Tiroler zu K2-Drama:

„Wäre ich verletzt, gäbe es eine Rettungsaktion“

Österreich
10.08.2023 21:00

Dutzende Bergsteiger gingen auf dem Weg zum Gipfel des K2 in Pakistan wortwörtlich über Leichen. Konkret handelte es sich um den verletzten pakistanischen Berghelfer Mohammad Hassan (27), dem nicht geholfen wurde und der schließlich starb. Der Tiroler Bergfex Wilhelm Steiner war zur selben Zeit im Karakorum-Gebirge und ist über die fehlende Zivilcourage schockiert. Für den 31-Jährigen ist klar: „Wäre ich verletzt gewesen, hätte es eine Rettungsaktion gegeben.“

Aufgrund der Berichte über die Tragödie im Karakorum-Gebirge wird nun ermittelt. Zeugen sollen angehört werden. „Die wichtigste Aussage wäre die des anderen Höhenträgers, der mit dem toten Träger das Seil befestigte und ihn fallen sah“, erklärt Rahat Karim Baig, Mitglied der Untersuchungskommission.

Bergsteiger kletterten über Sterbenden
Der Unfall hatte sich am 27. Juli ereignet. Der 27-jährige pakistanische Höhenträger Muhammad Hassan lag in der gefürchteten Schlüsselstelle, der Flaschenhals-Traverse. Nach einem Sturz in den frühen Morgenstunden beim Montieren eines Fixseiles war der drefache Vater offenbar zu schnell für tot erklärt worden. Rund 70 Alpinisten, darunter laut Berichten mutmaßlich auch die norwegische Extrembergsteigerin Kristin Harila und ihr Sherpa-Team, stiegen beim Auf- und Abstieg über den leblosen Körper oder gingen knapp daran vorbei. Inzwischen wurden Videos bekannt, die den Träger am Unglücksort noch am Leben zeigten.

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Solidarität ist einem Egoismus gewichen.

Bergsteiger Reinhold Messner (Bild: APA/dpa/Roland Weihrauch)

Bergsteiger Reinhold Messner

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Einen Bergkameraden in Stich zu lassen, ist nicht zu tolerieren. Auch im Gebirge braucht es Hilfsbereitschaft und Empathie.

Peter Habeler, Tiroler Bergsteiger-Ikone (Bild: (c) ServusTV / West4media)

Peter Habeler, Tiroler Bergsteiger-Ikone

Der Tiroler Bergsportler Wilhelm Steindl ist fassungslos über den Egoismus seiner Bergkameraden. Im „Krone“-Interview spricht der 31-Jährige über die fehlende Zivilcourage und über den Stellenwert von pakistanischen Trägern.

„Krone“: Sie sind nach Ihrer K2-Tour wieder zu Hause in Tirol. Wie geht es Ihnen?
Wilhelm Steindl: Ich muss erst verarbeiten, was ich dort erlebt habe. Zu wissen, dass ein pakistanischer Träger gestorben ist, während zahlreiche Kletterer über ihn gestiegen sind, nimmt mich sehr mit.

Ab wann muss man einen verletzten Bergsteiger aufgeben?
Wenn man beim Absteigen ist und selbst keine Kraft mehr hat, dann ist so eine Entscheidung vertretbar. Solange ich aber beim Aufstieg bin und Power für den Gipfel habe, kann ich verletzte Kameraden retten und Hilfe leisten.

Glauben Sie, dass es einen Unterschied gemacht hätte, wenn Sie die verletzte Person gewesen wären?
Auf alle Fälle! Wenn ein Westler dort gelegen hätte, wäre eine Rettungsaktion eingeleitet worden. So hat sich einfach niemand zuständig gefühlt.

Wenn man die erschreckenden Bilder vom K2 sieht, glaubt man, dass es sich hier um Massentourismus handelt.
Die Aufnahmen von diesem Aufstieg verzerren das allgemeine Bild vom Aufstieg dieses Gipfels. Als ich vor Ort war, gab es nur einen Gipfeltag. Alle Bergsteiger strömten in diesem Zeitfenster auf den Berg. So gab es nur eine Spur, in der alle mit Seilen hingen.

Nepal hat die Besteigung des Mount Everest beschränkt, weil immer mehr Sportler das Abenteuer wagten, aber gar nicht richtig vorbereitet waren. Wer sich auf über 8000 Meter wagt, sollte auch über Notfälle in dieser Höhe Bescheid wissen.
Klar! Ich habe mich bei Furtenbach Adventures in Tirol auf meine Expedition vorbereiten lassen. Hier lautet die Devise: Egal wer Hilfe braucht, er oder sie bekommt sie. Die Tour wird sofort abgebrochen - auch wenn man den Verletzten nicht mehr lebend nach unten bringt.

Nach diesem schrecklichen Vorfall wird aufgrund Ihrer Berichte auch ermittelt. Was unter anderem ans Licht kommt, ist der Unterschied zwischen pakistanischen und nepalesischen Trägern. Woher kommt das?
Nepal hat sich bereits vor 30 Jahren auf Bergtourismus spezialisiert. Sie haben seit Jahrzehnten Erfahrung gesammelt. In Pakistan hat man viel später angefangen. Ihnen fehlt es daher erheblich an Expertise. Daher kommt es auch zu einem Unterschied im Ansehen der beiden Nationen.

Spenden-Website: Go-Fund-Me

Sie konnten aufgrund der gefährlichen Wetterlage den K2 nicht besteigen. Wollen Sie einen weiteren Versuch starten?
Ich muss mich erst mal erholen. Aber ich werde auf alle Fälle in die Region reisen und die Familie des Verstorbenen besuchen.

Daten zum Berg K2

  • 45.000 Euro legen Kletterer auf den Tisch, um den K2 zu besteigen. Rund 50 Tage sind die Reisenden unterwegs.
  • 4000 Versuche gab es im Vorjahr, um den 8611 Meter hohen Gipfel zu besteigen. 200 Bergsteiger erreichten den K2.
  • Seit der Expeditionsgeschichte des K(arakorum)2 starben 96 Menschen.
  • Die Todesrate des K2 liegt bei 25 Prozent während es beim Mount Everest lediglich 4 Prozent sind.
  • Der Gipfel ist umgeben von fünf der 17 höchsten Gipfeln der Welt. 

Als Sie vom Tod des 27-Jährigen gehört haben, sind Sie gleich in das Dorf seiner Familie gereist. Wie ist es dazu gekommen?
Ich konnte es einfach nicht fassen, dass niemand dem jungen Mann geholfen hat. Im Camp habe ich dann erfahren, dass er drei Kinder hat, seine Mutter ist schwer krank und seine Frau kann nicht arbeiten gehen. Ich wollte der Familie zeigen, dass es Westler gibt, die sie nicht im Stich lassen - nicht so wie bei ihrem Vater. Also habe ich eine Spendenaktion gestartet. Mittlerweile sind über 60.000 Euro zusammengekommen.

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