Neues Album „Square 1“

Charlie Winston: Steter Kampf für mehr Empathie

Musik
05.10.2018 07:00

Dandy, Gentleman, Vollblutmusiker - der gebürtige Brite und in Frankreich wohnhafte Charlie Winston vollführt verschiedenste Rollen mit größtmöglicher Profession. „Square 1“ nennt sich das brandneue Studioalbum des Singer/Songwriters, auf dem er sich auch schwierigen und problematischen Themen widmet. Im Gespräch mit uns gab er tieferen Einblick in sein momentanes Seelenleben.

(Bild: kmm)

Man kennt ihn vornehmlich mit Hut, feinem Zwirn, Gitarre und sanfter Stimme. Der im malerischen Cornwall geborene Singer/Songwriter Charlie Winston entstammt einer musikalischen Familie, erlernte schon im Alter von acht Klavier und Schlagzeug und studierte später Jazzklavier. Nach einer ersten Zeit in Indien und Erfolgen in TV-Produktionen nahm seine Karriere vor mehr als zehn Jahren erstmals Fahrt auf. Kultmusiker Peter Gabriel entdeckte ihn und nahm ihn in sein Vorprogramm auf, durch seine nunmehrige Ehefrau zog er nach Frankreich und hatte dort 2009 mit „Like A Hobo“ einen ersten großen Hit, der ihn landesweit berühmt machte und bis nach Österreich ausstrahlte. Der Weltenbummler ist mittlerweile Familienvater und sesshaft geworden, seine Reisen führt er hauptsächlich durch die Musik. Im Sommer spielte er in der Wiener Arena und dieser Tage erschien sein neues Album „Square 1“, von dem er uns ausführlich erzählte.

„Krone“: Charlie, auf deinem neuen Album „Square 1“ bist du musikalisch sehr vielseitig unterwegs und es ist verdammt persönlich ausgefallen.
Charlie Winston: Es ist definitiv mein persönlichstes Album und es geht darin sehr stark um objektivierte Themen - falls das irgendwie Sinn macht. (lacht) „Airport“ dreht sich um Flüchtlinge und der letzte Song „Get Up Stronger“ behandelt das Mobbing. Auch wenn es mich nicht direkt betrifft, bin ich diesen Themen extrem nahe. Jeder Song auf dem Album betrifft vielleicht nicht 100 Prozent mein Leben, aber hat immer einen Konnex dahin. Ich hoffe, dass du den Terminus „Vielseitigkeit“ nicht mit aus der Spur geraten umschreiben würdest, denn ich habe versucht, alles kongruent zusammenzufassen. Ich weiß, dass sich meine Songs immer in alle Richtungen drehen, umso wichtiger war mir, eine Klammer zu ziehen.

Meiner Empfindung nach beginnt die Reise sehr dunkel und melancholisch, aber das Album wandelt sich von der Stimmung her hin zu helleren Momenten und zu mehr Hoffnung.
Interessante Perspektive. Ich sehe das Album zusammengestellt aus zwei Hälften und „Airport“ ist für mich die Mitte. Licht und Dunkelheit wechseln sich öfters ab. Für mich ist der erste Teil wesentlich Beat-orientierter und der zweite etwas abgedrehter, fast schon spacig. Dass er dann vielleicht heller klingt, das kann ich schon nachvollziehen. Die Leute interpretieren das alle anders und ich finde jede Einschätzung irrsinnig spannend, weil es per se kein „falsch“ gibt. Ich habe mit „Until Tomorrow“ auch eine Nummer mit dem britischen Musiker Fink geschrieben, was für mich ein tolles Erlebnis war.

Wenn du ein Thema wie Mobbing aufgreifst und darüber singst - ist das ein direktes Resultat daraus, dass du deine Stimme verantwortungsbewusst für Opfer erheben möchtest?
Das kam, als ich Vater wurde. In erster Linie finde ich Empathie unheimlich wichtig. Ich bin als Songwriter sehr empathisch, aber in dieser Rolle musst du dich auch in die Schuhe jemand anderes versetzen können. Ich hörte in einem englischen Radio ein Programm über Eltern, die mit Mobbing an ihren Kindern konfrontiert wurden. Zwei Kinder von unterschiedlichen Eltern nahmen sich als Resultat daraus sogar das Leben, was mich wirklich sehr bewegt hat. Nachdem ich selbst Vater bin, fragte ich mich, was würde ich meinem Kind sagen, wenn ich in dieser Situation wäre und genau darum dreht sich „Get Up Stronger“. Für diesen Song habe ich wahnsinnig viel Zeit gebraucht, weil es alles andere als leicht ist, sich mit diesem Thema zu befassen. Du fühlst dich als Mobbing-Opfer so allein wie kaum woanders im Leben. Im Endeffekt ist es mein wichtigster Song und ich bin auch etwas stolz, dass ich ihn geschafft habe, weil er wirklich viel Zeit in Anspruch nahm. (lacht)

Interessant ist, dass du als erste Single den funkigen Song „The Weekend“ ausgekoppelt hast, der das Album an sich durch seine fröhliche Instrumentierung eigentlich gar nicht passend repräsentiert.
Da hast du schon Recht. Repräsentativ ist er tatsächlich nicht. Mir war aber immer klar, dass das erste nach außen getragene Lebenszeichen dieses Albums ein helles sein sollte. Ich hatte ein wirklich hartes Jahr im privaten Bereich. Wir sind draufgekommen, dass mein Sohn an Epilepsie erkrankt ist und ich hatte ein ernstes Rückenproblem, das mich zwei Monate komplett außer Gefecht gesetzt hat. Es waren drei Monate in der puren Familienhölle und wir wollten das Land wechseln. Ich habe „The Weekend“ bewusst als Kontra-Song gegen die anderen schweren Nummern und meine dunkle Stimmung geschrieben. Wenn meine Kinder Musik hören, dann wollen sie tanzen. Es ist ihnen egal, von wem welcher Song ist, aber er muss sie begeistern können und diese Unschuld bei Kindern imponiert mir. Ich wollte einfach einen fröhlichen, positiven Song schreiben, den auch meine Kinder mögen. Ich musste auf meiner Facebook-Seite einem Fan, der über „The Weekend“ etwas verstört war, erklären, dass alles, was ich hier mache, aus einer schweren Zeit resultiert. Im Endeffekt musste mir eine Meinung von außen egal sein. Ich weiß, dass der Song nicht repräsentativ für das Album ist, aber es mir einfach egal.

Im Opener „Spiral“ singst du sogar offen darüber, dass du dich gerade in der Hölle befindest. War das Album im Endeffekt für dich therapeutisch und half es zur Heilung?
Ich habe Anfang 2017 mit der Musik aufgehört, wollte keine Alben mehr machen und auch nicht mehr auftreten - und dann kamen noch die privaten Schicksalsschläge. Wir wollten eigentlich für ein paar Monate nach Malawi ziehen, doch dann brach die Realität über uns ein. Quasi am Abreisetag ging diese Abwärtsspirale los, die ich in dem Song verarbeitet habe. Ich habe zu dieser Zeit keine Freude mehr an der Musik gehabt und meine Philosophie war immer nur Dinge zu machen, die mir auch Spaß machen würden. „Spiral“ wurde dann direkt von einer Freundin inspiriert. Sie ist Therapeutin und hat mit mir über meine Stimmungsschwankungen gesprochen und mir damit geholfen. Sie hat mir eingebläut, dass man mit den Tiefen umgehen muss, weil das Leben wie eine Spirale nach oben und unten geht. Du hast die Wahl, ob du das gut oder schlecht siehst und das ganze Album dreht sich im Endeffekt darum. „Spiral“ musste der erste Song werden, weil ich damit quasi die Fans vom letzten Album verlassen habe.

Was war der entscheidende Grund, warum du mit der Musik aufhören wolltest?
Viele Dinge waren plötzlich außer Kontrolle - auch in meinem Kopf. Gut widerspiegeln tut diese Entscheidung der Song „Feeling Stop“. Ich hatte den untrüglichen Gedanken, das Gefühl für Musik verloren zu haben. Es war tatsächlich so simpel, da steckt nicht mehr dahinter. Ich wollte nicht noch ein Album machen, ohne irgendwas Sensationelles oder sehr Persönliches zu liefern und davon war ich weit entfernt. Ich weiß, dass ich auf der Grenze zwischen einem Pop- und einem Alternative-Künstler tänzle, aber ich schreibe keine Songs, um in die Charts zu kommen. Irgendwann bin ich dann ziemlich abgedreht und meine Frau meinte nur: „Schatz, auch wenn das jetzt verrückt klingt, aber immer wenn es in deinem Leben gerade um Musik geht, geht es dir zurzeit schlecht. Wie wäre es, einmal Abstand davon zu gewinnen?“ In dem Moment als sie mir das sagte, haben sich die Wolken gelichtet - wie im Intro bei den „Simpsons“. (lacht) Plötzlich war mir alles klar. Im Endeffekt war ich fast ein Jahr davon entfernt, aber ich fand wieder zurück. Wie Tom Waits schon immer sagte - du kannst nicht nur die Musik lieben, die Musik muss auch dich lieben. Darauf spielt der Albumtitel an, dass die Musik mich so lieben müsste wie ich sie und vice versa. Das ist wie in einer Beziehung. Wird es einseitig, kann es nicht mehr klappen. Als ich ins Studio ging, um das Album aufzunehmen, hatte ich allen gesagt, wir sollen einmal eine Woche nur jammen und improvisieren. Ich hatte vor drei Jahren mit „Curio City“ schon mein perfekt durchgeplantes Album - dieses Mal sollte aber alles spontan laufen. Ich hatte ein grobes Gefühl, wollte es aber nicht in Worte fassen. Wenn ich wusste, der Sound würde passen, dann musste ich den Klang einfangen. Ein Techniker hat anfangs sogar aufgegeben, weil er keinen Sinn darin fand, ohne Aufnahmen einfach nur dahinzuspielen. Im Endeffekt wurde er eine Schlüsselperson für den ganzen Prozess. Nach dieser Woche hat jeder mitbekommen, wo ich mit meinem Enthusiasmus hinwollte und ich musste nichts mehr erklären. Wir waren plötzlich alle im selben Boot und es ging fast von selbst. Der Teamspirit war so toll, ich habe dann im Studio auch für alle gekocht und direkt mitgekriegt, wie sich die Musik entfalten konnte.

Was war denn ausschlaggebend dafür, dass du am Ende die Liebe zur Musik wiedergefunden hast?
Jeder Tag bietet eine Wahl an, hier zu sein und zu leben. Du kannst dein Leben nutzen oder auch nicht und das wurde mir immer bewusster. Du musst dich im Moment fallen lassen können.

In der Musik kann man als Künstler seine Gefühle auch anders ausdrücken als im realen Leben. Hast du dir in deinem Musiktief auch überlegt, ob es eine andere Kunstform geben könnte, in der du dich ausdrücken möchtest?
Ich bin ein großer Fan von Filmen. Ich liebe das Regieführen und habe in diesen Bereich schon reingeschnuppert und gearbeitet. Das Leben kann manchmal wirklich verrückt sein und dich aus der Spur werfen, aber das ist okay und man lernt damit umzugehen. Da ich ein Vater bin, haben sich die Prioritäten in meinem Leben verändert und wenn der richtige Zeitpunkt kommt, dann werde ich auch mal schauspielern, Regie führen oder mein Fashionlabel forcieren. Im Leben ist es auch wichtig, geduldig zu sein und den richtigen Moment abzuwarten.

Du stammst aus England, warst lange Zeit in Paris, hast auch in Los Angeles gelebt und wolltest temporär nach Malawi. Wie hat dieses nomadenhafte Leben deine Sicht auf die Dinge allgemein verändert oder geprägt?
Das ist eine gute Frage, weil ich erst unlängst in die Heimat meiner Frau gezogen bin. Das ist ein kleiner Ort nahe Nizza im Süden von Frankreich und ich frage mich schon jetzt, wie lange ich hier bleiben kann. Ich bin ziemlich seltsam und brauche die Abwechslung. Für den Moment ist es toll, aber bleibt das so? Ich bin ja eine Art Vagabund und oft haben mich die Leute wegen meines Songs „Hobo“ gefragt, was das bedeutet. Ich fand eigentlich nie eine Antwort darauf, aber ich glaube diese Rastlosigkeit trifft das schon gut. In meinem Kopf bin ich immer unterwegs und nie nur auf einem Standort. Ich habe unlängst begonnen zu meditieren und gelernt, dass man auch viele Plätze besuchen kann, ohne physisch zu reisen.

Mit den Kindern wird das Umziehen und Reisen wohl ohnehin immer herausfordernder…
Ja, der Ältere ist schon sechs und geht bereits in die Schule. Das hat natürlich alles verändert. Davor hat mich meine Frau immer überallhin begleitet, sie denkt da ähnlich wie ich und vermisst das heute auch ein bisschen.

Was ist für dich Heimat? Wie würdest du Heimat aus deiner Warte aus definieren?
Ich denke, Heimat ist Verständnis und gute Kommunikation. Ich würde auch Vertrautheit sagen, aber nicht im Sinne von Menschen an sich, sondern eben in der Kommunikation. Wenn du kommunizieren kannst und verstanden wirst, dann fühlst du dich sicher und wohl. Jeder von uns hat Familie, Freunde und Bekannte, die einen kennen und ihn verstehen und das gibt jedem von uns ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Als ich früher viel reiste, ging es mir darum, Freunde zu sehen. Ich habe sie in Barcelona, Madrid, Berlin, Belgien oder sogar in New York oder Peking besucht. Als ich verheiratet war und Vater wurde, war es natürlich nicht mehr so leicht, von Stadt zu Stadt zu springen, um sie einfach zu sehen. Wenn wir reden, haben wir eine Verständnisebene, auf der ich mich wohlfühle. Heimat ist meiner Meinung nach jedenfalls nicht geografisch zuordenbar.

Im Endeffekt bist du zumindest der am besten gekleidete Hobo da draußen.
(lacht) Ich kleide mich auf jeden Fall besser als es Seasick Steve tut.

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