Heftige Debatte

ÖGB befürchtet Kündigungswelle bei Lehrlingen

Österreich
30.03.2009 17:31
Die Gewerkschaft sieht eine Kündigungswelle auf Österreichs Lehrlinge zurollen. Der Hintergrund: Im vorigen Sommer wurde der Kündigungsschutz für Lehrlinge gelockert. Bisher konnte ein Lehrverhältnis nur einvernehmlich oder aus schwerwiegenden Gründen wie Diebstahl beendet werden. Nach dem neuen Berufsausbildungsgesetz dürfen nun aber Lehrlinge nach jedem Lehrjahr, also bereits nach dem ersten, das für viele im September endet, gekündigt werden. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaftsjugend, Jürgen Michlmayer, befürchtet deshalb ebenso wie GPA-Chef Wolfgang Katzian, dass im Herbst eine große Kündigungswelle bei Lehrlingen bevorsteht. Die Aussagen stoßen auf Zustimmung und Kritik.

Zwar sieht das neue Gesetz vor, dass bei einer Kündigung ein Mediationsverfahren durchgeführt werden muss, also dass eine dritte Person zwischen dem Arbeitgeber und dem Lehrling noch einmal versucht zu vermitteln. Für die Gewerkschaft ändert das aber nichts an ihrer Befürchtung, dass viele Betriebe im Herbst aufgrund der Wirtschaftskrise auf die Ausbildung junger Menschen aus Kostengründen verzichten könnten.

GPA-Vorstoß: "Gesetz noch einmal überdenken"
Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), fordert die Regierung auf, das Gesetz zurückzunehmen: "Jetzt in der Wirtschaftskrise glauben wir, dass es unbedingt notwendig ist, dass es eine sehr sichere und stabile Situation für die Lehrlinge gibt und daher würde ich es sehr begrüßen, wenn man das noch einmal überdenkt."

Experte: "Das wird ein Problem geben"
Unterstützung bekommen die Gewerkschafter vom ehemaligen Lehrlingsbeauftragten der Vorgänger-Regierung, Egon Blum: "Diese Kündigungserleichterung hätten wir uns wirklich ersparen können. Das wird ein Problem geben. Gerade jetzt, wo noch zur gleichen Zeit die wirtschaftliche Problematik einsetzt, wird es viele Betriebe geben, die sich einfach von den Lehrlingen verabschieden." Daher befürchtet auch Blum eine Kündigungswelle im Herbst. Auch er richtet der Regierung - insbesondere Arbeitsminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) - aus, das Gesetz so schnell wie möglich zu ändern.

Mitterlehner kalmiert: "Künstliche Diskussion"
Mitterlehner wiederum hält die Diskussion für "ausgesprochen kontraproduktiv". Er verwies auf die Einigung der Sozialpartner über das mit 1. Juli 2008 in Kraft getretene Gesetz, wonach auch Lehrlinge gekündigt werden dürfen. "Somit ist noch nicht einmal ein Jahr vergangen und man kann noch nicht sagen, ob die Unternehmen diese Möglichkeit überhaupt in Anspruch nehmen", so der Minister. Schon gar nicht könne man jetzt die Wirkung des Gesetzes nach dem zweiten Lehrjahr prüfen. "Diese künstliche Diskussion führt nur dazu, dass sich die Betriebe mit dem Thema auseinandersetzen und erst recht auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht werden."

Freiheitliche werben für eigene "Lehrlingsoffensive"
Der blaue Arbeitnehmersprecher Herbert Kickl meinte, die FPÖ habe schon vor einem Jahr in einem Beschluss den Abbau von Schutzmaßnahmen bei Lehrlingen kritisiert. Mit dem neuen Gesetz werde "die von SPÖ und ÖVP gebetsmühlenartig wiederholte Formel von einer 'Ausbildungsgarantie'" endgültig konterkariert. Die Zahl der Arbeitslosen explodiere immer weiter, während die Regierung neben dem Arbeitsmarkt auch bei der Lehrlingsfrage im "Stand-by-Modus" agiere. Es brauche eine Aufwertung des dualen Ausbildungssystems. Das unlängst präsentierte Paket namens "Freiheitliche Lehrlingsoffensive" sehe unter anderem 1.000 neue Stellen für Jugendliche im Bundesdienst vor.

BZÖ will eigenes Paket im Nationalrat einbringen
Auf eigene Maßnahmen setzen auch die Orangen: Das BZÖ will in der Sondersitzung des Nationalrates am Dienstag ein "Lehrlingspaket" einbringen. In dem (unverbindlichen) Entschließungsantrag verlangt das Bündnis unter anderem, die Lehrlinge von "sämtlichen Schul- und Wohnkosten zu befreien. Leider finde die Regierung keine vernünftigen Maßnahmen, meinte BZÖ-Klubchef Josef Bucher. Neben der Befreiung von Wohn- und Schulkosten verlangt das BZÖ in seinem Antrag auch einen Verzicht der Prüfungsgebühr für Lehrlinge sowie eine Umsetzung von Lehre mit Matura: "Die Lehre darf keine Sackgasse mehr sein", so Bucher. Außerdem schwebt dem BZÖ ein "Blum-Bonus Neu" vor - inklusive Kündigungsschutz für die Lehrlinge.

Grüne: Kündigungsmöglichkeit ist "Riesenproblem"
Für die Grünen ist die Kündigungsmöglichkeit für Lehrlinge ebenfalls ein "Riesenproblem". Dass die Gewerkschaft das erst jetzt erkenne, sei "schon sehr peinlich", so ArbeitnehmerInnensprecherin Birgit Schatz. Die Grünen hätten schon im Juli auf die Gefahren hingewiesen. "Jetzt zu jammern und absehbare Konsequenzen politischer Fehlentscheidungen auf die 'Krise' zu schieben, ist ziemlich erbärmlich", so Schatz. Die Grünen würden die Streichung der Kündigungsmöglichkeit sicher unterstützen, doch das Problem der rasant steigenden Jugendarbeitslosigkeit werde dadurch nicht gelöst.

ÖAAB: Rote Gewerkschafter ignorierten Warnungen
Auch ÖAAB-Generalsekretär Werner Amon freut sich grundsätzlich über Katzians Forderung. Es wäre aber auch von den Spitzen der Arbeiterkammer (AK) und der Gewerkschaft wünschenswert, wenn sie wie Katzian die ÖAAB-Kritik teilen würden -  immerhin sei die Lockerung auf eine Einigung der Sozialpartner zurückgegangen. "Das Argument der Sozialpartner war ja, dass es durch diese leichteren Lösungsmöglichkeiten zu einem Anstieg der Lehrvertragsabschlüsse kommt", so Amon. Der ÖAAB habe im Zuge der Gesetzesänderung durchgesetzt, dass es alle zwei Jahre einen Evaluationsbericht geben muss.

Leitl warnt vor dem Aufschnüren des Lehrlingspakets
Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl warnt vor dem Aufschnüren des Lehrlings- und Jugendbeschäftigungspakets. Österreichs Betriebe bilden derzeit mehr als 127.000 Lehrlinge aus, trotz Krise um über 2.000 mehr als im Vergleichsmonat Februar des Vorjahres, betont Leitl. Die Möglichkeit einer "außerordentlichen Lösung von Lehrverträgen" sei keine Kündigung, sondern ein Ausbildungsübertritt. Diese Möglichkeit habe keineswegs zur befürchteten Welle von Auflösungen geführt, erst drei Lehrverhältnisse seien aufgelöst worden.

Steirische WK tobt: "Gemeingefährlich und staatsgefährdend"
Heftig reagiert hat der steirische WK-Präsident Peter Mühlbacher: "Es ist gemeingefährlich und staatsgefährdend, wenn die Gewerkschaft in dieser schwierigen Zeit nichts Besseres zu tun hat, als Angst und Verunsicherung zu streuen." Mühlbacher vermutet hinter den Aussagen Stimmenfang für die AK-Wahl: "Die Angst um die eigene Mehrheit löscht in manchen Gewerkschaftskreisen das Hirn aus." Jedenfalls sei es unbegründete Panikmache. Im vergangenen Jahr sei in der Steiermark bei 19.000 in Ausbildung befindlichen Jugendlichen ein einziges Lehrverhältnis aufgelöst worden. Die Unternehmen würden zu ihren Lehrlingen stehen. Mit einer Art Doppelstrategie - einmal Panik schüren, das andere Mal Reformen verhindern - verlasse die Gewerkschaft den Boden der Vernunft, kritisiert Mühlbacher: "Wer so handelt, handelt staatsgefährdend. Der ÖGB soll die Geschlossenheit der Sozialpartner nicht gefährden."

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