Live im Volkstheater

Paul Weller: Klangliche Freuden für Herz und Seele

Wien
26.09.2023 01:33

Sechs lange Jahre nach seinen beiden letzten Österreich-Gastspielen fand die Britpop-Legende Paul Weller endlich wieder zu uns. Mit an Bord hatte er ein beeindruckendes Best-Of-Set aus nahezu 50 Jahren Kultkarriere, eine perfekt aufeinander eingespielte Band und ein sympathisches Rezept, wie man die Krux von technischen Pannen möglichst souverän und locker löst. Ein Abend der allumfassenden Freude.

Auch wenn die Werbeschiene für das Konzert nicht gerade üppig war - das Österreich-Comeback von Paul Weller im Wiener Volkstheater war schon seit Wochen restlos ausverkauft. Bei nur etwa 800 Karten kein Wunder, aber der „Modfather“ stellt die Qualität eben immer über die Quantität. Wenn schon live, dann auch im gediegenen Rahmen. Da verwundert es auch nicht, dass sich auf den roten Samtsesseln Polos von Fred Perry und Lacoste befinden und die Bandshirt-Auswahl der Fans durchaus bunt ist. In der unteren Loge wurde gar ein Mann mit Textilien der Post-Metal-Ikonen Neurosis erblickt - soll noch einer sagen, Weller würde nur übriggebliebene Mods und Nostalgiker aus The Jam- und The Style Council-Tagen beeindrucken.

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Nach mehr als 30 Jahren Solokarriere müsste er nicht in die Trickkiste der alten Hadern greifen, aber auch einem meinungsstarken Sturkopf wie Weller wird mit zunehmendem Alter bewusster, dass zu einem runden Abendprogramm auch jene Teile gehören, die man selbst vielleicht nicht mehr mit der Inbrunst der unbeschwerten Tage exerziert. Noch bevor die ersten Töne erklingen, beeindruckt aber erst einmal das Visuelle. Die grauen Haare sitzen perfekt, die braune Lederjacke schmiegt sich an Wellers sportlichen Körper und die Fußsohlen mit nagelneuen weißen Sneakers beschlagen. Ein kurzer Blick auf das Design verrät, dass nicht nur er, sondern noch mindestens zwei weitere Mitstreiter nachmittags bei „Wunderteam“ in der Singerstraße shoppen waren.

Während Weller noch vor 15 Jahren auf den Straßen von Prag seinen mächtigen Rausch ausschlief, wirkt er im gesetzteren Alter milde und gereift. Mit frischen 65, wo andere ihre wohlverdiente und lang ersehnte Pension antreten, ist Weller besser in Schuss als viele Jahre davor und wirkt wie in einen Jungbrunnen gefallen. Verstärkt wird dieses Gefühl widerspenstiger Jovialität von seiner Begleitband. Von den sechs Mitstreitern an Gitarre, Bass, Keyboard, Saxofon und zwei Schlagzeugen sind vier optisch noch nicht allzu lang dem Teenager-Alter entwachsen. Gitarren-Sidekick Steve Cradock ist die große und langjährige Konstante an Wellers Seite, sollte aber etwa zur Hälfte der Show zur tragischen Figur des Abends mutieren.

Pannen und Pause
Irgendwo bei „Fat Pop“ beginnen Gitarrenprobleme, die ein eifriger, aber überforderter Techniker zuerst mit einem Verstärkertausch, danach mit pizeliger Detailarbeit an den Effekten lösen möchte. Cradock läuft vor Wut schon fast rot an, Weller und Co. spielen anfangs ohne E-Gitarrenverstärkung munter weiter. Als sich nach viereinhalb Songs noch immer nichts tut, hat der „Modfather“ selbst die Nase voll und bittet zu einer mehrminütigen Pause, deren Ende tatsächlich den nicht mehr erhofften Effekt eines wieder einwandfreien Sounds zeitigt. Eine für die Künstler sicher nervige, aber auch lustige Panne. Einmal mehr zeigt sich, dass dort, wo echte Musik und Handarbeit noch Wert besitzen, so einiges in die Binsen gehen kann. Perfekt ist schließlich nur die KI und die hat hier nicht den geringsten Raum zu atmen.

Dafür sorgen schon allein das wohlige Analogfeeling und der Bühnenaufbau. Ein altes Keyboard, das klassische Saxofon, irgendwo in einer Ecke wird eine Flöte zwischengeparkt und auf den Verstärkern leuchten Herz- und Regenbogensymbole in das Theater-Oval. Bis zur Panne hat Weller bereits eine gute Stunde grandios musiziert. Beginnend mit dem flotten Opener „Cosmic Fringes“, gefolgt vom Style-Council-Klassiker „My Ever Changing Moods“, einem memorablen „Old Father Tyme“, den von Weller am Klavier gespielten und fast 30 Jahre alten Soloklassiker „Stanley Road“ bis hin zum brandneuen „Jumble Queen“. Ein Song, den Weller laut eigenem Bekunden erst 2024 veröffentlichen will und der „natürlich“ mit Kumpel und Songwriting-Partner Noel Gallagher verfasst wurde.

Teamwork sitzt
Die große Interaktion lässt der sympathische Halbgrantler lieber wieder stecken. Ein paar geübte Worte auf Deutsch, ganz am Ende eine Bandvorstellung und dazwischen einleitende Sätze zu den einzelnen Songs - mehr gibt’s nicht. Seinen Percussionisten aus Sheffield hingegen bitte er vor „Hung Up“ nonchalant an die Bühnenfront, um mit seinen durchaus adäquaten Deutschkenntnissen für eine Portion Extrajubel zu sorgen. Falsche Karten ausspielen oder nach Aufmerksamkeit zu lechzen, das hat Weller beides nicht nötig. Dafür ist er zu cool, sind seine Songs zu gut und seine Band zu stark aufeinander eingespielt. Immer wieder bekommen Saxofon und Schlagzeug Raum zum Solieren, Songs wie „Village“ oder das trotz Gitarrenproblemen malerisch erklingende Style-Council-Meisterwerk „It’s A Very Deep Sea“ beweisen aber auch, dass das Teamwork im Weller-Camp faktisch blind funktioniert.

Der Meister kaut unentwegt an seinem Kaugummi und blendet mit seiner Coolness gar vereinzelte Redakteure im Publikum, die plötzlich auf ihre Sonnenbrille zurückgreifen müssen. Wer Angst hatte, die technische Panne würde dem Abend den Wind aus den Segeln nehmen, wurde mit einem eindrucksvollen Schlussfurioso erfreut, das alle Stückerl spielte. „Shout To The Top!“ dient als feuriges Comeback, das wüstenpoppige „Into Tomorrow“ nimmt bewusst etwas Drive raus und dann kommt mit „Start!“ endlich der erste von nur zwei Jam-Songs. Besser als nix! Im Zugabenteil variiert Weller im Vergleich zu den letzten Tagen. Die Wiener Fans werden mit einer intensiv-melancholischen Darbietung von „You Do Something To Me“ und dem Noir-angehauchten „Wild Wood“ erfreut. Das mit einem süchtig machenden Saxofon-Finish verstärkte, ungemein einfühlsame „Rockets“ lässt ein letztes Mal die Herzen schmelzen.

Eingängiger Eklektizismus
Das obligatorische Rausschmeißer-Stück „Town Called Malice“ aus seligen The Jam-Tagen bleibt zur allgemeinen Überraschung erstmals auf dieser Herbsttour ungespielt, doch dafür begeistert eine mitreißende Version von „The Changingmen“ und das nicht minder geniale „That’s Entertainment“, das Weller bislang nur selten aus der Hüfte schoss. Mit der eklektischen und doch so gut zusammengestellten Mischung aus Mod-Pop, Northern Soul, R&B und psychedelischen Ausritten („More“) zeigt der 65-Jährige in beeindruckender Art und Weise, dass er mit zunehmendem Alter nur noch besser wird und sich am Zenit seines Live-Schaffens befindet. Zwei Stunden ohne Längen, ohne Filler und ohne Anbiederung sind keine Selbstverständlichkeit. Genauso wenig, wie diese schöne Klangreise in Herz und Seele.

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