 findet am Sonntag nach dem 5. Mai die große Befreiungsfeier mit Opferverbänden aus 40 Nationen statt. Heuer fällt sie auf den 10. Mai, zugleich Muttertag. Erstmals gibt es sie nur im Internet unter mkoe.at und auf ORF III. Die Gedenkstätte steht offen, kann aber nur unter Einhaltung der Corona-Schutzrichtlinien besucht werden.
Interview: „Befreiung gibt uns neue Hoffnung“
Die Kärntner Pädagogin Gudrun Blohberger leitet die Führungs- und Vermittlungsangebote in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Sie weiß, dass der Tag der Befreiung für Überlebende und Besucher große Bedeutung hat. Die „Krone“ traf sie in der Gedenkstätte zum Talk.
„Krone“: Wir stehen hier an der „Klagemauer“ des KZ. Ist das ein altes Schild?
Gudrun Blohberger: Nein, die Mauer wurde zynisch von den SS-Leuten so genannt. Wer ins Lager kam, musste hier seine Kleidung ablegen, er wurde dann zur Dusche, Ganzkörperrasur weitergeschickt und bekam seine Nummer tätowiert. Heute hängen hier Gedenktafeln.
Sie arbeiten fast jeden Tag hier. Ist das belastend?
Es ist zweifellos ein Ort der Schwere. Ich habe mich aber entschieden, aus Kärnten hierherzuziehen, um für Erinnerungsarbeit da zu sein.
Sie führen die Leute durch das Areal. Wie wichtig ist das Thema Befreiung bei den Führungen?
Ob Schulklassen oder Erwachsene - die Menschen, die hierherkommen, setzen sich sehr bewusst mit den Gewaltverbrechen der NS-Zeit auseinander. Auch mit Schicksalen, das wühlt die meisten auf. Doch politische Kräfte von außen besiegten das NS-System. Sie befreiten nicht nur die Häftlinge, sondern auch die österreichische und deutsche Gesellschaft. Das ist für uns heute wichtig und relevant, es gibt uns Hoffnung.
Für Überlebende war der Tag der Befreiung wie ein zweiter Geburtstag.
Gudrun Blohberger
Wie sehen Überlebende die Befreiung?
Ich begleite Überlebende oder deren Familienangehörige durch das Areal. Für Überlebende war der Tag der Befreiung wie ein zweiter Geburtstag.
Die Gedenkstätte war Corona-bedingt geschlossen. Wann öffnet sie?
Außenflächen sind ab sofort zugänglich, Gebäude bleiben zu. Wer alleine gedenken möchte, kann gerne herkommen.
Elisabeth Rathenböck, Kronen Zeitung
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