Seit bekannt wurde, dass dem Musikhaus Doblinger der Verlust des historischen Geschäftslokals in der Dorotheergasse 10 in Wien droht, ist die Kulturszene in Aufruhr. Eine Petition zum Erhalt des Geschäfts zählt bereits fast 14.000 Unterschriften, zahlreiche Künstler meldeten sich zu Wort.
Die Uhr tickt für den „Doblinger“: Wegen eines Mietrechtsstreits könnte das Musikaliengeschäft unverschuldet seinen Standort verlieren – wir berichteten. Bis Ende des Jahres will man das Musikhaus raushaben, sogar der Strom könnte abgeschaltet werden ...
Musikschaffende aus mehreren Ländern, Künstlerinnen und Künstler, aber auch Studenten, die in Wien – DER Welthauptstadt der Musik – ihre Ausbildung absolvieren, meldeten sich zu Wort und zeigten sich entsetzt über den drohenden Verlust des geschichtsträchtigen Hauses.
Geigerin Mia Nova, früheres Bandmitglied bei Russkaja („Willkommen Österreich“), sprach gegenüber der „Krone“ sogar von „internationalen Auswirkungen“: „Es würde ein riesiger Bestandteil der Wiener Musikszene verloren gehen, wenn es das Musikhaus Doblinger nicht mehr gibt. Das Erste, was man als Musikstudent in Wien erlebt, ist, dass man von seinem Professor zum Notenkaufen beim Doblinger geschickt wird. Da hängen viele Erinnerungen dran. Wien ist die Musikhauptstadt der Welt, die Studenten, die hier ihre Ausbildung machen, sind dann auch weltweit unterwegs.“
Opernsängerin Madina Karbeli, zuletzt sogar in Japan engagiert, beendete ihre Gesangsausbildung in Wien. Das Musikhaus Doblinger sei „ein Ort mit Seele“: „Als Opernsängerin war das Musikhaus Doblinger für mich immer die erste Adresse, wenn es um musikalische Literatur ging.“ Sie sei 2006 zum ersten Mal nach Wien gekommen, um an einem Opernwettbewerb teilzunehmen: „Ich betrat den Doblinger – und hatte das Gefühl, ein Museum zu betreten: die endlosen Regale voller Urtext-Ausgaben, die Schätze aus allen Jahrhunderten und diese besondere Stille, die nur Räume kennen, in denen Musik zu Hause ist.“
Online-Versand ersetze keinesfalls „dieses letzte wirklich traditionelle Musikhaus – nicht nur in Wien oder Österreich, sondern vielleicht in ganz Europa“, so die Sopranistin gegenüber der „Krone“: „Wenn wir nicht einmal diesen kleinen Inseln von Geschichte und kultureller Identität Schutz bieten können – warum wundern wir uns dann, dass Jahr für Jahr Theater und Konzerthäuser schließen? Dass manche nur noch als touristische Kulissen überleben, während Orchester und Ensembles stillgelegt werden? Und dass ganze Generationen zu reinen Konsumenten einer Trash-Kultur heranwachsen?“
Kultur verschwindet nicht plötzlich. Sie erlischt schleichend – immer dort, wo wir sie nicht mehr verteidigen.
Opernsängerin Madina Karbeli gegenüber der „Krone“
Johannes Fleischmann, Violinist und künstlerischer Leiter des Musikfestivals „Althofener Meisterklassen“ in Kärnten, äußerte sich in einer Videobotschaft nach dem „Krone“-Bericht zum drohenden Doblinger-Aus: „Ein von mir auf Social Media veröffentlichtes Video zur Situation des Musikhaus Doblinger hat innerhalb weniger Tage fast 400.000 Menschen weltweit erreicht – von New York bis Tokio, von London bis Buenos Aires. Und überall taucht dieselbe Frage auf: Wie kann so etwas in Wien passieren? Die enorme internationale Resonanz zeigt, wie sehr dieses traditionsreiche Musikhaus Menschen berührt – und wie stark die Welt von Wien kulturelle Verantwortung erwartet.“
Professor Josef Gumpinger, 1. Pauker im ORF-Radio-Symphonieorchester und Lehrender an der Universität für Musik und darstellende Kunst bezeichnete das drohende Ende des Musikhaus Doblinger als „furchtbar traurigen Stilbruch“: „Für uns Musiker ist das eine Institution im Zentrum von Wien. Der Standort ist ein legendär, die Oper, das ehemalige Konservatorium, die Universität, alles liegt dort in der Nähe.“ Gäbe es das Geschäft in der Dorotheergasse nicht mehr, sei das so, „als wenn man sagt, die Wiener Oper verlegt man jetzt nach St. Pölten. Wobei natürlich nichts gegen St. Pölten spricht – aber es ist einfach nicht mehr das Gleiche“.
Das wäre, als würde man die Wiener Oper nach St. Pölten verlegen.

Für Prof. Josef Gumpinger hat der Standort in der Dorotheergasse eine Geschichte.
Bild: Nancy Horowitz
Auch aus anderen Ländern meldeten sich Künstlerinnen und Künstler zum drohenden Doblinger-Aus. So schrieb Michael Erschbamer, Verband der Kirchenmusik Südtirol: „Das Musikhaus Doblinger ist seit Jahrzehnten ein verlässlicher Partner unseres Verbandes. Besonders im Bereich der Chor- und Kirchenmusik kann das Personal mit einer unerreichten Expertise weiterhelfen. Der Standort in Wien wird von vielen unserer Mitglieder auch persönlich aufgesucht.“
Markus Winkler, Lehrender am Konservatorium für Kirchenmusik der Erzdiözese Wien sowie Landeschorleiter des Chorverbandes NÖ und Wien: „Trotz Digitalisierung und Online-Handel ist das Musikhaus Doblinger seit einer gefühlten Ewigkeit DIE Anlaufstelle für alles, was mit Musikalien zu tun hat. Das aus Geldgier infrage zu stellen bzw. ,auszulöschen‘, wäre ein unwiederbringlicher Verlust für die Musikstadt Wien und alle musikbegeisterten Menschen!“
Auch der Domkapellmeister am Wiener Stephansdom, Markus Landerer, meldete sich zu Wort: „Seit Generationen findet die Wiener Dommusik im Musikhaus Doblinger nicht nur persönliche Beratung, sondern auch musikalische Inspiration und Noten selbst zu schwer auffindbaren Werken der Kirchenmusik. Diese einzigartige Auswahl an Noten, Fachliteratur und Repertoirekenntnis wäre online niemals ersetzbar. Die Innere Stadt ohne Doblinger wäre um ein wichtiges kulturelles Herzstück ärmer.“
Brigitte Wurzer ist Kirchenmusikdirektorin der Jesuitenkirche Innsbruck, Leiterin des Kammerchores „Collegium Vocale Innsbruck“ und Domkantorin im Stephansdom: „Der Doblinger-Standort in der Dorotheergasse ist für mich unverzichtbar – die kurzweilige Entfernung zum Stephansdom sowie zur Musikuniversität bietet mir als Studierende und auch als berufstätige Musikerin eine schnelle und unkomplizierte Notenbeschaffung bzw. Notenrecherche, was mir im Alltag immer wieder als nützlich erscheint.“
Die Zeit wird knapp
Für das Musikhaus, dessen Wurzeln im Jahr 1817 liegen, wird die Zeit immer knapper. Geht es nach den Vermietern – Hauseigentümer ist eine Wiener Privatstiftung aus dem Umfeld eines Finanzdienstleistungsunternehmens – ist mit Jahresende Schluss.
Die Betreiber des Musikalienhandels wehren sich aktuell vor Gericht, doch der Ausgang ist ungewiss. Im schlechtesten Fall verliert allerdings just noch im Strauß-Jahr 2025 die Musikstadt Wien eine ihrer Institutionen – und das wohl unwiederbringlich.
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