Posthof Linz

Lendvai: Abend über Wahrheit, Zweifel und Europa

Oberösterreich
25.09.2025 13:30

Mit 96 Jahren stand Paul Lendvai quirlig auf der Bühne des Linzer Posthofs – alle Plätze waren restlos ausverkauft. Der leidenschaftliche Europäer sezierte mit analytischer Präzision, emotionaler Tiefe und brillantem Wortwitz die Brüche seines Lebens. Zwischen Shoa, Flucht und journalistischer Weltkarriere fragte er: „Wer bin ich?“– ein Abend, der unter die Haut ging.

Er kommt ohne Hilfen über die Treppen, wird vom Publikum im ausverkauften Posthofsaal warmherzig mit viel Applaus begrüßt: Paul Lendvai, „Zeitzeuge des Jahrhunderts“ und legendärer Journalist von Weltformat, trat am Mittwoch im Linzer Posthof auf. Der 96-Jährige war in Plauderlaune und hatte sein neues Buch im Gepäck. 

Heimat – ein Gefühl
Lendvai ist eine prägende Figur des europäischen Journalismus – zwei besonders typische Bezeichnungen, die er selbst gerne anführt, lauten: „Österreicher mit ungarischem Akzent“: Er floh 1957 von Budapest nach Österreich. Seither lebt er als „vorbestrafter Trotzkist“ in Wien und Bad Aussee. Und er ist „Europäer, Jude, Ungar und Österreicher“. Diese Identitäten ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Lebensgeschichte.

Germanistin Claudia Hofer vom Posthof und Paul Lendvai
Germanistin Claudia Hofer vom Posthof und Paul Lendvai(Bild: Horst Einöder/Flashpictures)

Im Posthof stellte er sein neues Buch, die Autobiographie „Wer bin ich?“ (Zsolnay, 17,99 €), in den Mittelpunkt. Er präsentierte sich als ein überzeugender und überzeugter Europäer, der den Begriff „Heimat“ mehr als Gefühl und Beziehungsgeflecht, denn als Ortsangabe definiert.

Ungebrochen scharfsinniger Kommentator und Beobachter 
Das Publikum hing an seinen Lippen, auch weil er bei all den „Verrücktheiten der Weltpolitik“, die er „unberechenbar, gefährlich, bedenklich“ nennt, so gelassen bleibt. Das war verblüffend und ansteckend! Mehr Rückgrat wünscht er sich von Journalisten, solange es möglich ist. Es gelte gegen korrupte Oligarchien aufzutreten, gegen subtile „Formen von Rassismus und andere schlimme Zustände“. Man könne nur vorwärts leben, den „rückwärtsgewandten Propheten zu spielen“, sei nicht möglich.

Als Holocaust-Überlebender äußerte er sich bei der Veranstaltung nicht zur aktuellen Situation in Gaza, im Buch beleuchtet er aber Hintergründe. Und er beschreibt, dass er „viel Glück“ in seinem Leben gehabt hätte. Seine Frau (die dritte) meint im Buch dazu, er hätte auch sehr viel gearbeitet an seinem Glück.

Ein beeindruckender Abend – und ein empfehlenswerter Lesestoff mit erhellenden, spannenden Erkenntnissen.

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