Faymann vs. Merkel

“Berlin muss Kurs in Flüchtlingspolitik ändern”

Ausland
17.03.2016 19:49

Einst haben sie in der Flüchtlingspolitik an einem Strang gezogen, seit Wochen sind die Fronten zwischen Bundeskanzler Werner Faymann und Deutschlands Regierungschefin Angela Merkel verhärtet. Der nächste Disput kündigt sich auf dem derzeit stattfindenden EU-Gipfel in Brüssel an. Faymann forderte von Merkel eindringlich, ihren Kurs zu ändern. Solange sie nicht klare Zeichen setze, dass auch Deutschland nicht jeden ankommenden Flüchtling aufnehmen werde, würde die Sog- und Magnetwirkung nicht nachlassen und der Druck auf die Balkanstaaten weiter steigen. Auch bezüglich eines möglichen Deals mit der Türkei bläst Merkel heftiger Gegenwind ins Gesicht.

Das wichtigste Thema am ersten Tag des Flüchtlingsgipfels in Brüssel am Donnerstag war die Frage, ob die Balkanroute weiterhin geschlossen bleibt, wie das ja auf dem vergangenen EU-Gipfel Anfang März einstimmig beschlossen wurde - auch mit der Zustimmung Deutschlands.

Situation in Mazedonien bleibt angespannt
Die Besorgnis bei den Balkanstaaten sei groß, dass sie dem Druck nicht ewig standhalten werden können, so Faymann im Gespräch mit der "Krone". Wie berichtet, hat sich Österreich dazu bereit erklärt, das nur zwei Millionen Einwohner zählende Mazedonien bei der Sicherung seiner Grenze zu Griechenland zu unterstützen. Wie notwendig das schon bald sein könnte, zeigte vor wenigen Tagen der Versuch von Hunderten Flüchtlingen, die Grenze einfach zu überrennen. Auch jetzt lagern dort noch mehr als 12.000 Asylwerber, in der Hoffnung, doch noch bis nach Deutschland durchzukommen.

Faymann: "Flüchtlinge können sich Land nicht aussuchen"
"Es geht aber nicht, dass sich Flüchtlinge das Land aussuchen können, von dem sie aufgenommen werden", sagte Faymann. "Sie müssen dorthin gehen, wohin wir sie zuteilen." Dazu, so der Kanzler, müsste Merkel aber unmissverständlich klarmachen, dass auch Deutschland nicht weiterhin jeden aufnimmt, der es über seine Grenze schafft: "Wer ohne Transitvisum die Grenze passiert, muss zurückgeschickt werden. Sonst wird der Druck auf der Balkanroute wieder enorm zunehmen" - spätestens wenn das Wetter wieder besser wird.

"Deutschland muss endlich die richtigen Signale in Richtung der Flüchtlinge aussenden", so Faymann. Solange das nicht passiere, werde es weiterhin eine enorme Magnetwirkung auf die Flüchtlinge haben: "Das Durchwinken muss ein Ende haben", sonst, so warnt der Kanzler, würde sich - sobald die Grenzen unter dem Druck fallen - spätestens im Sommer alles in Richtung Pufferzone Österreich verschieben. Und das müsse verhindert werden.

EU-Gipfel: Deal mit der Türkei soll ausverhandelt werden
Am Freitag soll auf dem EU-Gipfel bekanntlich auch der von Merkel forcierte Pakt mit der Türkei zur Reduzierung des Flüchtlingsstroms weiter ausverhandelt werden. Ziel ist eine Vereinbarung, wonach die Türkei ab einem noch festzulegenden Stichtag alle illegal nach Griechenland eingereisten Flüchtlinge zurücknimmt. Die EU will im Gegenzug für jeden zurückgeschickten Syrer einen als Flüchtling anerkannten Schutzsuchenden aus Syrien direkt aus der Türkei via "Resettlement" aufnehmen. Wie berichtet, fordert die Türkei für diesen Deal Milliardenunterstützung, Visaerleichterungen sowie die Intensivierung der EU-Beitrittsverhandlungen.

Forderungen, die von so manchem EU-Staat sehr kritisch gesehen werden. Zypern droht sogar mit einer Blockade des Paktes mit der Türkei. Auch Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner kündigte Widerstand an: "Fällt die Visapflicht für die Türken ohne Zusatzmaßnahmen, könnte es zu einer noch massiveren Einwanderung nach Mitteleuropa kommen."

EU-Staaten haben rechtliche Bedenken
Umstritten ist auch, wie Flüchtlinge aus Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden können, ohne gegen das völkerrechtliche Prinzip des "Non-Refoulement" (Nicht-Zurückweisung) zu verstoßen. Einige EU-Staaten meldeten bereits rechtliche Bedenken an. "Wir können nichts machen, von dem sich in den nächsten Wochen herausstellt, dass es illegal ist", sagte etwa der luxemburgische Premier Xavier Bettel. Auch die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite erklärte, "wir stehen am Randes des internationalen Rechts".

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kanzlerin Merkel gaben sich bezüglich einer Einigung dennoch vorsichtig optimistisch. Merkel sagte, Juncker und Tusk hätten viele rechtliche und politische Fragen inzwischen geklärt. Dabei gehe es um die illegale Migration, die zu stoppen sei, und auch darum, dass "jeder Flüchtling individuell betrachtet wird und seine Rechte wahrnehmen kann, wenn es um die Ankunft in Griechenland und die Rückführung in die Türkei geht".

EU will 72.000 Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen
Am Donnerstag berichtete der "Spiegel" , dass für den Deal mit der Türkei ein Acht-Punkte-Plan ausgearbeitet wurde. Demnach will die EU vorerst 72.000 syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen, die auf die Mitgliedsstaaten aufgeteilt werden sollen. Der Haken an der Sache: Die Aufnahme soll auf freiwilliger Basis geschehen. Unklar bleibt, was passiert, wenn die Zahl 72.000 erreicht ist. Derzeit befinden sich rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei.

Welche Länder neben Deutschland für eine Aufnahme weiterer Flüchtlinge bereit wären, ist fraglich. Mittel- und osteuropäische Staaten wie Polen, Bulgarien, Slowenien oder Rumänien ließen bereits durchblicken, dass sie keine neuen Verpflichtungen eingehen wollen. Auch Großbritannien wird nach Angaben des britischen Premierministers David Cameron nicht mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen als bisher zugesagt.

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