Chodorkowski:

“Mein Gnadengesuch war kein Schuldeingeständnis”

Ausland
20.12.2013 17:32
Der russische Regierungskritiker Michail Chodorkowski hält sich derzeit in Berlin auf. Der 50-Jährige ist am Freitag auf dem Flughafen Schönefeld gelandet und von Deutschlands Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der sich stets für seine Enthaftung eingesetzt hatte, in Empfang genommen worden (Bild). Chodorkowski war in der Früh nach zehn Jahren im Gefängnis freigelassen worden, nachdem ihn Präsident Wladimir Putin aus humanitären Gründen begnadigt hatte. Der einstige Ölmagnat meldete sich dann am Abend in einer kurzen Erklärung zu Wort.

Die Beweggründe des Kremlkritikers für die Deutschland-Reise sind derzeit unklar. Am frühen Nachmittag hatten russische Gefängnisbehörden erklärt, Chodorkowski sei auf dem Weg nach Deutschland, um seine an Krebs erkrankte Mutter (kl. Bild) zu besuchen, die dort behandelt werde.

Mutter in Russland, aber hocherfreut
Eine gut informierte Quelle berichtete der Nachrichtenagentur RIA Novosti dann allerdings, dass sich Marina Filippowna (Chodorkowskaja) derzeit zu Hause in Russland aufhalte. Auch die Nachrichtenagentur Reuters und die Staatsagentur Itar-Tass zitierten Chodorkowskis Mutter mit den Worten, sie sei nach wie vor in Moskau. "Ich weiß nicht, warum sie mitteilen, dass Michail zu mir nach Deutschland geflogen ist." Sie werde ihren Sohn aber im Ausland treffen.

In einem anderen Interview zeigte sich die Frau zudem sehr erfreut über die Entwicklungen im Fall ihres Sohnes: "Ich kann es noch gar nicht fassen", sagte die 79-Jährige aufgeregt. Sie sprach mit zitternder Stimme und musste nach eigenen Angaben Beruhigungsmittel nehmen, weil sie die Freilassung ihres Sohnes "wie eine Bombe" getroffen habe.

Gnadengesuch "kein Schuldeingeständnis"
Chodorkowski selbst erklärte auf seiner Website: "Liebe Freunde, ich habe mich am 12. November an den Präsidenten gewandt mit der Bitte um Gnade angesichts familiärer Umstände und freue mich über die positive Entscheidung. Die Frage eines Schuldeingeständnisses hat sich nicht gestellt.

Ich möchte allen danken, die alle diese Jahre den Fall Yukos verfolgt haben, und für die Unterstützung, die sie mir, meiner Familie und allen gegeben haben, die zu Unrecht verurteilt worden sind und die immer noch verfolgt werden ... Ich denke besonders an diejenigen, die weiter in Haft sitzen.

Ich danke besonders Herrn Hans-Dietrich Genscher für seine persönliche Anteilnahme an meinem Schicksal. Zunächst einmal werde ich meine Schuld bei den Eltern, meiner Frau und meinen Kindern begleichen und freue mich sehr darauf, sie zu treffen ... Ich wünsche allen ein glückliches neues Jahr und frohe Weihnachten."

Sofortige Freilassung nach Begnadigung
Chodorkowski war am Freitagmorgen nach zehn Jahren Haft aus dem Gefängnis nahe der Grenze zu Finnland vorzeitig freigelassen worden. Der Erzfeind Putins hätte regulär nach zwei international umstrittenen Urteilen im August nächsten Jahres wieder in Freiheit kommen sollen. Der frühere Chef des einst größten russischen Ölkonzerns Yukos war unter anderem wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Diebstahls verurteilt worden.

Chodorkowski hatte sich offen zur Opposition bekannt. Der ehemals reichste Mann Russlands setzte sich zudem für den Bau einer von seiner Firma kontrollierten Ölpipeline nach China ein, die den staatlichen Firmen Konkurrenz gemacht hätte. Der Prozess gegen ihn wurde international als politisch motiviert kritisiert.

Dass er nun freikommt, gilt als beispielloses Zugeständnis des Kreml an den Westen vor den Olympischen Winterspielen, die am 7. Februar in Sotschi am Schwarzen Meer eröffnet werden. Russland sah sich zuletzt zunehmend wegen der Menschenrechtslage unter Druck. Mehrere Politiker haben bereits angekündigt, auf Reisen an das Schwarze Meer zu verzichten. Kommentatoren in Russland nannten die Nachricht von der Begnadigung Chodorkowskis eine "handfeste Sensation".

Putin hatte am Donnerstag überraschend von einem Gnadengesuch Chodorkowskis gesprochen. Die russische Zeitung "Kommersant" berichtete am Freitag unter Berufung auf anonyme Quellen, Anfang Dezember habe es ein Gespräch von Geheimdienstmitarbeitern mit Chodorkowski gegeben, bei dem kein Anwalt zugegen war. Dabei sei ihm gesagt worden, dass sich der Gesundheitszustand seiner krebskranken Mutter verschlechtert habe und ihm ein dritter Prozess drohe. Daraufhin habe sich Chodorkowski, der bisher immer ein Gnadengesuch verweigert hatte, an Putin gewandt. Chodorkowski selbst bestätigte dies nun am Freitag.

Genscher intervenierte sogar zweimal bei Putin
Genscher dankte in einer von seinem Büro veröffentlichten Erklärung dafür, dass Putin ihn auf seine Bitte zweimal empfangen habe, um über das Schicksal Chodorkowskis zu sprechen. Er habe Chodorkowski einst als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kennengelernt und auch danach bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen, so Genscher. Die Anwälte Chodorkowskis hätten ihn später gebeten, sie in den Bemühungen um eine Freilassung zu unterstützen. Er habe dies aus humanitären Gründen getan, meinte der Ex-Außenpolitiker.

Mutter trifft Chodorkowski am Samstag in Berlin
Zu "Spiegel Online" sagte Genscher: "Chodorkowski ist erschöpft, aber sehr glücklich, endlich in Freiheit zu sein." Der 50-Jährige wolle sich nun zunächst zurückziehen und ausruhen. Unter Berufung auf Genscher berichtete die Website auch, dass die Mutter des Putin-Gegners am Samstag nach Berlin kommen werde, um ihren Sohn wiederzusehen.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele