Flüchtlingsstrom

“Krone” vor Ort: Bulgarien macht Grenzen dicht

Ausland
29.01.2016 16:21

Als Land mit dem niedrigsten Bruttoinlandsprodukt ist Bulgarien das Schlusslicht der EU. Flüchtlingsströme, die durchs Land ziehen, überfordern die Politik. Ein Lokalaugenschein von Caritas und "Krone" im Armenhaus Europas.

"Solange wir noch ein Stückchen Brot haben, werden wir es mit Flüchtlingen teilen", sagt Katja. Die 37-jährige Witwe mit dem sorgenzerfurchten Gesicht einer 50-Jährigen lebt im 4000-Seelen-Dorf Banya mit ihrer Großfamilie unter dem Dach eines mehr schlecht als recht geheizten Rohbaus. Natürlich kennt man auch hier die angespannte Migrationslage in der EU. Doch für "solche bedauernswerten Menschen, die alles zurücklassen müssen, weil sie vorm Krieg flüchten", rückt man zusammen, "denn denen geht es noch schlechter als uns".

Alle hier sind bitterarm. Und deshalb ungemein dankbar, dass die Kinder in die nahe Schule gehen dürfen. Denn dort bekommen sie von der Caritas ihre einzige warme Mahlzeit am Tag - eine Riesenmotivation für den Schulbesuch. Bei der Essensausgabe strahlen die Kleinen. "Das Krautfleisch heute ist besonders gut", löffelt Katja (8) ihre Schüssel gründlich aus. Bildung ist hier der einzige Schlüssel, um aus dem "Gefängnis der Armut" zu entkommen.

Nur jedes zweite Kind schafft Volksschulabschluss
Als Minderheit stehen die 700.000 Roma im Sieben-Millionen-Land am sozialen Abgrund. Ausgegrenzt und schlecht unterrichtet - nur jedes zweite Kind schafft einen Volksschulabschluss (!) - landen viele in der Verwahrlosung. Der Schritt in die Kriminalität ist nicht groß. Feindseligkeit, zynische Hassreden und rechtsextreme Demos treiben viele noch weiter ins Abseits und in blinde Aggression.

Mehr als jeder zweite Rom (55 Prozent) ist arbeitslos. Die meisten leben in Gettos, etwa in Sofias Stadtteil Fakulteta, wo 50.000 Roma in Baracken dicht an dicht darben. "Wir machen uns das Leben hier oft auch noch selber zur Hölle", erzählt Vasco (24) von brutalen Revierkämpfen unter Familienclans. Er hofft auf einen Job im gelobten Deutschland.

HIER gehts zur Caritas-Spendenkampagne "Kinder in Not"

"100.000 Migranten illegal in die EU geschleust"
Genau denselben Traum von Sicherheit und Wohlstand erhoffen sich jene Abertausenden Flüchtlinge aus dem Irak, aus Syrien oder Afghanistan, die nach wie vor über Bulgarien Richtung Nordeuropa strömen. "Schlepperbanden schleusten seit 2013 via Bulgarien weit mehr als 100.000 Migranten illegal in die EU", so Oberst Gerald Tatzgern, der Chefermittler des Bundeskriminalamtes. Auch jener Kühl-Lkw, in dem im Vorjahr 71 Flüchtlinge erstickt sind, war im Sold der ungarisch-bulgarischen Schleppermafia unterwegs.

Jetzt will Sofia seine EU-Außengrenze zur Türkei mit einem scharfkantigen Stacheldraht unüberwindbar machen. 160 Kilometer soll der Wall lang und im März fertiggestellt sein. Unterirdische Sensoren, die auf Bewegung reagieren, liefern scharfe Bilder an die Überwachungsmonitore. Da es immer wieder zu schrecklichen Übergriffen auf Flüchtlinge kam und in einigen Flüchtlingslagern katastrophale Zustände herrschen, sorgt sich die Caritas im "St.-Anna-Integrationszentrum" rührend um jene, die auf ihrer Odyssee in Bulgarien gestrandet sind.

Die irakische Ingenieurin Nidal (35), der mit ihrem Mann und Tochter Zainet (5) die Flucht geglückt ist, will bleiben. "Wir bieten den Menschen hier nicht nur Verpflegung und Unterkunft, sondern auch Sprachkurse an", so Caritas-Präsident Michael Landau. Sein Resümee: "Bulgarien ist als ärmstes EU-Land überfordert. Wir brauchen mehr Solidarität unter den EU-Staaten."

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