Freitagabend in der Burgtheaterdirektion. "Hier wohne ich!", erklärt Matthias Hartmann und nimmt, von Kopf bis Fuß in Dunkelblau gekleidet, auf dem weißen Sofa Platz. Das Aufnahmegerät bettet er auf ein Kissen, das er vorher ausschüttelt. Mitten im großen, lichtdurchfluteten Raum steht sein Schreibtisch, an dem er das Setting immer wieder verändert. Da kann es schon vorkommen, dass er einem Besucher den Chefsessel anbietet und sich schräg gegenübersetzt.
Die Wände hat er mit hinreißenden Porträtaufnahmen "seiner" Schauspieler tapeziert. Da blicken ihm Klaus Maria Brandauer, Birgit Minichmayr, Gert Voss, Nicholas Ofczarek, Sunnyi Melles und viele mehr bei der Arbeit über die Schulter. Lampe und Sessel haben ursprünglich Boy Gobert gehört und zehn Theater durchwandert, bis sie in Wien gelandet sind.
Mit seiner aufrüttelnden Rede beim Festakt zum 125-jährigen Bestehen der "Burg" vergangene Woche hat Hartmann eine Diskussion über Kulturförderung ins Rollen gebracht. Bundespräsident Heinz Fischer wirkte indigniert, während Ministerin Claudia Schmied klatschte - sie verlässt ja auch ihr Amt. Das Publikum reagierte mit tosendem Applaus.
"Krone": Das Burgtheater könne "so nicht mehr existieren", haben Sie in Ihrer Rede eindrücklich gewarnt. Muss man übertreiben, um zu überleben?
Matthias Hartmann: Ich habe nicht übertrieben. Ich wollte diese Jammerlappen-Geschichte nicht machen. Schon gar nicht in homöopathischen Dosen, weil dann denken alle: Es geht ja eh weiter! Und hören gar nicht mehr zu. Meine Rede ist eigentlich durch einen kleinen Wutanfall entstanden, während ich sie geschrieben habe.
"Krone": Was ist da passiert?
Hartmann: Ich wollte über die glorreiche Vergangenheit dieses Hauses schreiben und welche Zukunft wir uns vom Burgtheater träumen. Aber diese Zukunft sehe ich nicht. Denn mit jeder Lohnerhöhung, die das Burgtheater zahlen muss, geben wir im Jahr eine Million Euro mehr aus. Die Subvention ist aber seit 14 Jahren gleich geblieben. Das ist einzigartig. So etwas habe ich vorher noch nirgendwo erlebt.
"Krone": Aber 46 Millionen Euro sind doch viel Geld... Oder ist das Burgtheater bankrott?
Hartmann: Wir befinden uns in einer schizophrenen Situation. Man möchte das Burgtheater gerne so haben, wie es ist, mit allem, was dazugehört. Aber dann muss man ihm auch das Geld geben, um das zu leisten. Tut man das nicht, entstehen automatisch Schulden. Nicht in Zukunft, sondern jetzt. Mit jedem Tag, an dem die Lohnkosten nicht ausgeglichen werden.
"Krone": Was sind die Folgen?
Hartmann: Drastische Maßnahmen, die das Burgtheater zwangsläufig verändern. Weniger Ensemble, weniger Theater, weniger Programm, kein Kinderstück mehr, kein Akademietheater, kein Kasino, kein Vestibül. Wir müssen ja jetzt unsere Dekorationen zum Teil schon in Rumänien produzieren.
"Krone": Waren Sie enttäuscht, dass Bundespräsident Fischer Ihre Rede mit Missmut zur Kenntnis genommen hat?
Hartmann: Ich mag den Bundespräsidenten ausgesprochen gerne und kann mir nur vorstellen, dass er von meiner Rede so betroffen war, dass er nicht sofort in Beifallsstürme ausbrechen konnte. (lacht)
"Krone": Während Claudia Schmied geklatscht hat... Trägt sie nicht die Verantwortung für die Situation, in der Sie jetzt stehen?
Hartmann: Frau Schmied, mit der mich ein vertrauensvolles Verhältnis verbindet, hoffte, dass die Bundestheater-Holding das Problem lösen kann. Kann sie aber nicht. Denn sie bekommt ja auch das Geld aus der öffentlichen Hand.
"Krone": Würden Sie sich wünschen, dass die neue Regierung wieder einen Kulturminister installiert?
Hartmann: Mir ist es wichtiger, dass es ein guter Politiker, ein guter Zuhörer und Problemlöser ist. Jemand, der etwas von Kultur versteht, der nicht vor den Problemen wegläuft.
"Krone": Was ist Ihre konkrete Forderung an die Politik?
Hartmann: Meine Rede war ein Aufruf zum fairen Dialog.
"Krone": Hat sich schon jemand bei Ihnen gemeldet?
Hartmann: Nein... Jetzt sind Regierungsverhandlungen, da müssen sich die Politiker erst mal sortieren. Aber es ist wichtig, dass das Bewusstsein für die Geldnöte im Raum steht. Denn eines ist klar und das hören die Österreicher von einem Deutschen vielleicht nicht gerne: Das kleine Österreich spielt als Kulturnation auf Augenhöhe mit den größten Staaten der Welt und darüber. Aber keinen Fußballklub, der gegen den FC Barcelona oder die brasilianische Nationalelf spielen soll, würde es so behandeln wie seine Theater, die das Rückgrat für sein kulturelles Selbstbewusstsein sind.
"Krone": Müssten Sie sich nicht auch selbst um Sponsorengelder kümmern?
Hartmann: Aber das tun wir! Unsere Eigeneinnahmen sind hervorragend, sonst würde gar nichts mehr gehen. Wir haben die Invicta-Stiftung für junge Talente, wir bekommen Geld von Herrn Mateschitz, von Audi, den Casinos Austria, Agrana, Ricoh und von 40 weiteren Sponsoren. Und am letzten Freitag war gerade Ottakringer da. Die haben eine Hausführung bekommen und danach haben wir zusammen ein Bier getrunken. Wir können die kollektivvertragliche Gehaltserhöhung aber nicht aus Sponsorengeldern finanzieren. Die sind konjunkturabhängig, darum wäre das fahrlässig.
"Krone": Herr Hartmann, beim Festakt ist auch ein Billeteur aufgetreten, der den Jubiläumskongress gestört und sein Arbeitsumfeld beklagt hat. Haben Sie mit ihm in der Zwischenzeit das Gespräch gesucht?
Hartmann: Ich habe Sympathie mit diesem Mann und werde mit ihm reden. Sein Anliegen ist wichtig.
"Krone": Sie sind vor drei Jahren an die "Burg" gekommen. Sind Sie schon verwienert?
Hartmann: Na ja... Ich sage "Sackerl" und "Packerl" und betone Kaffee auf der zweiten Silbe.
"Krone": Sagen Sie auch "eh"?
Hartmann: Eh sag ich eh!
"Krone": Letzte Frage: Warum soll jemand ins Burgtheater kommen?
Hartmann: In Zeiten des medialen Overkills, der suggestiven Bilder und der ständigen Animationen ist der verkümmerteste Muskel unserer Seele die Phantasie. Für die Menschen, die sich hier versammeln und mit uns zusammen glauben, dass das, was auf der Bühne passiert, echt ist, ist das Theater so etwas wie ein Fitnesscenter für die Fantasie. Die braucht man, um ein mündiger und selbstbewusster Bürger zu sein. Und es gibt nichts Schöneres, als wenn das Publikum schreit, jubelt, frenetisch applaudiert, zum Beispiel nach "Was Ihr Wollt" oder "Lumpazivagabundus", und die Schauspieler gar nicht mehr von der Bühne gehen lassen will.
Seine Karriere
Geboren am 27. Juni 1963 in Osnabrück. Seine Laufbahn beginnt er zunächst als Textilkaufmann. Erste Regieassistenzen ab 1985 am Berliner Schillertheater und in Kiel. Intendant am Schauspielhaus Bochum von 2000 bis 2005, danach übernimmt er die Leitung des Schauspielhauses Zürich. Direktor des Burgtheaters seit 2009 (sein Vertrag läuft bis 2019). Privat ist Hartmann mit der Regisseurin Alexandra Liedtke verheiratet. Das Paar hat drei Kinder (6, 8 und 10 Jahre alt).
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