Geburten rückläufig
Singapur: Regierung fördert Speed-Dating-Events
24 Augenpaare sind wie gebannt auf Michelle Goh gerichtet. "CompleteMe" ("Vervollständige mich") heißt ihre akkreditierte und von der Regierung geförderte Agentur. Die Teilnehmer sind sich der Wichtigkeit ihres Unterfangens durchaus bewusst. Nicht nur das eigene zukünftige Glück hängt davon ab, sondern auch der Fortbestand des Landes: Mit statistisch nur 1,29 Kindern pro Frau hat Singapur eine der niedrigsten Geburtenraten weltweit. Viele, vor allem Frauen, bleiben Single. Einwanderer könnten den Bevölkerungsschwund ausgleichen, doch Regierung und Teile der Bevölkerung fürchten, dass dies die nationale Identität Singapurs verwässern würde.
Deshalb unterstützt die Regierung Agenturen wie die von Michelle Goh - und lässt sich dies einiges kosten. Umgerechnet 1,2 Milliarden Euro im Jahr steckt der Stadtstaat mit 5,3 Millionen Einwohnern in die Familienförderung. Damit werden nicht nur Dating-Agenturen und Ratgeber für Singles gesponsert. Singapur zahlt eine Baby-Prämie und subventioniert die Kinderbetreuung sowie die medizinische Versorgung der Kleinen. Außerdem wurde die bezahlte Elternzeit auf 16 Wochen für Mütter und eine Woche für Väter ausgeweitet. Die Regierung trägt bis zu 75 Prozent der Kosten für Fruchtbarkeitsbehandlungen.
Liebe ohne Worte und Berührungen
Im Konferenzraum an der Orchard Road erklärt Frau Goh den nächsten Teil des Abends: "In dieser Übung werdet ihr versuchen, Liebe auszudrücken, aber ohne Worte und Berührungen." Die hoch motivierten, gut aussehenden Singles - alle im Alter von Ende Zwanzig bis Anfang Vierzig - demonstrieren Luftküsse und jede Menge herzförmiger Verrenkungen. Und jeder will natürlich dabei besser aussehen als die anderen. Denn die große Liebe fürs Leben zu finden, ist schwierig, die Konkurrenz ist groß.
Lange Arbeitszeiten, Shopping-Sucht und eine beinahe obsessive Faszination für technische Spielereien machen Flirten in Singapur zum Hürdenlauf. "Ich hab einfach keine Zeit, jemanden kennenzulernen", sagt Speed-Daterin Vanessa Chua. "Ich arbeite viel und am Wochenende habe ich nur Zeit für Kino mit Freunden oder um meine Familie zu besuchen", erklärt sie und blickt kurz von ihrem Handy auf. Sie checkt gerade ihre Facebook-Seite.
Menschen sind die einzige Ressource Singapurs
Nach Ansicht mancher Experten kommt die offizielle Gebär-Offensive zu spät. "In Singapur haben sich die wirtschaftlichen und sozialen Faktoren so stark verändert, dass das Erreichen der Reproduktionsrate der Vergangenheit angehört", sagt die Geschlechterforscherin Theresa W. Devasahayam. Erst bei einer Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau bleibt die Bevölkerung statistisch gesehen stabil.
Für das rohstoffarme Singapur seien Menschen die einzige wirtschaftliche Ressource, und wenn diese zu schwinden beginne, werde dies zu einem großen Problem, sagt Devasahayam. Eine Möglichkeit wäre, Arbeitskräfte zu importieren - also Einwanderung. Doch da fürchten die Bewohner Singapurs, zur Minderheit im eigenen Staat zu werden - also bleibt nur eines: schnell mehr Babys kriegen.
Die Speed-Dater von Michelle Goh betätigen sich kreativ mit herzförmigem Origami-Papier. Sie sollen etwas ganz Einzigartiges daraus basteln. In anderen Veranstaltungen lernen Singlemänner die Wichtigkeit von Hautpflege, Damen können sich Make-up-Tipps holen, und Cocktailpartys sollen helfen, Hemmschwellen zu überwinden. Für die Regierung bleibt zu hoffen, dass dies die gestressten Menschen anregt, eine Familie zu gründen.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.