„Plastic Eternity“

Mudhoney: Alte Haudegen mit juveniler Frische

Musik
13.04.2023 09:00

Zum 35-jährigen Bandjubiläum beschenken die Seattle-Grunge-Legenden Mudhoney sich und uns mit dem brandneuen Studioalbum „Plastic Eternity“. Darauf zelebrieren Mark Arm, Steve Turner und Co. einmal mehr kantige Gesellschafskritik mit viel Humor und purer Leidenschaft an der Sache.

Natürlich, wir alle kennen Nirvana, Soundgarden, Alice In Chains oder Pearl Jam. Die ganz Großen des Grunge, die mit ihrem schnoddrigen Auftreten, inklusiven Texten und einer untrüglichen „wir sind nicht besser als ihr“-Attitüde die Dekadenz des 80er-Hard-Rock und die Ideenlosigkeit des Heavy Metal für einige Jahre zurecht in die Senke der Bedeutungslosigkeit stampften. Doch die wahren Urväter des womöglich explosivsten und kurzlebigsten Sub-Genres der Stromgitarrengeschichte sind in der sogenannten zweiten Reihe zu finden und haben noch immer viel zu sagen. Mudhoney veröffentlichen dieser Tage mit „Plastic Eternity“ ihr - je nach Zählweise - elftes oder zwölftes Studioalbum und sind ein gewichtiger Teil der Ursuppe des gesamten Genres.

Überlebende in jeder Hinsicht
Das liegt einerseits daran, dass die 1988 veröffentlichte EP „Superfuzz Bigmuff“ den Grunge einst so richtig einläutete und das dazugehörige Label Sub Pop Records zur Kultschmiede machte, andererseits, dass Kurt Cobain diese 22-minütige Adoleszenz-Eruption bis zu seinem Tod als einer seiner größten Favoriten aller Zeiten ins persönliche Musiktagebuch notierte. Aus den eingangs Erwähnten wurden allesamt große Weltstars, doch Cobain, Layne Staley oder Chris Cornell bezahlten Ruhm und Ehre mit ihrem Leben, Pearl Jam über viel Jahre hinweg zumindest mit einer kräftigen Dosis Authentizität, denn die in den letzten Jahren zusammengeführten Kompositionen waren mehr ein altersmildes Plätschern, denn ein revolutionäres Rauschen im gebirgigen Gitarrenbach.

Ganz anders dagegen die Vita Mudhoneys. Die Seattle-Epigonen wurden nie zu Stars, blieben aber Zeit ihrer Karriere respektiert und geachtet. Dafür sorgte mitunter auch das hochwertige Liedgut aus der jüngeren Vergangenheit, das sich zwar nicht unbedingt mit den Weltalben „Mudhoney“ (1989) oder „Every Good Boy Deserves Fudge“ (1991) messen kann, aber locker mit den temporären Majoralben-Ausritten von „Piece Of Cake“ (1992) bis zum unterschätzten „Tomorrow Hit Today“ (1998) Schritt hält. 2023 feiern Mudhoney und Sub Pop Records gleichermaßen ihren 35. Geburtstag und begehen ihn gemeinsam mit dem neuen Album „Plastic Eternity“, das bei Fans der Band keine Wünsche offenlassen wird. Auch wenn die Promobilder nicht lügen und man Frontmann Mark Arm den überschrittenen 60er trotz langer Mähne und 90er-Jeans-Look locker ansieht, musikalisch werkt das Quartett frisch und fidel wie eh und je.

Zutaten blieben unverändert
Gemeinsames Musizieren im Proberaum scheint wohl die Kneipp-Behandlung Nordamerikas zu sein. Nachdem der 2001 zur Band gestoßene und damit dienstjüngste Bassist Guy Maddison seinen Kumpels verklickerte, dass er in Kürze mit Kind und Kegel nach Australien ziehen würde, mussten sich Arm, Lead-Gitarrist Steve Turner und Drummer Dan Peters aus dem gemütlichen Fauteuil schälen. Danach mieteten sie sich neun Tage lang mit dem langjährigen Bandfreund und Produzenten Johnny Sangster im Crackle & Pop! Studio in Seattle ein, um endlich den Nachfolger für das nicht minder großartige „Digital Garbage“ (2018) einzutrümmern. Die Zutaten für das Soundgebräu blieben dieselben wie immer. Fuzz-Gitarren, Effektgeräte, wütende Vocals, pumpende Basslinien, feurige Trommelschläge und Riff-Kanonaden, wie man sie im Hause Mudhoney von MC5, den Stooges und Co. gelernt und sich früh einverleibt hat.

Die Texte sind durchzogen vom ironisch-sarkastischen US-Westküstenhumor und prangern die Verfehlungen der modernen Gesellschaft an. Warum ruinieren wir das Klima mit unbelehrbarer Sturheit? Wieso setzen wir auf Pferdeentwurmungsmittel gegen Covid, weil ein selbsternannter Prediger uns das im Fernsehen so vorsagt? Warum hat Pere Ubus famoser Musiker Tom Herman noch immer keinen eigenen Wikipedia-Artikel? Wenn Mark Arm Texte schreibt, changiert er mit possenhafter Präzision zwischen Mikro- und Makrokosmos, nimmt nichts und am wenigsten sich selbst ernst und versucht der drohenden Ausweglosigkeit mit stoischer Nostalgie zu begegnen. In Songpreziosen wie „Almost Everything“, „Flush The Fascists“, „Here Comes The Flood“ oder „Plasticity“ sorgen sich Mudhoney um Wohl und Wehe dieser Welt, empfinden dabei aber kein Mitleid mit der grassierenden Dummheit ihrer Bevölkerung.

Pokerabend einmal anders
Mudhoney kreieren auf „Plastic Eternity“ nichts anderes als in Ton gegossene Leidenschaft und zelebrieren lieber die Lust an neuen Songs, als standhaft um ihr eigenes Vermächtnis zu kreisen und als Songwriter im Hintergrund für juvenile Alternative-Rock-Wannabes Kohle zu scheffeln. In einer Ära voll KI-gesteuerter Pop-Songs, Spotify-freundlicher Mitschunkelhymnen und des inflationären Einsatzes von Autotune-Effekten ist ein neues Album von Mudhoney eine Klangoase der Seligkeit. Der „früher war alles besser“-Mief zieht zum Glück nicht, denn mit „Plastic Eternity“ müssen sich die Pioniere des Verzerrt-Abseitigen nicht vor der eigenen Diskografie verstecken. Oder wie sagt Mark Arm so salopp: „Andere Typen veranstalten ein- oder zweimal die Woche Pokernächte, um mit den Jungs zusammenzuhängen. Wir haben die Band. Es macht einfach noch immer irrsinnig viel Spaß.“

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