Besuch im Kinderdorf

Advent in einer ganz besonderen Familie

Burgenland
11.12.2022 16:00

In Pöttsching leben einheimische und geflüchtete Kinder friedlich wie Brüder und Schwestern zusammen. Was sie eint, ist ihr Schicksal: Sie alle finden im Kinderdorf neuen Halt. Ein „Krone“-Lokalaugenschein.

„Dass Advent ‚ankommen‘ heißt, weiß hier jedes Kind“, sagt die zwölfjährige Sophie (alle Namen geändert, Anm.) mit dem goldenen Haarreif und schmiegt sich an ihre Betreuerin Michaela, die mit Streichhölzern die dritte Kerze auf dem Adventkranz entzündet. Sofort beginnen die Augen der vierjährigen Jana zu leuchten. 

Alte Bekannte
„Insgesamt sind wir hier 50 Kinder, aufgeteilt auf fünf Häuser. Jana ist die jüngste von allen und versteht am wenigsten, warum wir im Kinderdorf großwerden müssen“, erklärt die elfjährige Sarah, die mit am Tisch sitzt und ihre Wünsche ans Christkind malt. „Ich wünsche mir einen neuen Schminktisch, Schuhe und coole Klamotten. Dass ich wieder nachhause darf, ist kein Wunsch, weil ich glaube, dass das sowieso nicht passieren wird“, meint daraufhin Sophie und schnappt sich ebenfalls ein Blatt Papier und Stifte.

Sophie und Sarah kannten sich schon als Volksschülerinnen. Damals waren beide Mädchen noch in einem anderen Kinderheim untergebracht, weil ihre alleinerziehenden Mütter mit der Erziehung überfordert waren. „Mama wurde als Kind geschlagen und sollte auch eine Traumatherapie machen, aber das will sie nicht. Und Papa hat keine Zeit für mich, weil er so viel arbeitet“, erklärt Sophie. Anfangs habe sie das traurig gemacht, doch inzwischen wisse sie, dass auch Freunde oder Tiere Familie sein können. Das Wichtigste sei nämlich, dass man im Herzen miteinander verbunden ist.

Unterschiedlich schwere Rucksäcke
„Stimmt“, meint der elfjährige Daniel und gesellt sich mit seinen Rechenaufgaben hinzu. Er war zwei Jahre alt, als er ins Kinderdorf kam. „Ich weiß noch, dass ich die Hand meiner Pflegeoma nicht loslassen wollte. Aber jetzt bin ich glücklich hier“, sagt der Mittelschüler und erzählt von gemeinsamen Sommer- und Wintersportwochen.

„Manche Kinder haben Eltern, die psychisch erkrankt oder kognitiv beeinträchtigt sind. Andere erlebten in ihren Familien häusliche Gewalt oder Suchtmittelmissbrauch mit“, sagt Dagmar Brus, die Leiterin des Kinderdorfs. Dennoch wird mit den Müttern und Vätern kooperiert. Denn nur so können sich die Kinder emotional auf die neue Ist-Situation einlassen und den Spagat zwischen ihrem Alltag im Kinderdorf und ihren Besuchen daheim meistern. „Einige unsere Schützlinge drei bis vier Jahre bei uns und werden dann rückgeführt, sofern sich die Lage zuhause wieder stabilisiert. Andere bleiben bis zur Volljährigkeit hier“.

In jedem Haus sind zehn Kinder und Jugendliche wie in einer Art Großfamilie untergebracht. Alle packen mit an. Die einen bereiten mit den Sozialpädagogen, die sich im Turnusdienst abwechseln, die Mahlzeiten zu. Die anderen decken den Tisch und räumen den Geschirrspüler ein. So lernen sie basale Dinge, um später, wenn sie auf eigenen Beinen stehen müssen, ihr Leben selbstständig bewältigen zu können. „Kommt, Jungs, machen wir Abendessen!“, rufen nun Sophie und Sarah und verschwinden mit Hakim und Nael in der Küche.

An der Grenze getrennt
Die beiden Zehnjährigen sind Cousins, kommen aus Syrien und haben sich im Kinderdorf zufällig wiedergetroffen. „Ich bin vor einem Jahr mit meinem Bruder vor dem Krieg geflüchtet. Zuerst im Boot, dann in LKWs. An der österreichischen Grenze hat uns die Polizei getrennt und mich hierhergebracht. Mein Bruder wohnt seither in einem Jugendheim in Graz. Zu Weihnachten kommt er mich besuchen“, sagt Hakim in einwandfreiem Deutsch und blickt mit glänzenden Augen durch seine Brille. 

Nael wiederum flüchtete in Begleitung seines Onkels, der seither in Wien lebt: „Wir warten auf Asyl, aber eigentlich möchte ich nur nachhause.“ Sophie und Sarah, für die ihre Mitbewohner inzwischen wie Brüder sind, schlucken: „Wenn wir diese Geschichten hören, wissen wir, dass ihre Erfahrungen viel schlimmer sind als unsere. Denn im Gegensatz zu uns können sie ihre Eltern gar nicht sehen.“

Das Kinderdorf Pöttsching freut sich immer über finanzielle Unterstützung, Sachspenden, Charity-Aktionen, Einladungen zu Ausflügen oder Eintrittskarten für Veranstaltungen, Freizeiteinrichtungen, Gutscheine, pädagogische Projekte und testamentarische Zuwendungen: https://kinderdorf-poettsching.at

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