„Krone“-Interview

Iris Berben: „Es hat etwas Verführerisches“

Streaming
27.07.2023 06:00

Die deutsche Schauspielikone Iris Berben spielt in ihrem ersten Netflix-Film „Paradise“ eine Frau, die mit Lebensjahren handelt. Mit der „Krone“ sprach sie über diese fordernde Rolle, ob sie sich selber gern Lebensjahre kaufen würde und über Altersdiskriminierung in der Film- und Fernsehbranche.

„Krone“: „Paradise" ist Ihre erste Zusammenarbeit mit Netflix. Was hat Sie an diesem Projekt interessiert?

Iris Berben: Ich war fasziniert von dieser Idee. Es dreht sich in dem Film um die sehr verwerfliche Frage: Welchen Preis ist man bereit zu zahlen, um sich selber zu optimieren? Es geht um Ausbeutung, die entsteht, wenn man sich Jahre von denen kauft, die das Geld brauchen. Es spiegelt vieles unserer Zeit wieder. Wir haben illegalen Organhandel und Menschenraub. Wir benutzen und nutzen Menschen aus.

Wie würden Sie die Figur beschreiben, die Sie spielen? Sophie Theissen ist im Film ja die Chefin jener Firma, die mit Lebensjahren handelt.

Meine Figur der Sophie Theissen ist jemand, die vorgibt, aufgrund ihrer eigenen Verluste in diese Forschung gegangen zu sein. Doch inzwischen ist es wohl ihr eigener Fetisch geworden. Sie steht wie eine Lichtgestalt da. Es erinnert an die Zeit des Dritten Reichs, in der der Idealmensch angestrebt wurde - Sophie Theissen schlägt ja vor allem scheinbar besonders verdienstvolle Persönlichkeiten für die Verjüngung vor. Dieser Film hat also eine große Bandbreite von Themen, die sich alle um Optimierung drehen. Das fand ich spannend und klug erzählt.

Das Gedankenspiel über das Kaufen und Verkaufen von Lebenszeit bringt bestimmt viele Zuschauer zum Nachdenken. Würden Sie Lebenszeit verkaufen oder kaufen?

Verkaufen auf gar keinen Fall. Ich wäre wohl eher auf der Seite der Käufer. Aber nicht in dem Sinn, die Jugend zu erkaufen, sondern einfach Zeit zu kaufen, länger am Leben zu bleiben, meine Neugierde zu stillen, meine Lust am Leben zu stillen, meine Fragen, die ich noch habe, vielleicht beantworten zu können. Es hat schon was Verführerisches. Eine sehr hypothetische Frage, aber ich lebe einfach sehr gerne und nehme das Leben mit all seinen Herausforderungen an. Ich resigniere nicht, denn das bedeutet Stillstand. Insofern: Sehr gerne nochmal 400 bis 800 Jahre dazu!

Wer nicht zahlen kann, verliert Lebenszeit in „Paradise“. Ab sofort auf Netflix verfügbar. (Bild: © 2023 Netflix, Inc.)
Wer nicht zahlen kann, verliert Lebenszeit in „Paradise“. Ab sofort auf Netflix verfügbar.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie an Ihre eigene Jugend zurückdenken?

Ich hab’ das Gefühl, ich nähere mich meiner Jugend grade wieder! Diese Unbekümmertheit, die ich hatte, mit 19, 20. Dieses ,Wir packen das jetzt an, wir verändern die Welt’, das war natürlich auch eine andere Zeit in den 60ern, wir hatten eine Menge aufzuarbeiten. Heute bin ich jedenfalls wieder gerne anarchistischer, so wie ich früher war. Ich mag an der heutigen Jugend, dass sie einfordert und Ziele hat, auf die Dinge aufmerksam macht. Das tut gut.

Sie sind ja eine der wenigen Schauspielerinnen, die auch nach dem 50. Geburtstag noch tolle Rollen bekommen haben. Was muss sich in diesem Bereich ändern in der Filmbranche?

Das ist und bleibt ein Thema. Und das ausgerechnet in einer Branche, die sich auf die Fahnen heftet, liberal, sozial und feministisch zu sein. Bis auf Ausnahmen im Kino sind es tatsächlich die Streamer, die uns diese Möglichkeiten neuer Erzählformen über Frauen geben. Es kommt nicht das Argument zum Tragen, dass das nur alte Menschen interessiert. Eine gute Geschichte ist generationsübergreifend! Wir brauchen noch mehr Frauen, die Bücher aus ihrer Sicht schreiben, wir brauchen mehr Vernetzung.

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(Bild: kmm)



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