Inferno auf Fähre

Opfer: “Schuhsohlen sind uns schon geschmolzen”

Österreich
01.01.2015 17:54
Zwei volle Tage wartete der Initiator der Griechenlandhilfe, der Salzburger Erwin Schrümpf, an Bord der brennenden Autofähre "Norman Atlantic" auf seine Rettung. Seit dem späten Mittwochabend ist der 50-jährige Seekirchner wieder zu Hause. Müde, aber gesund. Am Donnerstagnachmittag erzählte er der "Krone" von den dramatischen Stunden an Bord der Fähre.

"Krone": Herr Schrümpf, Sie sind wohlbehalten zurück. Können Sie schildern, was auf der Fähre passiert ist?
Erwin Schrümpf: Ich ging am Samstag um 17.30 Uhr an Bord. Ich hatte eine Kabine. Und da wurde ich so um 3 Uhr wach. Die Wände sind dünn und ich hörte, dass eine Dame aufgeregt war, weil es nach Rauch riecht. Ich zog mir warme Sachen an und ging nachschauen. An Deck sah ich, dass am Heck ein Lkw in Vollbrand stand. Da scherzte ich noch mit einem anderen Mann, dass wir hier jetzt Würstel grillen könnten. Wir haben 15 Minuten zugesehen. Danach gingen wir wieder rein. Und da war dann schon alles verqualmt, man konnte gar nicht mehr in die Kabinen.

"Krone": Wurde denn kein Brandalarm ausgelöst?
Schrümpf: Nein, gar nichts. Wir haben nur gesehen, dass auf einer Seite schon Schwimmwesten ausgeteilt werden. Es gab aber überhaupt keine Info, die Crew war verschwunden oder schüttelte vor Unwissenheit nur den Kopf.

"Krone": Wie ging es weiter?
Schrümpf: Innerhalb von drei Stunden stand das Schiff in Vollbrand. Am Anfang dachten wir, wir erfrieren, ersticken, ersaufen oder verbrennen. Man hat immer geschaut, wo der Rauch noch am Erträglichsten ist, wo man ausharren kann. Irgendwann wurde dann die Brücke geöffnet für alle. Da schlugen die Leute zum Teil die Fenster ein. Nach sechs Stunden kamen die ersten Helikopter der Albaner. Die konnten aber immer nur zwei, drei Leute wegbringen. Da gab es ein Riesengedrängel darum. Geheißen hat es, Frauen und Kinder dürfen vor, aber da waren genug Männer, die sie zur Seite gedrängt und auch geschlägert haben. Zumindest einigen geschwächten Frauen konnte ich helfen, die Plattform zu erreichen.

"Krone": Konnte man denn auf dem Schiff noch ausharren?
Schrümpf: Es hatte zwar schon eine extreme Schräglage und es kam immer wieder zu Explosionen, trotzdem fanden wir immer wieder ein Plätzchen, wo es noch irgendwie ging. Ich konnte einmal sogar eine halbe Stunde lang auf Rettungswesten, die am Boden lagen, schlafen. Ein Feuerwehrmann vom Schiff hat mich zweimal angesprochen. Beim ersten Mal ließ er mich liegen, danach meinte er, wenn ich liegen bleibe, dann für immer.

"Krone": Es gab offenbar Schwierigkeiten bei der Rettung zwischen Albanien, Griechenland und Italien.
Schrümpf: Ja, zuerst kamen nur die Albaner. Und es ging das Gerücht um, dass es ihr Hohheitsgewässer ist, wo wir uns befinden, und sie den Vorrang haben. Dann brachte aber die italienische Marine drei Soldaten an Bord, die ab Montag Unglaubliches leisteten. Deren Helis flogen bis zu zweieinhalb Meter zur Fähre runter und nahmen Passagiere auf.

"Krone": Sie mussten auch lange ohne Wasser und Nahrung durchhalten?
Schrümpf: Ja, wir hatten 36 Stunden lang nichts zu trinken und zu essen. Die albanische Marine hat irgendwann Wasserflaschen abgeworfen. Die konnten wir aber nicht alle auffangen. Ich habe versucht, geschwächten Menschen etwas einzuflößen.

"Krone": War der Brand da schon gelöscht?
Schrümpf: Nein, durch jedes Loch sind ständig neue Flammen herausgekommen. Uns sind schon die Schuhsohlen geschmolzen. Ein Löschschiff war da, das hat aber die Passagiere auf der Brücke angespritzt, da wurden keine Flammen gelöscht.

"Krone": Wann wurden Sie gerettet?
Schrümpf: Am Ende war es mir nicht mehr wichtig, wie lange ich warten muss. Zuvor war das das Schlimmste. Aber als die drei italienischen Soldaten an Bord waren, wusste ich, die lassen sie nicht im Stich, also werden wir auch gerettet. Und so war es. Irgendwann am Montag gegen 16 Uhr haben sie mich dann auf die "San Giorgio" gebracht. Nach mir sind nur noch die drei Feuerwehrmänner, zwei Hunde und der Kapitän ausgeflogen worden. Auf dem italienischen Marineschiff bekamen wir etwas zu essen und einen Schlafplatz im Frachtraum. Da haben sich viele noch beschwert über den Fünf-Sterne-Mangel.

"Krone": Wie schlimm sind Ihre Erinnerungen, Sie haben auch Menschen sterben gesehen?
Schrümpf: Ja, der erste, den ich sterben sah, war ein Mann der noch ins Rettungsboot springen wollte. Er landete aber in der stürmischen See. Und als wir an Bord der "San Giorgio" waren, kreiste diese noch stundenlang um die Fähre, um Leichen aufzusammeln. Jedes Mal, wenn der Hubschrauber landete, wussten wir, dass sie wieder wen gefunden hatten. Der Kapitän erzählte mir, dass er von 24 Toten ausgehe.

"Krone": Wie war es mit dem Kontakt zur Heimat, Ihrem Sohn?
Schrümpf: Wir durften auf dem Marineschiff nicht telefonieren. Ich habe ihm heimlich eine SMS geschickt. Als dann alle Geretteten auf dem Schiff versammelt waren, gestand man uns zwei Minuten zu.

"Krone": Seit wann sind Sie wieder zu Hause?
Schrümpf: Dienstag früh haben sie uns wegen des schlechten Wetters wieder aus dem Flieger geholt. Später ging es über Rom und Frankfurt nach München. Dort bin ich um 21 Uhr gelandet. Mein Sohn holte mich ab. Wir waren um 23.30 Uhr zu Hause. Da haben wir mit einer Tasse heißem Tee angestoßen.

"Krone": Wie geht es mit der Griechenlandhilfe weiter?
Schrümpf: Wir brauchen einen neuen Transporter und machen auf jeden Fall weiter. Dort wird noch so viel Hilfe benötigt.

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