Europas Schlusslicht?

Lasche Regeln und wenig Geld für die Rettung

Salzburg
09.10.2022 15:00

Wie ist die Hilfe im Notfall organisiert? Eine Frage, die in Mitteleuropa - angesichts der vermeintlichen Selbstverständlichkeit dieser Leistung  - kaum Beachtung findet. Wenn eine Diskussion darüber aufkommt, dann meist wegen punktueller Probleme, wie einem akuten Notarzt-Mangel. Allerdings gibt es wirklich bemerkenswerte Umstände, bei denen sich eine nähere Betrachtung anhand eines Beispiels lohnt: Salzburgs Rettungsdienst hinkt jenem der Bundeshauptstadt in einigen Punkten meilenweit hinterher. Der Vergleich zu den Nachbarländern fällt noch drastischer aus. Bisher setzt man in Salzburg nämlich auf geringe Mindeststandards und niedrige Kosten. Das Landesrecht macht es möglich...

Rettungsdienst ist in Österreich eigentlich Aufgabe der Gemeinde. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind Landessache. Deshalb gibt es in Österreich neun verschiedene Rettungsgesetze und ebenso viele verschiedene Finanzierungsmodelle. Während etwa Wien sich den Rettungsdienst 35,40 Euro pro Kopf und Jahr kosten lässt, nehmen Land Salzburg und Gemeinden gemeinsam nur 11,37 Euro pro Kopf in die Hand. Das entspricht insgesamt einem Betrag, der etwa 0,7 Prozent des Gesundheitsbudgets des Landes entsprechen würde. Ein Indiz für den Stellenwert des Rettungsdienstes mit spürbaren Folgen?

Zwar kommt überall in Österreich in gewissen Fällen der Notarzt, doch wie gut Sanitäter helfen können und dürfen, unterscheidet sich massiv. Und das hat durchaus Relevanz, kommt doch in vielen Fällen der Notarzt erst nach dem Rettungswagen an. Oft wird der Arzt auch erst von den Sanitätern angefordert, wenn diese schon vor Ort sind. 

Das Bundesrecht sieht verschiedene Stufen in der Sanitäterausbildung vor: Rettungssanitäter und Notfallsanitäter, welche noch zusätzliche Kompetenzen erlangen können. Letztere haben eine viel umfangreichere Ausbildung und dürfen etwa Medikamente verabreichen, oder auch intubieren. Den Einsatz dieser Sanitäter befürworten und fordern auch führende österreichische Notfallmediziner, die den Notfallsanitätern eine entscheidende Rolle in der rettungsdienstlichen Versorgung zusprechen. Wer aber mit dem Rettungswagen ausrückt und wie dieses Fahrzeug ausgestattet ist, entscheiden die Bundesländer.

Rettungsverordnung mit niedrigen Anforderungen
Der Knackpunkt: In Salzburg rücken standardmäßig Rettungssanitäter zu Notfällen aus, während in Wien ein Notfallsanitäter pro Rettungswagen Pflicht ist. Können in der Bundeshauptstadt die Sanitäter bereits ein Schmerzmittel verabreichen, den Blutdruck senken, oder ein EKG schreiben, bleibt das den Salzburger Patienten verwehrt. Sie müssen daher auf den Notarzt warten, der oft erst nach der Rettung kommt. Der Grund: Der Salzburger Rettungsverordnung genügt die Präsenz eines Rettungssanitäters. Außerdem fordert das Gesetz keine EKG-Einheiten, Herz-Kreislauf-Monitore, Beatmungsgeräte oder Spritzenpumpen auf den Rettungswagen. Damit ist diese Medizintechnik, die etwa in Wien Standard ist, auf kaum einem Salzburger Rettungswagen zu finden.

Rasche Therapie und gute Behandlung als Patientenrecht

FH-Professor Christoph Redelsteiner, der zum Rettungsdienst forscht, analysiert: „Die Berufsrettung Wien nutzt den aktuellen Rahmen des Sanitätergesetzes aus. In manchen Bundesländern sind auch Hilfsorganisationen in diese Richtung unterwegs.“ In jedem Fall müsse es aber um Patientenorientierung gehen, so Redelsteiner. Patienten hätten ein Anrecht auf rasche Schmerztherapie oder ein EKG bei Brustschmerzen. 

Redelsteiner gibt außerdem zu bedenken: "Die echten Kosten eines Rettungswesens ergeben sich nicht nur aus dem Budget des Rettungsdienstes an sich. Berücksichtigen muss man auch allfällige Folgekosten und unnötiges Leid durch Einschätzungsfehler. Diese passieren seltener, wenn das Personal eine entsprechende Ausbildung und regelmäßige Praxis hat."

Welchen Vorteil Notfallsanitäter und ihre Zusatzkompetenzen für Patienten haben können, zeigt das folgende Video sehr eindrücklich. Binnen vier Minuten kann das Team des Rettungswagens bei einem Kreislaufstillstand sämtliche nötigen invasiven Maßnahmen zur Rettung des Patienten setzen - noch bevor der Notarzt eintrifft.

Salzburgs Sanitäter wandern für Rettungskarriere oft nach Wien oder Deutschland ab

Immer wieder wandern qualifizierte und motivierte Sanitäter nach Wien ab, weil sie sich in Salzburg keine berufliche Zukunft vorstellen können. „In Salzburg verdient man sehr wenig, kann sich fachlich kaum weiterentwickeln und den Patienten nicht so gut helfen, wie man es 250 Kilometer östlich könnte“, weiß Andre Lieli, der für eine Karriere im Rettungsdienst extra nach Wien gezogen ist. Auch die bayerischen Rettungswachen im Grenzgebiet füllen sich mit Pendlern aus Österreich. Dort gibt es nicht nur gutes Geld, sondern auch mehr Entwicklungsmöglichkeiten, wie eine dreijährige Ausbildung mit Staatsexamen. Einer von ihnen ist Georg Hohenberger, der in Berchtesgaden arbeitet. Er sagt: „Ich arbeite in Bayern, weil die medizinische Versorgung für die Patienten unterm Strich besser ist. Sie profitieren von gut ausgebildeten Sanitätern mit weiterreichenden Kompetenzen. Außerdem sind die Hierarchien zwischen Notarzt und Sanitäter im Einsatz flacher, was zu einer besseren Zusammenarbeit führt.“

Arbeiterkammer-Chef Eder will Situation von Sanitätern verbessern

Ein weiteres Problem: Sanitäter haben im Falle einer Berufsunfähigkeit keinen Berufsschutz und können auch nach jahrzehntelanger Tätigkeit etwa auf einen Portiersposten verwiesen werden. „Das muss sich dringend ändern. Bessere Ausbildung und Bezahlung wären wichtig“, findet Salzburgs Arbeiterkammer-Boss Peter Eder. (Anmerkung: Ein Rettungssanitäter verdient am Anfang seiner Karriere laut Rot-Kreuz-Kollektivvertrag mit einer Vollzeitstelle rund 1600 Euro netto im Monat.)

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Für die Sanitäter braucht es gute Bezahlung und einen Berufsschutz. Eine bessere Ausbildung wäre wichtig. Vor allem um Sanitätern die Möglichkeit zu geben, auch in anderen Bereichen zu arbeiten.

Salzburgs AK- und ÖGB-Chef Peter Eder macht sich für die „Sanis“ stark

Krankenkassen-Chef will höhere Standards
Auch Andreas Huss, Chef der Österreichischen Gesundheitskasse, kritisiert die kurze Ausbildungszeit für Sanitäter in Österreich. Er wünscht sich, dass die Ausbildung in ein dreijähriges Modell, wie im Großteil Europas, umgewandelt wird. Huss meint außerdem: „Wir brauchen nicht neun verschiedene Rettungsgesetze und Finanzierungsmodelle.“ Die Schaffung eines Berufsbilds würde den Sanitätern bessere Absicherung und den Patienten mehr Sicherheit garantieren, so Huss.

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Wir haben großteils eine minimale Ausbildung bei den Sanitätern. Ich bin für das deutsche, dreijährige Ausbildungsmodell. Fürs Erste sollten zumindest die Wiener Standards in ganz Österreich gelten.

Krankenkassen- Boss Andreas Huss fordert einheitliche Regeln

Evaluierung des Sanitätergesetzes auf Schiene

Das Gesundheitsministerium beschäftigt sich indes mit einer Evaluierung des 20 Jahre alten Sanitätergesetzes. Laut Medizinjurist Michael Halmich von der Österreichischen Gesellschaft für Ethik und Recht in der Notfallmedizin sei das Sanitätergesetz „ein Gesetz, welches bei entsprechender, maximaler Anwendung durch die Rettungsorganisationen den Anforderungen an Sanitäter in einem modernen Rettungswesen durchaus gerecht wird.“ Es gebe aber einige Punkte, die einer Verbesserung oder Präzisierung bedürfen - etwa bei der Sanitäterausbildung.

Allerdings: Das Gesetz beschäftigt sich vor allem mit Ausbildung, Kompetenzen und Tätigkeitsbild von Sanitätern. Für die konkrete Gestaltung des Rettungsdienstes und die Vorgabe von Mindeststandards sind die Länder zuständig. Damit der Bund hier einheitliche Regeln schaffen kann, bräuchte es laut Bundesverfassung eine spezielle Vereinbarung mit den Ländern. Ob eine solche zustande kommt hängt aber vom politischen Willen aller Beteiligten ab.

Rotes Kreuz will künftig Notfallsanitäter in jedem Rettungswagen

Das Rote Kreuz Salzburg steht hinter seinem System, das es als „bewährt“ einordnet. Man setze auf das flächendeckend schnelle Eintreffen von Rettungssanitätern und den ergänzenden Einsatz von Notärzten und Notfallsanitätern, die separat gemeinsam anrücken. Allerdings forciere man seit 2018 die Ausbildung von Notfallsanitätern. Es gebe aber noch limitierende Faktoren, wie die Zahl der Praktikumsplätze, an denen man arbeite. Landesrettungskommandant Anton Holzer über seinen Blick in die Zukunft: „Unser langfristiges Ziel ist, dass jeder Rettungswagen mit einem Notfallsanitäter besetzt ist.“

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