„Krone“-Interview

Rival Sons: „Musik hat so viel Sex und Schönheit“

Musik
01.11.2023 09:00

Am Halloween-Abend spielten die Rival Sons vor rund 2000 Fans kostümiert ihr bislang größtes Konzert in Österreich. Mit „Darkfighter“ und „Lightbringer“ veröffentlichten die kalifornischen Rocker heuer gleich zwei Alben, die so persönlich, intensiv und progressiv wie nie zuvor geraten sind. Sänger Jay Buchanan nimmt uns im Interview mit auf eine mentale Reise, die sich um Selbstfindung dreht und noch immer voll im Gange ist.

(Bild: kmm)

„Krone“: Jay, mit Österreich habt ihr schon viele schöne Erfahrungen gemacht. Headliner im Gasometer zu sein, war aber das bisherige Highlight für euch bei uns.
Jay Buchanan:
Wir haben wirklich oft hier gespielt. Wenn man in Wien ist, muss man den Stephansdom, die Staatsoper und das Belvedere besucht haben. Hier gibt es extrem viel zu sehen und zu erleben. Ich habe immer viel zu wenig Zeit, um das zu tun, was ich tun möchte. Selbst wenn wir einen freien Tag haben, muss ich mich und meine Stimme schonen. Eines der ersten Male hier war 2012 im B72. Über uns fuhr ein Zug und es war die kleinste Bühne, die wir je spielten. Die Verstärker mussten wir seitlich verstauen, weil es keinen Platz gab. Die Interviews gab ich hinter der Bar im ersten Stock und habe mir bei der tiefen Decke öfter meinen Schädel angehauen. Dann waren aber auch ein paar Mal in der Ottakringer Brauerei.

Dieses Jahr habt ihr im Frühling mit „Darkfighter“ und nun mit „Lightbringer“ gleich zwei Alben herausgebracht, die konzeptionell zusammenhängen.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Alben miteinander verbunden sind. Das Songwriting ging in einer großen Session über die Bühne und wir haben die Songs dann aufgeteilt. Die beiden Alben haben dieselbe DNA. Wenn „Darkfighter“ das X-Chromosom hat, hat „Lightbringer“ das XY-Chromosom. Das neue Album ist etwas lebendiger und femininer als „Darkfighter“.

Fühlst du dich mit beiden Alben gleich wohl? Haben sie die exakt selbe Bedeutung für dich?
Die thematische Struktur ist der größte Unterschied zwischen den beiden Werken. Auf „Lightbringer“ gibt es mehr Akustikgitarren, aber auch richtig schwere Songs. Wir eröffnen mit „Darkfighter“, einem neunminütigen Opus. Dann geht es weiter zu „Mercy“ und „Redemption“, bevor wir mit „Mosaic“ enden. Das ist einer der positivsten Songs, die ich jemals geschrieben habe. Mir war es wichtig, so einen Song zu schreiben. Wir haben zwei Jahre lang extrem hart an diesen Alben gearbeitet - die meiste Zeit während der Covid-Lockdowns. In dieser Zeit ist sehr viel in meinem Leben passiert und ich habe einfach immer weitergeschrieben. Weder mein Songwriting-Partner Scott Holiday, noch ich hatten eine klare Idee. Wir wollten einfach unsere besten Songs machen, mehr Vorgaben gab es nicht. In meinem Leben gab es viele Turbulenzen, aber erst als ich mitten in einem Hotelzimmer aufwachte und „Mosaic“ zu schreiben begann, hat sich für mich der Kreis geschlossen. Ich wusste, das war es nun. Ich brauche nichts mehr schreiben, die Sammlung ist komplett. Das war für mich eine große Erleichterung, weil ich sehr viel Druck und Verantwortung spürte, immer weiterzuschreiben.

Du hast öfter in Interviews betont, dass diese beiden Alben deine persönlichsten seien. War es für dich schwierig, dich so klar zu öffnen und zu zeigen?
Ich bin an einen Punkt in meinem Leben angelangt, wo ich die Trennwand zwischen Kunst und meinem Sein durchbrochen habe. Ich habe ganz offen über mein Leben geschrieben. Auch über Dinge, wo es mir nicht leicht fiel, darüber zu reden. Das typische Rock-Publikum wird das wahrscheinlich nicht scheren, aber ich habe alles nach außen getragen, weil ich es musste. Ich kann gar nicht mehr anders schreiben. Ich will tiefer graben, denn die Kunst hilft mir dabei, mich selbst kennenzulernen und mich zu finden. „Darkside“, „Horses Breath“ oder „Mercy“ sind extrem schwere, dunkle Songs. Ich bin der „Darkfighter“ und ich bin der „Lightbringer“. Ich verwende in den Songs einen Protagonisten, aber natürlich stecke ich selbst dahinter. Jetzt haben wir das achte und neunte Album der Rival Sons und vor der Arbeit daran fühlte ich mich auf einer entscheidenden Kreuzung in meinem Leben.

Ich kann innerhalb von fünf Minuten locker einen Song schreiben - nichts leichter als das. Aber so tief in mich zu gehen, mich so persönlich zu artikulieren und mein Handwerk in mein Innerstes zu graben, das war nicht leicht. Ich habe alle Brücken verbrannt und neu begonnen. Diese Herangehensweise hat für Spannungen im Studio gesorgt. Wir hatten als Band eine Verantwortung dafür, das Vokabular einer Rockband auszudehnen. Wir erfinden das Rad nicht neu, aber wir mussten ganz anders an die Dinge herangehen und uns selbst neu erfinden. Das hat es weder für unser Label, noch für unser Management, noch für unsere Fans einfacher gemacht, aber es gab keinen anderen Weg für uns. Die beiden Alben sind Avantgarde, ohne den Avantgarde-Anspruch zu haben. Wir haben das Make-up endgültig abgelegt und sind so echt und zugänglich, wie nur möglich.

Wenn man eurer Karriere folgt, ist es eigentlich unmöglich, nicht zu sehen, wie ihr euch immer weiterentwickelt und verändert habt. Dieser Sprung nun ist aber ein großer und mutiger, auch wenn man vorhersehen konnte, dass es wieder ganz anders wird. Braucht ihr diese Herausforderungen und Neuerfindungen?
Das ist sogar absolut notwendig. Ich habe meinen Look und alles andere an mir verändert, weil es notwendig war. Ich brauchte diesen Wandel und bin sehr dankbar, dass ich mit Scott einen Partner in der Band habe, der für diese Veränderungen immer offen war. Wir können uns nicht wiederholen, das ist keine Option. Selbst Künstlern passiert es schnell, dass sie zaghaft und vorsichtig werden. Sie haben Erfolg und wollen diesen Erfolg um jeden Preis weiterführen - gehen dabei aber mehr oder weniger bewusst Kompromisse ein. Ich komme aber zuerst. Dann kommen die Band und unsere Beziehung untereinander - dann alle anderen. Mögen die anderen, was wir machen, ist das toll. Wenn nicht, dann können wir uns noch immer in den Spiegel schauen.

Vielleicht sind diese Veränderungen und Wandel sogar die wichtigsten Bausteine für eure Erfolge?
Ich bin sehr dankbar dafür, dass meine Band mich versteht und selbst mit den Veränderungen wächst und reift. „Feral Roots“ war ein großartiges Album, aber ich bin nicht mehr diese Person. Und das ist gerade erst vier Jahre her. „Great Western Valkyrie“ war auch ein Riesending mit vielen Hits, aber ich bin nicht mehr der, der ich damals war. Selbst wenn ich diese Songs live performe, fühlt sich das anders an als früher. Ich denke anders, ich lebe anders. Ich habe andere Erfahrungen und sehe das Leben anders als früher. Man muss immer nach seinem Potenzial suchen und dafür muss man ständig ums Überleben kämpfen. All meine Helden hatten diese Einstellung verinnerlicht. Das ist die Art von Kunst, an der ich interessiert bin.

Ist es nicht manchmal schwierig, mental zu diesen Songs zurückzugehen, wenn du Konzerte spielst? Auch wenn sie für die Fans große Hits sind, auf die sie alle warten?
Sehr schwierig sogar. Als Künstler ist dir bewusst, dass wenn etwas zum Erfolg wird und bei den Leuten ankommt, es zu einem Teil deines täglichen Vokabulars wird. Deshalb ist es für mich so wichtig, dass ich immer mein Bestes dabei gebe, etwas zu schreiben, das Substanz hat. Ich liebe Songs wie „Jordan“ oder „Shooting Stars“. Tracks, die positiv sind. Ich weiß, dass die Leute oft nach dem Dunklen und Bösen suchen, aber ich denke anders. Wenn ich jeden Abend nur düstere Songs singen würde, wie soll ich dann jemals glücklich werden? Mein Glück und meine Freude im Leben haben für mich höchste Priorität. Nur so kann ich das auch an andere Menschen weitergeben. Wut ist ein schlechter Treibstoff. Mir ist es wichtig, in meinen Songs etwas zu sagen. Ich habe natürlich auch Lieder wie „Electric Man“, die etwas seicht sind. Das ist okay, man kann nicht immer perfekt schreiben. Wenn das Gefühl passt, kann man auch „Spoon“ und „June“ auf „Moon“ reimen. Mir wird es aber immer wichtiger, etwas Gutes in die Ohren der Menschen zu pflanzen. Dann liegt ihnen das auch so auf der Zunge, sie grölen es zurück und es entsteht eine positive Wechselwirkung.

Gibt es Songs von früher, die du überhaupt nicht mehr live singen würdest?
Da gibt es schon ein paar. In erster Linie haben wir als Rival Sons immer tolle Songs geschrieben. Wir haben vielleicht fünf beschissene Songs auf neun Alben und sogar die sind besser als die Songs der meisten anderen. Wir haben uns immer bemüht und alles gegeben. Ich versuche den Songs zu vergeben, die ich nicht so gut geschrieben habe. Für die ersten fünf Alben sind wir ohne Vorbereitung ins Studio gegangen. Ich habe schnell die Refrains und Melodien gebaut, aber Texte zu schreiben ist härter. Das braucht seine Zeit. So hatte ich immer zwei Wochen Riesenstress. Ich hatte Ideen, musste dann aber alles finalisieren, weil die anderen auf mich gewartet haben und mich streng beobachteten. Heute bin ich damit versöhnt. Ich habe damals schnell und unmittelbar arbeiten müssen. Das würde ich heute nicht mehr so machen.

Hast du ungefähr eine Vision davon, wo die Rival Sons zukünftig hingehen werden? Noch mehr Seelenstriptease wie auf diesen beiden Werken ist kaum noch möglich …
Ich glaube fest daran, dass für die Band jetzt etwas Neues aufgebrochen ist. Ich bin an einem neuen Punkt angelangt, von dem an ich schreibe und kreativ bin. Die Richtung ist noch nicht ausgeformt und wird weitergezogen. Schauen wir ein paar Alben zurück: Nach dem großen Erfolg von „Great Western Valkyrie“ waren wir für eineinhalb Jahre mit Black Sabbath auf Tour. In der Zeit veröffentlichen wir „Hollow Bones“ und das Album spreizte sich völlig von dem ab, was wir bislang machten. „Tied Up“ schlug sich ganz gut, aber wir hatten keine erfolgreiche Single. Es war klar, dass wir einen starken Schlenker machen mussten, um „Feral Roots“ schreiben zu können. Wir wären heute aber nicht hier, wo wir sind, hätten wir diese zwei Alben davor nicht gemacht. Es hat immer einen Sinn, wenn man seinem Weg folgt. Auch wenn die Kartografie nicht immer logisch nachvollziehbar ist. Wir folgen dem Labyrinth und mit jedem neuen Album vervollständigt sich das Verständnis, wo und wer wir sind. Die Band ist derzeit an einem Punkt angelangt, wo unsere Identität und unser Platz im Rock-Genre egal ist.

Mir ist alles egal und das fühlt sich gut an. Ich liebe Rockmusik, aber wenn sie nicht dazu bereit ist, zu wachsen und sich zu verändern, dann bin ich hier falsch. Rockmusik braucht Wachstum und Ausdehnung. Wenn ich mit Rockfans rede, dann fragen sie mich immer launisch, ob die große Zeit des Rocks jemals zurückkehren wird und regen sich gleichzeitig über den Vormarsch von Hip-Hop auf. Es liegt aber auf der Hand: Hip-Hop ist innovativ, spannend und schaut immer nach vorne. Die Rockmusik nicht. Sie entwickelt sich nicht und traut sich nichts zu. Immer, wenn du einen neuen Rocksong hörst, lautet der Text „Devil Woman… In My Soul… I Wanna Rock You“. Der gleiche Scheiß, immer und immer und immer wieder. Ich will dieses Spiel nicht mehr mitspielen und lasse mir auch nicht sagen, ob ich Rock’n’Roll genug bin oder nicht. Ich bin definitiv Rock’n’Roll und du bist der Hörer.

Im Endeffekt liegt es ja nicht nur an den Bands, sondern auch an den Fans, dass sie Progression und Entwicklung nicht zulassen. Beim Rock dreht man sich gerne im Kreis.
Absolut korrekt. Der Rock muss endlich wieder wachsen. Es ist die Definition des Genres, dass es sich bei anderen Elementen und Ideen bedient - und das treiben wir voran. Wir werden sehen, wohin uns unser Weg führt. Diese beiden Alben waren so viel Arbeit, dass wir uns gerade nichts Neues vorstellen können. Scott und ich fühlen uns kreativ ziemlich ausgelaugt, weil das Projekt so groß war. Aber irgendwann kommt alles wieder zurück. Ich schreibe jeden Tag, aber es ist nicht so leicht, jeden Tag etwas für die Rival Sons zu schreiben. Was auch immer ich in Zukunft machen werde, ich werde immer versuchen, die Grenzen zu verschieben.

Es ist auch ein großes Statement von euch, in Zeiten von Singles und Streaming-Playlists ein Album mit einem neun Minuten langen Song einzuleiten.
Ich liebe Alben und bin ein Musiksammler. Für mich ist das Hören von Alben ein Statement. Gleichzeitig liebe ich aber auch die tollen Playlists auf Spotify. Ich liebe das Streaming, aber nicht, wie wir Musiker von diesen Plattformen behandelt werden. Wir können nicht mehr vom Musikverkauf leben, aber gleichzeitig habe ich die Möglichkeit, auf so gut wie jedes Album und jede Musik der Welt zu jeder Zeit zurückgreifen zu können, indem ich einfach nur in meine Hosentasche greife.

Das pure Konzept dieser Streamingplattformen ist fraglos großartig. Nur an der Umsetzung hapert es bekanntlich sehr.
Gleichzeitig ist mir bewusst, dass die Verfügbarkeit all dieser Musik ihren Wert verringert. Wenn du alles sofort und billig haben kannst, dann verliert es natürlich schwer an Wert und irgendwo verliert man auch an Interesse. Ein teuflischer Kreislauf. Aber egal, was auch noch kommen mag - ich bin quasi an die Musik gekettet. Ich liebe sie über alles. Alle Songs, alle Refrains, alle Konzerte, die ich je gesehen und geschrieben und gespürt habe, sind für mich immer noch ein großes Mysterium. Musik hat so viel Sex und Schönheit. Es gibt noch immer so viel zu lernen und zu entdecken, herauszufinden. Faszinierend.

Kommen wir abschließend noch einmal auf dein Texten zurück. Ist es leichter, in den Songs grundehrlich zu sein, wenn man aus einer offen zur Schau gestellten Verletzlichkeit heraus schreibt?
Schwer zu sagen. Wenn du aus der dritten Person schreibst, hast du sehr viel Freiheit und du kannst dich gut tarnen und verkleiden, weil du eine entfernte Position einnimmst. Meiner Erfahrung nach ist das Songwriting an sich nicht schwierig. Wenn du einmal gespürt hast, woher die richtige Inspiration kommt und sie dann in Kunst ummünzt, jagst du dieses High-Gefühl dein Leben lang. Songs wie „Jordan“, „Shooting Stars“ oder „Mosaic“ hatten genau dieses Gefühl. Das ist für mich der Standard und den zu halten ist schwierig. Authentisch und direkt aus dem Herzen heraus zu schreiben, kann auch ermatten. Ich will nicht jeden Moment meines kreativen Lebens damit verbringen, mit einer Taschenlampe in meinen Innereien zu graben und mich zu durchleuchten. Ich will meine Wahrheit erzählen, das ist mir wichtig. Das muss nicht immer intensiv sein. Hoffentlich gibt es auch ein paar Leute, die etwas daraus ziehen können. Es gibt viel zu viele einsame Menschen und ich schreibe vor allem für sie. Sie sollen sich nicht so alleine fühlen.

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