


Geschichten aus Ovids Metamorphosen, verwoben mit 40 Musikwerken von Antonio Vivaldi: „Hotel Metamorphosis“ versteht Oper als lebendige Form des Recyclings. Die „Krone“ besuchte Regisseur Barrie Kosky vor der Premiere bei den Salzburger Pfingstfestspielen exklusiv bei den Proben.
Man kann sich die Produktion als eine Art künstlerisches Recycling vorstellen. Nicht unbedingt, weil in der Kunst in Zukunft die Rohstoffe knapp werden könnten. Seit drei Jahren arbeitet Regisseur Barrie Kosky an „Hotel Metamorphosis“, einem Musiktheaterprojekt, bei dem er Arien von Vivaldi mit Texten von Ovid kombiniert. Die „Krone“ konnte bei einem exklusiven Probenbesuch einen ersten Blick auf die zentrale Produktion der Salzburger Pfingstfestspiele werfen.
Ein paar Tage vor der Premiere am 6. Juni wird noch an szenischen Details gefeilt. Barrie Kosky sitzt im Haus für Mozart vor der Bühne, gibt Regieanweisungen und startet die eine oder andere Szene neu. Statt des Orchesters begleitet ein Klavier die Sänger, ab und an huschen Bühnenarbeiter mit Headsets flüsternd durchs Bild. Mittendrin hat es sich der Hund des Regisseurs gemütlich gemacht.
Oper war eine Arbeitskunst, Musiker haben ständig transponiert, einzelne Teile gestrichen oder erweitert – noch bis in Mozarts Zeit.
Barrie Kosky, Regisseur
Diese flexible Form möchte Barrie Kosky für Salzburg wiederbeleben. Inhaltliche Basis sind fünf Geschichten aus Ovids „Metamorphosen“, musikalisch lebendig werden sie mit Instrumentalstücken und ausgewählten Arien von Antonio Vivaldi: „Man könnte es ein Best-of-Vivaldi nennen, jedes Musikstück ist ein Juwel, ein wahres Meisterwerk.“
Bevor sich die Idee eines Künstler-Genies und des in sich geschlossenen Werks durchgesetzt haben, erzählt Kosky beim Interview in einer Probenpause, war es im Musiktheater üblich, in Stücke einzugreifen, sie anzupassen oder neu zusammenzustellen: „Es war eine Arbeitskunst, Musiker haben ständig transponiert, einzelne Teile gestrichen oder erweitert und die Ensemblegröße verändert. Oper war eine lebendige Form von Transformation – noch bis in Mozarts Zeit.“
Wie Vivaldi und Ovid zusammenpassen? „Diese Texte sind so etwas wie das Kochbuch der Renaissance“, erzählt Kosky, „auch das ganze Barock war in Ovid mariniert.“ Die dramaturgische Arbeit war lang und intensiv: „Wir haben die fünf Geschichten ausgewählt und dann überlegt, welche Musik wir nutzen können, um sie zu erzählen. Was braucht man für einen Moment – eine Arie, einen Tanz, eine Ouvertüre?“ Vierzig Kompositionen Vivaldis sind es jetzt, die den musikalischen Kern des Projekts bilden. Fertig gebaut wird das Stück erst jetzt in den Proben: „Wir schauen uns an, ob das Konzept aufgeht, ob die Arien funktionieren oder ob es an einer Stelle eher ein Duett braucht.“
Der rote Faden durch die fünf Geschichten ist die erzählende Figur des Orpheus – gespielt von Angela Winkler - sowie der Ort des Geschehens. Die reich verzierte Musik von Vivaldi und die mythischen Texte Ovids bilden dabei einen herben Kontrast zur kühlen Bühne: „Ich habe ein Bild von einem dieser internationalen Hotelzimmer gehabt, die alle gleich aussehen“, meint der Regisseur. Eine bewusst gewählte sterile Welt der Anonymität, in die mit den Ovid-Geschichten Themen wie Sex, Gewalt, Tod, Blut, Wärme und Leben eindringen, beschrieb Kosky seine Idee.
Die Gäste dieses grauen Zimmers sind alles andere als alltäglich und sie alle erleben eine Verwandlung: „Das ganze Leben ist Veränderung. Wir verwandeln uns vom Kind zu einem alten Menschen, wir verwandeln uns ständig in der Erotik, die Pubertät ist eine einzige erotische Metamorphose. Und wir wünschen uns manchmal, jemand anders zu sein.“ Das mache Ovids Verwandlungen so zeitlos, die Geschichte von Orpheus und Eurydice, aber auch von Pygmalion oder Arachne und Minerva, von Myrrha sowie von Echo und Narzissus.
Es gibt etwas in uns, das mehr ist als unser Körper, unsere Biologie. Wenn wir uns mit diesem Teil nicht verbinden, sind wir innerlich tot.
Barrie Kosky, Regisseur
Die mythologische Welt von Ovids Texten ist für Barrie Kosky ein dringend nötiger Impuls für die mitunter glatte Gegenwart: „Wir brauchen mythologische Geschichten, wir brauchen eine Verbindung zu dieser rätselhaften Ebene – ob wir sie jetzt Mythos, Zauber oder Traumwelt nennen. Diese Welt erzählt uns von den Geheimnissen des Lebens. Es ist, als stünde die Zeit still.“
Für Kosky, der sich selbst als „spirituellen Künstler“ bezeichnet, ist diese rätselhafte Sphäre ein Lebenselixier: „Es gibt etwas in uns, das mehr ist als unser Körper, unsere Biologie. Wenn wir uns mit diesem Teil nicht verbinden, sind wir innerlich tot.“ Hier schließt sich der Bogen zu Musiktheater: „Oper verbindet uns mit diesem Mythos, die Musik öffnet unsere Seele für den Klang dieser Welt. Es ist zuerst einmal ein großes emotionales Erlebnis. Der Kopf kommt erst später. Wir neigen heute dazu, immer schnelle und klare Antworten haben zu wollen. Ich möchte lieber in einer talmudischen Welt leben, wo jede Antwort immer nur eine neue Frage ist.“
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