Neues Album „Müde“

Leftovers: Die Adoleszenz ist ein gemeiner Hund

Wien
04.11.2023 09:00

Nur ein Jahr nach ihrem gefeierten Debütalbum „Krach“ sind die Wiener Grunge-Punks Leftovers „Müde“. Allerdings nicht von Party und Musik, sondern von den Tücken des Erwachsenwerdens, toxischen Beziehungen und der Welt im Allgemeinen. Das beste Rezept gegen die Realität? Einfach so richtig die Sau rauslassen.

Vor gerade einmal einem Jahr krachten vier junge Wiener mit einem latenten Hang zum Nihilismus und der Liebe zu unverfälschtem, purem Gitarrensound in die Szene und begeisterten weit über ihre selbstgesteckten Genregrenzen hinaus. Die Leftovers klangen und rochen nach Außenseitertum, nach Scheiß-drauf-Mentalität und nach einer angenehmen musikalischen Frische, wie man sie nur in einem ganz bestimmten Zeitfenster seines Lebens an die Oberfläche würgen kann. Diese Debütplatte hieß „Krach“ und beförderte das Quartett sofort zentral auf die musikalische Landkarte. Konzerte im Vorprogramm von Wanda und im kleineren Rahmen als Headliner brachten die nötige Inspiration, um schnellstmöglich nachzulegen. Und klar, wer so viel Krach macht, der wird auch müde. Wobei der Albumtitel „Müde“ natürlich ambivalent austreibt. Man mag müde sein vom Zustand der Welt, den Mitmenschen und furchtbaren Erlebnissen, nicht jedoch von der Musik und ihrer Energie.

Nihilismus mit Reife
„Müde“ hat vor allem den Vorteil, ein kohärentes Produkt zu sein. War das Debütalbum noch eine Zusammenstellung aus während der Pandemie geschriebenen Songs, zieht sich hier erstmals ein roter Faden durch Themengebiete wie Verzweiflung, Liebe, Rausch und Wahn. Gestählt von den Erlebnissen auf Tour, aber auch von der Rückkehr in die „richtige“ Welt, die sich abseits von Abstandsregeln und dem engen Wohnzimmergefängnis dreht, projiziert sich dieser wesentlich lebendigere und fühlbarere Erfahrungsschatz direkt in die Songs. Den offen zur Schau gestellten Nihilismus haben die Leftovers ebenso ins Jahr 2023 gerettet, wie die Unbedarftheit und so manch punkige Stachelfrisur. Trotzdem allem spürt man dem Material eine unweigerlich gestiegene Reife an, die sich textlich und musikalisch Bahn ebnet.

Schon im Opener „System“ werden Angststörungen und Panikattacken in den Vordergrund gestellt. Zuerst mittels medizinischen Samples, dann per gitarrenlastiger Adoleszenz-Wut. Die musikalische Herangehensweise, das merkt man schon relativ früh am Album, hat sich dabei leicht verändert. Den kompromisslosen Distortion-Grunge der Marke Mudhoney oder Nirvana zur „Bleach“-Ära haben sich die Wiener beibehalten, Punk und Punkrock rücken aber für eine verstärkte Neigung zu Post-Punk oder düsterer 80er-Goth-Elektronik zurück. Anstatt sich wild-wütend durch die Botanik zu shreddern, setzt man ruhigere Akzente und drückt auch einmal auf die Bremse, wenn sich etwas nicht rund anfühlt. Harsche Ausritte wie das knackige „Fick dich“ oder „Bellen“ nehmen noch immer den größten Raum im Bandkosmos ein, es gibt aber auch überraschende Schwenke, mit denen man vor nicht einmal einem Jahr noch nicht rechnen konnte.

Teenage Angst mit Ausblick
Die Heimathymne „15. Bezirk“ lässt sich Zeit für den Aufbau und bietet Synthie-Klängen breiteren Raum an. Herausragend gerät die inoffizielle Album-Hymne „Ohne dich“, auf der Bandviertel Anna nicht nur erstmals prominent als Sängerin in den Vordergrund tritt, sondern auch mit den Schmerzen und Nachwirkungen einer toxischen Beziehung abrechnet. In mehrfacher Hinsicht sehr stimmstark. Zuerst engelsgleich und fragil, später wild austrabend und dem Inhalt entsprechend aggressiver. Die Coming-Of-Age-Thematik vermischt sich mit der üblichen Teenage Angst noch immer ganz gut. Die Leftovers versuchen hörbar bestmöglich, der grassierenden Negativität nicht allzu viel Platz einzuräumen, können am Zustand der Gegenwart aber nur kleine Schrauben drehen, die den Mikrokosmos verändern, das große Ganze aber auch nicht revolutionieren können.

Das Rad der Musik lässt sich nicht neu erfinden, in Songs wie „Es tut weh“ oder „Kalt“ ist man Nirvana musikalisch aber zuweilen schon verdächtig nahe. Dazwischen gelingen aber öfters stimmliche Ausbrüche, bewusst eingesetzte Breaks und überraschende Hakenschläge, die aufzeigen, dass sich die vier Youngster das letzte Jahr hinweg gewaltig weiterentwickelt haben. „Müde“ ist ein zuweilen überraschend vielseitiges, auf jeden Fall wieder kompromissloses und herzhaftes Manifest juvenilen Krachs, das älteren Hörern die Zustandsbeschreibung einer scheinbar verlorenen und verirrten Generation ein bisschen näherbringt. Wo Rammstein „Du riechst so gut“ singen, steuern die Wiener „Du schmeckst so gut“ bei - die Unterschiede könnten nicht größer sein und das ist definitiv so gewollt.

Live in Österreich
Ihr neues Album „Müde“ präsentieren die Leftovers am 24. November im Grazer ppc , am 25. November im Röda in Steyr und dann am 30. November in der Wiener Arena. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für die Shows - dort finden Sie auch alle weiteren Informationen zu den beiden Events.

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