„Wir wollen Freiheit“

Beispiellose Protestwelle in Chinas Großstädten

Ausland
27.11.2022 21:35

In China ist es bei Demonstrationen gegen die strikten Corona-Maßnahmen und damit auch gegen die Regierung zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften gekommen. Die seit drei Tagen immer wieder aufflackernden Proteste weiteten sich am Sonntag auf mehrere Städte aus. „Nieder mit der Kommunistischen Partei Chinas, nieder mit Xi Jinping“, riefen Menschen in Shanghai. Öffentliche Proteste gegen die Regierung und Präsident Xi sind selten in China und die jüngste Welle des zivilen Ungehorsams ist beispiellos.

Am Sonntagabend hielten Demonstranten in Shanghai als Zeichen gegen Zensur weiße Blätter hoch (siehe auch Video oben). Bereits am Samstagabend waren Menschen auf die Straßen gegangen, um ihrem Unmut Luft zu machen. Zunächst handelte es sich um eine Mahnwache für zehn Menschen, die bei einem Hochhausbrand in Ürümqi ums Leben gekommen sind. Doch im Laufe der Nacht wandelte sich dies in Proteste um.

Lockdown für 100 Tage verhängt
Denn in sozialen Netzwerken verbreitete sich die Ansicht, dass das Gebäude teilweise verschlossen war und es viele Bewohner deshalb nicht rechtzeitig herausschafften. Zuvor war in Ürümqi einer der längsten Lockdowns verhängt worden: Viele der vier Millionen Einwohner dürfen ihre Wohnungen bis zu 100 Tage nicht verlassen. Die Behörden bestritten auf einer Pressekonferenz, dass Anti-Corona-Maßnahmen die Flucht- und Rettungsbemühungen behindert hätten. 

Die Wut auf die Behörden schwappte aber bereits auf andere Millionenstädte über. Demonstrationen wurden am Sonntag auch aus Wuhan und Chengdu gemeldet. Am frühen Montagmorgen (Ortszeit) hatten sich in Peking mindestens Tausend Menschen entlang einem der Hauptverkehrswege versammelt und riefen: „Wir wollen keine Masken, wir wollen Freiheit. Wir wollen keine Covid-Tests, wir wollen Freiheit.“ Zunächst verweigerten die Demonstranten Aufforderungen, ihre Versammlung aufzulösen.

„Polizei verhaftet ohne Grund“
In Shanghai war die Polizeipräsenz am Sonntag groß. Es gab Gerangel mit Sicherheitskräften, die die Menge auseinandertreiben wollte. „Die Leute hier sind nicht gewalttätig, aber die Polizei verhaftet sie ohne Grund“, sagte ein 26-Jähriger. „Sie versuchten, mich festzunehmen, aber die Menschen um mich herum packten meine Arme so fest und zogen mich zurück, sodass ich fliehen konnte“. Ein Zeuge der Nachrichtenagentur Reuters sah, wie Polizisten Demonstranten in einen Bus begleiteten, der später mit einigen Dutzend Menschen an Bord durch die Menge wegfuhr.

Auf Videos in Shanghai war zu sehen, wie die Menschen riefen: „Dient dem Volk“ oder „Wir wollen Freiheit“. Im Frühjahr war die Stadt mit ihren 25 Millionen Einwohnern zwei Monate lang streng abgeriegelt gewesen. Damals war es bereits zu seltenen Protesten gekommen. „Ich bin hier für die Freiheit. Der Winter kommt. Wir brauchen unsere Freiheit“, sagte ein Demonstrant der Nachrichtenagentur Reuters. „Ich bin hier, weil ich mein Land liebe, aber ich liebe nicht meine Regierung“, sagte ein anderer Protestler. Er wolle frei ausgehen können, was aber nicht möglich sei. „Unsere Corona-Politik ist ein Spiel und basiert nicht auf Wissenschaft oder Realität.“

Null-Covid-Politik bremst das Land aus
China verfolgt eine Null-Covid-Politik, die weitreichende Lockdown-Maßnahmen nach sich zieht. Der Anstieg der Infektionszahlen macht es weniger wahrscheinlich, dass China seine strikte Politik bald lockern wird. Am Sonntag meldeten die Behörden fast 40.000 Neuinfektionen. Die Lockdowns und die globale Wirtschaftsflaute bremsen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt aus. So sanken die Gewinne der Industrie von Jänner bis Oktober um drei Prozent zum Vorjahr, wie aus Daten des nationalen Statistikamts hervorgeht. Das Risiko einer Rezession der Weltwirtschaft habe sich verschärft und die Betriebe stünden zunehmend unter Druck, hieß es.

Angesichts der steigenden Corona-Zahlen befindet sich China nach Meinung von Beobachtern in einer Sackgasse. Die Gesundheitskommission rechtfertigt sich damit, dass eine Öffnung viele Tote zur Folge hätte. Auch Ärzte warnen, dass das Gesundheitssystem hoffnungslos überlastet wäre, sollte sich das Virus frei verbreiten. Doch in der Bevölkerung wächst der Ärger. Für den schnellen Anstieg werden die neuen Omikron-Varianten verantwortlich gemacht, die sich leichter verbreiten.

Nie für Pandemie-Ende geplant
Die Regierung steht auch in der Kritik, weil deutlich wird, dass die Behörden seit Ende 2019 die meisten Kapazitäten für ständige Massentests und Lockdowns genutzt haben. Vorbereitungen für einen Weg aus der Pandemie wurden nur unzureichend getroffen. Die Impfquote für die Bevölkerung liegt bei rund 90 Prozent, doch gibt es ausgerechnet bei den Alten erhebliche Impflücken: Nur 40 Prozent der Menschen über 80 haben bisher zwei Impfungen und einen Booster erhalten.

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