EU-Flüchtlingskrise

Orban: "Das ist ein deutsches Problem"

Ausland
03.09.2015 17:16
Der ungarische Premier Viktor Orban hat am Donnerstag den Zustrom von Flüchtlingen als "deutsches Problem" bezeichnet. "Das Problem ist kein europäisches Problem. Das Problem ist ein deutsches Problem", sagte er nach einem Gespräch mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in Brüssel. Diplomatische Spannungen wegen der Flüchtlinge gibt es auch zwischen Österreich und Ungarn: Kanzler Werner Faymann bestellte für Freitag den ungarischen Botschafter ins Kanzleramt. "Die Genfer Menschenrechtskonvention ist von allen Staaten der EU zu respektieren", sagte Faymann.

Orban erklärte, die Migranten wollten nicht in Ländern wie Ungarn, Polen oder Estland bleiben. "Alle würden gerne nach Deutschland gehen." Mit Blick auf das Flüchtlingschaos im eigenen Land sagte er, Ungarn halte sich lediglich an europäische Regeln und tue das, was die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erwarte. Es dürfe kein Flüchtling ausreisen, ohne dass er vorher registriert worden sei.

Merkel weist Vorwürfe scharf zurück
Merkel wies Orbans Vorwürfe umgehend scharf zurück. Bei einem Besuch in der Schweiz sagte sie: "Deutschland tut das, was moralisch und was rechtlich geboten ist. Nicht mehr und nicht weniger." Zugleich ermahnte sie Ungarn, die Genfer Konvention einzuhalten, in der der Schutz von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen geregelt ist.

Auch der deutsche EU-Abgeordnete Herbert Reul ließ Orbans Aussagen nicht gelten. Es handle sich "sehr wohl um eine Aufgabe für die gesamte EU, und nicht nur um ein deutsches Problem", sagte er. Und: "Von einer geordneten Registrierung in Ungarn kann überhaupt keine Rede sein." Die Bedingungen, unter denen "die Flüchtlinge am Bahnhof in Budapest eingepfercht ohne Versorgung mit dem Notwendigsten dahinvegetieren", seien beschämend.

Orban: Würden auch an kroatischer Grenze Zaun bauen
Orban erklärte zudem, Ungarn würde auch einen Zaun an der Grenze zum EU-Mitglied Kroatien bauen, wenn die Flüchtlinge versuchen sollten, in großen Scharen über diesen Weg ins Land zu kommen. Er wolle keine große Zahl Muslime in Ungarn haben, meinte der Premier. Er warnte Asylwerber ausdrücklich vor einer Einreise nach Ungarn. "Bitte kommen Sie nicht. Es ist riskant zu kommen. Wir können nicht garantieren, dass Sie akzeptiert werden", sagte er. In diesem Zusammenhang verwies Orban darauf, dass es menschlich und moralisch nicht richtig wäre, Menschen falsche Hoffnungen zu machen.

Schulz für gerechtere Verteilung der Flüchtlinge
EU-Parlamentspräsident Schulz warf dem ungarischen Regierungschef vor, in der Migrationspolitik die falschen Schwerpunkte zu setzen. "Ich bin nicht der Meinung von Viktor Orban", sagte der SPD-Politiker. Es möge zutreffen, dass nicht alle Menschen in Ungarn bleiben wollten, Ziel müsse deswegen aber eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge sein. "Wenn Sie 400.000 oder 500.000 Flüchtlinge haben, die nach Europa kommen, und Sie verteilen die unter 507 Millionen Menschen, die in den 28 Mitgliedsstaaten der EU leben, dann ist das kein Problem", sagte Schulz. Er spielte damit darauf an, dass derzeit Staaten wie Schweden oder Deutschland den Großteil aller in die EU kommenden Asylsuchenden aufnehmen.

Schulz forderte Asylsuchende auf, zu akzeptieren, dass sie sich ihr Aufnahmeland nicht aussuchen können. "Wir brauchen auch die Erkenntnis, dass es nicht so ist, dass jemand sagen kann, ich will in die Europäische Union und nur nach Deutschland. Wer den Schutz der Union will, muss auch damit leben, dass in der Union verteilt wird", sagte er.

"Die Menschen in Ungarn haben Angst"
Zum Thema Quotenregelung entgegnete Orban, er sei bereit, darüber zu diskutieren. Priorität habe für ihn allerdings die Sicherheit im eigenen Land. "Die Menschen in Ungarn haben Angst", sagte er. "Das liegt daran, dass die europäischen Staatsoberhäupter und Minister nicht in der Lage sind, die Situation unter Kontrolle zu bringen."

Beim Pressetermin mit Orban in Brüssel hatte sich zuvor EU-Ratspräsident Donald Tusk für die Verteilung von weit mehr Flüchtlingen über die EU-Staaten als bisher geplant ausgesprochen. "Eine faire Verteilung von mindestens 100.000 Flüchtlingen ist das, was wir tun müssen", sagte er. Die EU-Regierungen müssten die Flüchtlingskrise "ernsthaft angehen", so der Ratspräsident, der alle Staats- und Regierungschefs aufrief, "ihre Anstrengungen zu verdoppeln" und "Solidarität" mit den Ländern zu zeigen, die Hauptziel der Flüchtlinge seien.

Gleichzeitig müsse Europa mehr tun, um seine Grenzen zu sichern, sagte Tusk. "Wir müssen die Eindämmung der Migrationswelle ernsthaft angehen, indem wir unsere Grenzen stärken und uns die Schlüssel zu unserem Europa von Schmugglern und Mördern zurückholen." Aus seiner Sicht schließen einander "die Herangehensweisen von Solidarität und Eindämmung" nicht aus. Tusk warnte, es wäre "unverzeihlich", wenn Europa sich in Verfechter der Eindämmung und Verfechter der Öffnung der Grenzen spalte.

EU-Kommission plant neue Vorschläge
Bisher haben sich die EU-Staaten darauf geeinigt, rund 32.000 Asylsuchende aus Italien und Griechenland aufzunehmen. Die EU-Kommission peilte bisher die Verteilung von 40.000 Menschen an. In der kommenden Woche wird die Brüsseler Behörde voraussichtlich neue Vorschläge präsentieren. Eine Reihe von EU-Staaten sind gegen verbindliche Verteilungsschlüssel. Tusk forderte die Mitgliedsstaaten zudem dazu auf, mehr Geld zur Bewältigung der Flüchtlingskrise bereitzustellen.

Nach einem Bericht der deutschen Zeitung "Welt" will die EU-Kommission angesichts der weiteren Zuspitzung der Krise nun die verpflichtende Verteilung von 120.000 Flüchtlingen aus Ungarn, Italien und Griechenland vorschlagen. Wie das Blatt am Donnerstag im Voraus unter Berufung auf hohe informierte EU-Kreise berichtete, sollen 54.000 Flüchtlinge aus Ungarn, 50.400 aus Griechenland und 15.600 Flüchtlinge aus Italien umverteilt werden.

Großbritannien will mehr Syrer aufnehmen
Die britische Regierung prüft indes die Aufnahme von mehr Flüchtlingen aus Syrien. "Wir haben 5.000 Menschen aus dem Konflikt in Syrien aufgenommen, wir werden weiterhin Menschen aufnehmen und prüfen das", sagte Finanzminister George Osborne am Donnerstag, nachdem zuvor Forderungen lauter geworden waren, mehr Flüchtlinge ins Land zu lassen.

Großbritannien stehe "an vorderster Front" bei der Hilfe für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, sagte ein Regierungssprecher. Die 5.000 Syrer hat England über die vergangenen vier Jahre aufgenommen. Der UNO-Sonderbeauftragte für Migration, Peter Sutherland, sagte jedoch, Großbritannien könne mehr tun.

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