Nach Stiwoll-Blutbad

Bewohner: „Wir haben Angst, dass er zurückkommt“

Österreich
28.01.2018 06:00

Am Sonntag vor drei Monaten richtete Friedrich F. in Stiwoll ein Blutbad an. Seitdem ist der 66-Jährige verschwunden. Sein Bruder und viele Menschen im Ort glauben, dass er noch lebt - und weitere Morde begehen will. "Wir haben Angst, dass er zurückkommt ..." Stiwoll, drei Monate danach.

Drei Monate, nachdem in diesem sonst so friedlichen Dorf in der Weststeiermark eine unfassbare Tragödie geschehen ist. Damals, am 29. Oktober 2017. Als Friedrich F. auf seinem Grundstück zwei Nachbarn - Adelheid H. (55) und Gerhard E. (64) - erschoss. Und eine Frau schwer verletzte. Das Motiv für das Verbrechen: Ein jahrelanger absurder Streit um das Benutzungsrecht für eine Zufahrtsstraße. Ein Streit, in dem F. der Aggressor gewesen war. Wie so oft, in so vielem ...

Seit seiner Wahnsinnstat gilt der 66-Jährige als verschwunden. Er war zunächst mit seinem weißen Kleinbus geflüchtet, das Fahrzeug wurde bald im nahegelegenen Södingberg sichergestellt. Und dann begannen weitläufige Suchaktionen, in Wäldern, in Stollen, in leerstehenden Hütten. "Jeden Winkel der Gegend", erzählt ein Fahnder, und in seiner Stimme ist Resignation zu hören, "haben wir durchkämmt, immer wieder." Aber nirgends eine Spur von dem Amokläufer.

"Seine Todesliste ist sicherlich lang"
Stiwoll, drei Monate danach. Die Straßen leer, die Gasthöfe kaum besucht. "Die Menschen verlassen ihre Häuser nur noch", sagt eine Wirtin, "wenn es unbedingt notwendig ist." Zu groß die Angst, F. könne hierher zurückkehren und noch einmal ein Blutbad anrichten: "Seine Todesliste ist sicherlich lang. Denn er sah sich von Feinden umzingelt, von Jugend an. Bereits als kleiner Bub", berichtet sein Bruder Alfred, "war er gewalttätig, sogar gegen unsere Eltern. Er hielt sich an keine Regeln. Er hatte Spaß daran, Böses zu tun."

Taubstummen gequält
Und der 78-Jährige erinnert sich an "schreckliche Dinge", geschehen vor fast 50 Jahren:  "Ich hatte Friedrich damals eine Lehrstelle in einer Schweißerei verschafft. Dort arbeitete auch ein Taubstummer. Mein Bruder hat ihn auf abscheulichste Weise gequält, körperlich und psychisch. Wochenlang. Bis der Chef von den Misshandlungen erfuhr und Friedrich rausschmiss."

"Mein Bruder lebt noch"
Das Haus von Alfred F. ist mittlerweile gesichert mit teuren Bewegungsmeldern und Alarmanlagen: "Ich spüre es: Mein Bruder lebt noch. Und ich weiß: Er will auch an mir Rache üben." Warum? "Wir wohnten doch in ständigem Zwist nebeneinander." 
Mit Schaufeln und Rechen sei der Jüngere auf ihn losgegangen, "mehrfach, einfach so. Er hat mich ununterbrochen beobachtet und fotografiert, und als ich einmal eine neue Stiege errichtete, riss er sie mit einem Bagger nieder."

Aktionen, denen Anzeigen folgten, nicht nur vom Bruder. "14 Gerichtsverfahren", klagt Altbürgermeister Josef Brettenthaler, "hatte ich mit Friedrich." Oft wegen gefährlicher Drohungen: "Aber nie wurde er für seine Untaten ernsthaft zur Rechenschaft gezogen. Weil er auch den Behördenvertretern Furcht einflößte - und sie sich deshalb nicht mit ihm anzulegen trauten."

Also konnte es geschehen, dass F. ungeschoren blieb, wenn er Flugzettel mit verleumderischen Inhalten an alle Haushalte des Dorfs verschickte oder eine Internetseite einrichtete, über die er Justiz, Anwälte und Privatpersonen diffamierte. Oder wenn er mit seinem Kastenwagen, auf dem "Heil Hitler" stand, herumfuhr.

Vermutlich fühlte sich der 66-Jährige zuletzt gottgleich. Die drei Töchter, die ihm früher ein Regulativ gewesen waren - längst ausgezogen. Und seine Frau? "Sie unterstützte ihn in seinen wirren Ideen", behaupten die Menschen im Ort. Das Ehepaar züchtete auf seinem Anwesen Dammwild - und die beiden betrieben eine gut gehende Imkerei. Dass sie ihren Honig mit Billigware aus Ungarn und Polen streckten, wurde erst jetzt bekannt.

Stiwoll, drei Monate danach. Wo und bei wem ist Friedrich F. untergetaucht? Bei einem Mitglied der Staatsverweigerer, zu denen er enge Kontakte pflegte? Im Ausland, bei Arbeitern, die ihm mitunter bei Umbauten auf seinem Hof halfen - oder bei einem seiner Geschäftspartner?

"Vielleicht geht er in Frauenkleidern durch Stiwoll"
Dass er Suizid begangen haben könnte, glaubt niemand im Dorf. Aber jeder hier ist davon überzeugt, dass sein Verbrechen von langer Hand geplant war. "Möglich, dass er sich irgendwo in der Nähe in eingebunkert hat, sein Versteck manchmal verlässt und vielleicht in Frauenkleidern und mit Schminke im Gesicht durch Stiwoll geht", meint Josef Brettenthaler: "Das würde zu ihm passen." Zu diesem "Meister im Tarnen und Täuschen".

Der Altbürgermeister beginnt eine bezeichnende Geschichte aus den 1970er Jahren zu erzählen: "Friedrich war damals in einem Metallbetrieb tätig und seit einer kleinen Ewigkeit krankgemeldet. Kontrolleure sollten daher bei ihm eine Nachschau halten. Er öffnete, verkleidet als seine Großmutter, die Türe, und erklärte mit hoher, zittriger Stimme: 'Mein Enkerl ist leider nicht ansprechbar.' Und die Beamten zogen ab."

"Er war eine tickende Zeitbombe"
"Dass mein Bruder zu Schrecklichem fähig ist, habe ich immer schon geahnt", schluchzt Alfred F. "Er war eine tickende Zeitbombe", sagt Josef Brettenthaler: "Als 2013 der Wilderer vom Annaberg drei Polizisten und einen Sanitäter erschoss, warnte ich sogar die Kripo: 'Der Friedrich wird einmal etwas Ähnliches machen.' Leider habe ich Recht behalten."

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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