Vor Prozess in Graz

Todeslenker Alen R.: “Ich bin das Opfer!”

Österreich
18.09.2016 06:00

Er wuchs in desolaten Familienverhältnissen auf. Fand nie Freunde. War beruflich erfolglos. Hatte Probleme mit Frauen. Fühlte sich immer als Opfer. Die Lebensgeschichte des Todeslenkers von Graz, der ab Dienstag vor Gericht steht.

"Eigentlich", sagte Alen R. in Verhören, "begann der 20. Juni wie ein ganz normaler Tag." Unausgeschlafen sei er gewesen, weil er wieder einmal in der Nacht davor lange im Internet gesurft hätte. "Wie meistens", habe er "Salami gefrühstückt" und dabei mit seinen Eltern geplaudert, "über nichts Besonderes". Fakt ist: Gegen 10 Uhr stieg der 27-Jährige in den Jeep seines Vaters und fuhr 15 Kilometer von Kalsdorf nach Graz, "wo ich am Griesplatz ein Mädchen aus einem Dating-Portal treffen wollte".

Dieses Mädchen existiert jedoch nicht, und der 27-Jährige hatte kein Treffen ausgemacht, mit niemandem. Das gilt für die Kripo als sicher. Die Verabredung, bestand sie lediglich in seiner Fantasie? Oder hat er sie erfunden? Leidet Alen R. an Schizophrenie, wie zwei Gerichtspsychiater meinen? Oder spielt er den Irren bloß, wovon ein anderer Gutachter überzeugt ist? Beging er sein Verbrechen in der wahnhaften Idee, vor "Mördern" flüchten zu müssen? Oder ist er der "typische Amoktäter"? Ein zutiefst gekränkter, selbstmitleidiger Mensch, mit nur einem Ziel: der Welt auf grauenhafte Weise seine Macht zu beweisen?

"Ich bin vom Krieg traumatisiert"
Wer ist Alen R.? Was ist seine Geschichte? Er wurde am 17. März 1989 in Bihat, Bosnien, geboren. Der Vater: Maurer und Lkw-Fahrer. Die Mutter: Verkäuferin. "Ich habe", sagt er, "in meiner Heimat einiges vom Krieg mitgekriegt, davon bin ich traumatisiert." 1993 wanderten die Eltern mit ihm aus. Erste Station war Ebensee, 1999 die Übersiedelung nach Wels.

Seine Erinnerungen an die Zeit in Oberösterreich? "Anfangs spielte ich manchmal mit Buben im Hof." Später wären ihm - "dem Einzelkind und Ausländer", so Alen R. - Gleichaltrige zunehmend mit Ablehnung begegnet. Fühlte er sich als Außenseiter? "Ja, schon. Ich saß in meiner Freizeit meist alleine zu Hause und beschäftigte mich mit meinem Gameboy." Aber die Eltern, "sie waren lieb zu mir, und zueinander auch".

Frühere Nachbarn berichten anderes: "Bei den R.s war ständig die Hölle los. Tag und Nacht. Der Bub tat uns leid, er wirkte völlig verschüchtert."

"Die R.s haben beinahe unsere Existenz ruiniert"
Ramadan (43) und Valjbona P. (42), die mit der Familie in einem Welser Genossenschaftsbau Tür an Tür wohnten, erzählen sogar: "Die R.s haben beinahe unsere Existenz ruiniert. Nach einem Streit", klagt der Elektromechaniker, "ging Alens Mutter eines Tages zur Polizei und behauptete, ich hätte sie geschlagen." Tatsächlich hatte die Frau Rippenbrüche, "die ihr in Wahrheit ihr Gatte zugefügt hatte. Aber mir wurde nicht geglaubt. Ich verlor den Prozess, musste 14.000 Euro zahlen."

Die B.s beantragten nun eine Wiederaufnahme des Verfahrens, "denn mittlerweile ist ja bekannt, dass die R.s immer wieder Anrainer gequält haben"

2003 zogen die R.s in die Steiermark um. Beschimpfungen, Todesdrohungen - auch die Kalsdorfer hatten Angst vor der Familie. Und sie bekamen mit, wie der Sohn vom stillen Jugendlichen zu einem aggressiven Mann wurde. Trotz eines IQ von 132 musste Alen R. in der Hauptschule zwei Klassen wiederholen, er galt als introvertierter und gleichzeitig zu Wutausbrüchen neigender Schüler.

"Ich habe nie eine Chance bekommen"
"Meine Einsamkeit machte mir zu schaffen", sagt er, "und dass mir niemand jemals eine Chance geben wollte." Nach einem Buchhalterkurs arbeitete er bei elf verschiedenen Firmen, immer verlor er nach wenigen Wochen seine Jobs, wegen unflätigen Verhaltens.

Problematisch auch seine Beziehung zu Frauen. "Die österreichischen Mädchen mochten mich nicht." Deshalb habe er in Bosnien Partnerinnen gesucht: "Sie ließen sich mit mir ein, weil sie glaubten, dass ich reich war. Bei Ilma ist das leider genauso gewesen." 2011 heiratete er die damals 18-Jährige in seiner früheren Heimat, und "ich holte sie bald zu mir nach Österreich". Das Paar bekam zwei Kinder.

Ehefrau flüchtete ins Frauenhaus
Zuletzt betrieb Alen R. eine schlecht gehende Autohandelsfirma. Und sein Hass auf die Welt wurde größer. Er reagierte sich ab, indem er Ego-Shooter-Games spielte - und seine Gattin misshandelte. Vier Wochen vor seiner Amokfahrt flüchtete sie in ein Frauenhaus: "Sie tat mir damit Schreckliches an."

Bis jetzt fühlt sich Alen R. schuldlos. Am Scheitern der Ehe, an den beruflichen Misserfolgen, sogar an seinem Verbrechen. "Ich bin das Opfer", sagt er.

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