In ihrem beruflichen Leben schlägt Direktorin Johanna Rachinger mit ihrem Rücktritt aus Gesundheitsgründen die letzte Seite auf: Ihr Erbe in der Nationalbibliothek in Wien bleibt.
Nach einem Vierteljahrhundert an der Spitze hätte Johanna Rachinger, die umsichtige Hüterin von Millionen an gedruckten Werken, Ende 2026 eigentlich in den wohlverdienten Ruhestand treten sollen. Doch eine schwere Sturzverletzung im August machte eine Rückkehr schon jetzt unmöglich und beendet damit eine Ära, die Österreichs kulturelles Gedächtnis entscheidend geprägt hat.
Unter der Leitung der Grande Dame aus Oberösterreich entwickelte sich die Nationalbibliothek nicht nur zu einem modernen Forschungszentrum, sondern auch zu einem lebendigen Gedächtnis der Nation.
Sehr am Herzen lag ihr auch die historische Flugblätter-Sammlung, eines der größten und vielfältigsten Archive zum Revolutionsjahr 1848, das somit nicht zu Unrecht als UNESCO-Dokumentenerbe geadelt wurde. Mehr als 10.000 Flugschriften, Plakate, amtliche Drucksorten, beeindruckende Lithografien wie „Der Brand am Josephsplatz zu Wien, am 31. Oktober 1848“ erzählen von Aufständen und von einer Habsburgermonarchie im Aufruhr. Der Bestand stammt aus mehreren Quellen: der bereits damals (wie heute) geltenden Pflichtablieferung, aus einer Schenkung der k. k. obersten Polizeibehörde und aus einer großzügigen Zuwendung von Joseph Alexander Freiherr von Helfert (1820-1910).
Wer blättert, spürt die Spannung der damaligen Zeit: die Stimme der Ordnungsmacht, aber auch die mutigen, oft verzweifelten Stimmen der Revolutionäre. Plakate, die einst an Mauern hingen, Broschüren, die heimlich verteilt wurden, Handschriften, die Befehle der Militärbehörden dokumentieren! Ursprünglich in den Bibliotheken von Polizei und Ministerrat gesammelt, fanden die Bestände Ende des 19. Jahrhunderts ihren Weg in die Hofbibliothek, wo ihre historische Ordnung bis heute unverändert erhalten blieb.
Unter Rachingers Ägide entstand das Projekt „Kulturerbe Digital“, das die Sammlung bis Ende 2025 vollständig online zugänglich machen wird. Damit werden die Stimmen der Vergangenheit nicht nur konserviert, sondern für Forschende und Kulturinteressierte erlebbar – von der ersten Revolutionskundmachung bis zum letzten Flugblatt der Gegenbewegung.
Johanna Rachingers Wirken wird unvergessen in die Ewigkeit hallen. In den Regalen der Nationalbibliothek, auf historischen Plakaten und in der digitalen Zukunft, die sie maßgeblich gestaltet hat, lebt ihr Vermächtnis weiter. Sie hat nicht nur eine Bibliothek geleitet, sondern Österreichs Geschichte für kommende Generationen lebendig gemacht. Ein Abschied, der schmerzt, aber auch Dankbarkeit hinterlässt.

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