Die Geburtenrate in Österreich hat mit 1,31 Kindern pro Frau ein historisches Tief erreicht. Die deutsche Soziologin Jutta Allmendinger sieht angesichts dieser Entwicklung dringenden Handlungsbedarf und fordert eine grundlegende Neuausrichtung gesellschaftlicher Strukturen – insbesondere in der Familien-, Arbeits- und Bildungspolitik.
Bei einer Veranstaltung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Kooperation mit Statistik Austria sprach sich Allmendinger am Montagabend für ein „Out-of-the-Box“-Denken aus. Ziel müsse es sein, Lebensläufe radikal neu zu denken und flexibler zu gestalten. Phasen von Bildung, Erwerbsarbeit, Kindererziehung, Pflege von Angehörigen oder Ruhestand müssten sich im Lebensverlauf besser abwechseln können.
Geburtenrate auf historischem Tiefstand
Caroline Berghammer, Demographin an der ÖAW, bestätigte: Die Geburtenrate ist auf einem historischen Tiefstand angekommen. Das Thema beschäftigt auch Österreichs Fiskalrat. Dessen Vorsitzender Christoph Badelt warnte bereits im März vor einer „demografischen Bombe“ durch die rapide Alterung der Gesellschaft.
Statistik Austria-Generaldirektor Tobias Thomas prognostizierte: Der Anteil der über 65-Jährigen werde bis 2060 von derzeit rund 20 auf 30 Prozent steigen. Bereits 2040 kommen auf einen Pensionisten nur noch zwei Menschen im Erwerbsalter.
Frauen oft vor unlösbaren Entscheidungen
Laut Allmendinger stehen Frauen häufig vor der Wahl: traditionelles Mutterbild, Pflege der Eltern oder eigene berufliche Sicherheit. Viele entscheiden sich daher gegen Kinder oder für weniger Kinder. Die Last der Vereinbarkeit liege weiterhin überwiegend auf den Schultern der Frauen. In Deutschland betrage die durchschnittliche Wartezeit auf einen Kurplatz für Mütter zwei Jahre, so Allmendinger.
Ein zentrales Problem sei die ungleiche finanzielle Belastung durch das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld. Viele Familien könnten es sich schlicht nicht leisten, wenn der besserverdienende Mann in Karenz geht. Eine Anhebung des Kinderbetreuungsgeldes könne laut Allmendinger hier Abhilfe schaffen.
Männer wollen nicht wie ihre Väter leben
Allmendinger verwies auf Studien, die belegen, dass viele Männer heute ein aktiveres Vaterbild leben wollen. Die Politik unterschätze jedoch häufig dieses Potenzial. Eine familienfreundlichere Politik müsse sich daher auch gezielt an Männer richten, um strukturelle Veränderungen zu erreichen.
Kinderwahlrecht als Denkmodell
Ein weiterer Vorschlag Allmendingers: das Kinderwahlrecht. Stimmen von Personen mit Kindern könnten stärker gewichtet werden, um die politische Repräsentation von Familien zu erhöhen. Dies könne langfristig zu einer besseren Absicherung und zu mehr politischer Aufmerksamkeit für familienrelevante Themen führen.
Skepsis gegenüber Zuwanderung und Pensionsalter-Anhebung
Die ÖAW befragte im Rahmen des „Wissenschaftsbarometers“ die Bevölkerung zu den Herausforderungen des demografischen Wandels. 53 Prozent gaben an, stark oder sehr stark interessiert zu sein. Die größten Sorgen betreffen die Gesundheitsversorgung, den Fachkräftemangel und die Finanzierung des Pensionssystems.
Als bevorzugte Gegenmaßnahmen nannten die Befragten eine stärkere Integration Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen. Überraschend hoch war auch die Zustimmung zu privater Altersvorsorge. Wenig Unterstützung fanden dagegen gezielte Zuwanderung, eine Anhebung des Pensionsalters und höhere Sozialversicherungsbeiträge.
ÖAW-Präsident und Ex-Bildungsminister Heinz Faßmann sieht hier ein klares Dilemma: „Zuwanderung ist keine beliebte Form des Umgangs mit der alternden Bevölkerung.“ Gleichzeitig sei das politische Risiko groß, unbequeme, aber notwendige Reformen anzugehen.
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