Wenn Kinder Grenzen austesten, können Eltern schnell an ihre Grenzen kommen. Das Konzept der „Neuen Autorität“ zeigt Wege, auch in stressigen und aufgeladenen Situationen gelassen zu bleiben.
Wenn das Kind sich weigert, die Jacke anzuziehen. Wenn der Teenager beim Abendessen nur noch ins Handy starrt. Wenn der Sohn trotzig die Hausübung verweigert und vor der Konsole sitzt – Alltagsszenen, die viele Eltern kennen und in denen sie schnell die Geduld verlieren können. Genau hier setzt das pädagogische Konzept der „Neuen Autorität“ nach Prof. Haim Omer an. Statt Machtkampf und Drohungen geht es um Präsenz, Klarheit und Beziehung. Immer mehr Familien, Schulen und Gemeinden in Vorarlberg entdecken diesen Ansatz für sich, dank der Unterstützung des „Pina-Instituts“. Diese Woche ging sogar ein Kongress zum Thema über die Bühne.
Neue Wege finden
„Auch wenn ich eine klare Haltung hatte, gab es Situationen, in denen ich ohnmächtig wurde – beruflich wie privat. Ich wollte neue Wege finden, damit umzugehen“, erzählt Tina Rittmann, Erzieherin, Theaterpädagogin und Mentaltrainerin. Sie war früher in der Jugendarbeit tätig und hat dort so einige Konfliktsituationen erlebt. Heute coacht sie beim „Pina-Institut“ in Dornbirn Eltern und Pädagogen in der Haltung der sogenannten „Neuen Autorität“. Was sie daran fasziniert? „Es zeigt Wege, wie man in Stresssituationen handlungsfähig bleibt, ohne in Strafen und Drohungen zu verfallen.“
Im Kern gehe es darum, bei sich selbst zu beginnen: „Wie kann ich ruhig bleiben, wenn mein Kind mich herausfordert? Wie bleibe ich in Beziehung, auch wenn es schwierig ist?“ An die Stelle von autoritärem Durchsetzen tritt die klare Botschaft: „Ich mag dich, aber mit deinem Verhalten bin ich nicht einverstanden.“ Eltern lernen, Konflikte nicht sofort eskalieren zu lassen, sondern beharrlich und gewaltfrei Widerstand zu leisten. Ein zentrales Prinzip der „Neuen Autorität“ lautet zudem: Niemand erzieht allein. Großeltern, Nachbarn, Freunde – sie können eingebunden werden, wenn es immer wieder um dieselben Konflikte geht. „Eine Oma kann zum Beispiel übernehmen, wenn das tägliche Anziehen zum Dauerstreit wird. Das entlastet und zeigt: Wir stehen nicht alleine da“, erklärt Rittmann. Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf, lautet die Weisheit dahinter.
Mehr Beziehung, weniger Eskalation
Eltern, die erste Schritte mit dem Modell wagen, berichten von großer Erleichterung: Sie fühlen sich stärker, handlungsfähiger und entlastet. „Es geht darum, in einer Situation, die zu eskalieren droht, Abstand vom Problem zu gewinnen und Ruhe zu bewahren. Das Problem kann zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Gemüter abgekühlt sind, angegangen werden.“ Das berühmte „Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist.“ Wichtig sei vor allem in wiederkehrenden Problemstellungen, „immer in Beziehung mit dem Kind zu bleiben“. Das bedeutet, für schöne Momente zu sorgen, um die Bindung zum Kind nicht zu verlieren. „Wenn es nur noch eskaliert, denkt sich das Kind, warum soll ich mich überhaupt mit den Eltern hinsetzen?“
Ein Konzept, das Schule macht
Statt mit Strafen und Drohungen Schuldgefühle zu schüren, gehe es darum, klare Grenzen zu setzen und gleichzeitig die Beziehung zu stärken. Ursprünglich für Familien entwickelt, wird das Konzept längst auch in Schulen, Kindergärten und Organisationen angewandt. „Wir sehen dort, dass Teams entspannter arbeiten und in schwierigen Situationen weniger in Ohnmacht geraten. Zudem können etwa auch Gewalt und Mobbing reduziert werden, weil Erwachsene präsenter und klarer auftreten“, so Rittmann. Die Stadt Dornbirn veranstaltet Anfang nächsten Jahres ein zweitägiges Seminar für Elementarpädagogen zur Umsetzung des Modells in den städtischen Bildungseinrichtungen.
Für Eltern, die sofort etwas ausprobieren möchten, hat Rittmann drei Empfehlungen:
Gut für sich selbst sorgen – innere Balance hilft, in Stresssituationen ruhig zu reagieren.
Netzwerke nutzen – nicht allein kämpfen, sondern zum Beispiel Familie, Freunde oder Schule einbinden.
Für schöne Momente sorgen – trotz Konflikt Nähe schaffen und Beziehung stärken.
Elternsein bedeutet oft Stress, Zweifel und manchmal das Gefühl, zu versagen. Die „Neue Autorität“ zeigt: Man muss nicht perfekt sein, sondern präsent. Oder, wie es Tina Rittmann zusammenfasst: „Es geht nicht darum, dass jemand gewinnt oder verliert. Ich bleibe da, ich führe beharrlich – aber ohne Druck und Strafe. So erfährt mein Kind: Unsere Beziehung trägt, auch wenn es schwierig wird.“
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