„Krone“-Interview

Musiker Sohn: „In Wien hat mein Leben begonnen“

Wien
01.09.2022 06:01

Christopher „Toph“ Taylor veröffentlicht als Sohn mit „Trust“ sein lang ersehntes drittes Album. Dabei überrascht er mit einer musikalischen als auch persönlichen Kursänderung. Ein Resultat aus einer kreativen Dürre, die ihn fast zur Verzweiflung brachte und erst durch ein paar magische Wochen in Los Angeles beendet wurde. Sein Herz hängt aber immer noch an Wien, wo er acht Jahre lebte und vom missverstandenen Underground-Musiker zum Weltstar wurde. Ein Gespräch über das Gefühl von Heimat, Depressionsschübe und die Unverzichtbarkeit von brutaler Ehrlichkeit in der Musik.

„Krone“: Toph, du stammst aus London, warst sehr lange in Wien, dann in Los Angeles, in Barcelona und lebst jetzt am Land in Spanien. Wie definierst du Heimat?
Sohn:
Wien ist für mich ganz speziell. Meine ganze Band ist hier, auch viele Freunde. In Wien hat mein Leben erst so richtig begonnen. Meine Frau war mittlerweile dreimal hier zu Besuch, zuletzt waren wir im Prater und es gefällt ihr ganz gut. Die Kids wachsen dreisprachig auf und noch eine Sprache wäre wohl ein bisschen viel. Sie reden Spanisch, Englisch, Katalanisch und ein bisschen Französisch. Mein sechsjähriger Sohn hat ein ganzes Jahr nicht gesprochen, starrte immer nur auf den Boden, aber irgendwann hat sich das geändert.

Heimat definierst du also mit den Leuten, die sich um dich herum befinden?
Auf jeden Fall. Als ich in der Vorstadt von London aufwuchs, hatte ich keine Freunde. Niemand war wie ich und ich versuchte noch bis Mitte 20 dort rauszukommen. Als ich nach Wien ging, verwechselten das alle mit Venedig und redeten von den Gondeln. (lacht) Wien war die erste Stadt, in der ich mich daheim fühlte. Ich war insgesamt acht Jahre hier. Ich war in London ein Loser und spielte dort viele Open-Mic-Nächte, bei denen nichts weiterging. Eines Abends kam dort ein Typ vorbei, er bot mir Gratisgetränke an und wir sind abgesoffen. Er hatte einen Freund dabei, der aus Graz stammte und ihm gefiel mein Konzert total. Er meinte, ich solle nach Österreich kommen, denn er würde ein paar Gigs zusammenstellen. Mein allererstes Konzert fand im Grazer Lokal Tick-Tack vor sieben Leuten statt. Am nächsten Tag spielte ich vor 20 Leuten an der Mur und so ging es immer weiter. Er organisierte fünf Konzerte für mich und beim letzten war ich im Sägewerk, seinem Lokal, und die Show war komplett voll. Innerhalb einer Woche schaffte ich es von total leeren Barnächten in London zu einer ausverkauften Show mit 150 Leuten in Graz. Mein Koffer war voller Demo-Tapes und als ich nach London zurückkam realisierte ich, dass ich dort einfach grundfalsch war.

In Österreich wurde ich gefragt, ob ich mit der Band Garish auf Tour gehen möchte, das war der nächste Schritt. Dann spielte ich für FM4 bei der Eröffnung der Viennale vor 400 Leuten. Ich konnte es gar nicht fassen. Das war um 2006 herum. Mein heutiger Manager meinte, ich solle unbedingt nach London zurück, aber das war Blödsinn, denn in Österreich mochten mich die Leute. Ich erspielte mir ein Publikum und wusste, hier wäre ich richtig. Mein Manager hat es später auch verstanden. (lacht) Rund um 2006 wurde ich zu einem professionellen Musiker und spielte nur noch mit anderen Profis zusammen. In Österreich wird Musik gefördert, die Clubs zahlen dir Gagen, alles passt. In London entwickelt sich niemand, weil die Musik dort nichts wert ist. Wien hat sich immer wie mein Zuhause angefühlt. L.A. war es nicht, auch Spanien ist es eigentlich nicht. Ich habe dort viele Zweckfreundschaften, die sich durch meine Kinder ergeben. Wenn dich Leute fragen, wie es mit der Musik geht und dann meinen, man könnte doch zu „X Factor“ gehen, dann weiß man, man wird hier missverstanden.

Deine ganze Band und die Leute, die dich musikalisch unterstützen, sind alle in Österreich daheim?
Als ich in L.A. lebte, hatte ich ein paar Amerikaner an Bord und das hat mich komplett fertiggemacht. Die Musik wurde dort immer größer und größer und ich rückte zunehmend in Richtung Coldplay. (lacht) Nicht nur das Publikum wurde mehr, auch der Sound wurde immer großspuriger. Ich habe mich auf der Bühne gehasst. Ich fand mich abstoßend und wusste, das passt nicht. Ich habe ein paar tolle, große Shows im Vorprogramm von alt-j gespielt und alles fühlte sich falsch an. Ich habe die Tour dann abgebrochen und habe beschlossen, nur mehr mit Österreichern zu arbeiten. Das war zwischen 2017 und 2018, ein großer Wechsel für mich. Da bin ich auch gerade nach Europa zurückgezogen, weil ich die Nase voll hatte von den Amerikanern. Ich bin sehr adaptiv, wenn ich mit Leuten zusammen bin. Wenn ich mit Briten oder Amerikanern unterwegs bin, dann werde ich selbst zu einem Alpha-Briten, was ich sehr hasse. Ich mache die gleichen blöden Witze und lasse mich zu sehr in deren Humor reinziehen, aber das will ich seit gut 15 Jahren ablegen. Es fühlt sich für mich nach einem Rückschritt an. Das klingt seltsam, aber ich interagiere mit Österreichern ganz anders und völlig dämlich, wenn ich mit Briten oder Amerikanern unterwegs bin.

Das klingt zumindest so, als hättest du nicht vor, jemals wieder nach London zurückziehen…
Niemals! Ich habe meine Persönlichkeit als Erwachsener in Wien entdeckt. In England wollte ich es so machen wie alle - ein dämlicher Comedian sein, der auch singt. Dieselbe Masche, die die meisten verwenden. Als ich Sohn ins Leben rief, wendete ich das Blatt komplett. Es gab keinen unnötigen Humor mehr und ich beschloss, auf der Bühne nichts mehr zu sagen. Ich wollte niemanden ansehen und eigentlich auch nicht gesehen werden. Die Musik war der Mittelpunkt und ich habe mir vorgenommen, immer durchzuatmen, bevor ich was sage. Jeder Satz sollte eine Intention haben. Ich brauchte die Spannung in meinem Leben, um mich selbst zu mögen.

Sohn gibt dir die Möglichkeit, in eine andere Persönlichkeit zu schlüpfen?
Mit dem letzten Album „Rennen“ und der Tour dazu, habe ich mir selbst erlaubt, etwas aufzublühen. „Trust“ ist das erste Album, wo ich mich künstlerisch ausgeglichen und entspannt fühle. Ich bin eine ruhigere Version meines Selbst. Ich fühle mich mit diesem Album gesund und zufrieden. „Rennen“ kann ich mir heute kaum noch anhören, weil ich höre, wie ich etwas erreichen wollte, was nicht zu mir passt. Das Debüt „Tremors“ war ein bewusstes Statement, um mich durch die Musik hinter mir selbst zu verstecken. Bei „Rennen“ wollte ich endlich ich selbst sein, aber erst jetzt bei „Trust“ ist mir das gelungen. Ich habe das Ego von früher erfolgreich getötet und erstmals die Musik vor allem anderen gestellt.

Beruft sich der neue Song „Life Behind Glass“ auf die Zeit, als du „Tremors“ 2014 aufgenommen hast?
Ein bisschen schon. Als ich „Tremors“ kreierte, fühlte es sich nicht ungesund an, aber zu einem gewissen Zeitpunkt rutschte ich in eine Depression, weil es sich nicht ganz richtig anfühlte. Das Leben spielte sich vor meinen Augen ab und ich war kein wirklicher Teil davon. Ich habe jetzt vor „Trust“ ein ganzes Album weggeworfen. „Life Behind Glass“ blieb davon über, aber jedes Lied klang so und sie alle fühlten sich ziemlich verloren und miserabel an. Ich musste erst erkennen, woher ich komme und wer ich bin, um zu „Trust“ geführt zu werden. Ich habe ungefähr 40 Songs geschrieben, die ich alle in die Tonne warf. Ein ganzes Album war rein instrumental - weg damit. Ich habe die Tracks noch aufgehoben, werde sie aber wohl nicht mehr verwenden. Ich bin heuer nach L.A. gegangen, um das ursprüngliche Album fertigzustellen, aber es kam alles ganz anders. Sogar dort bin ich dann bei einem Österreicher hängengeblieben, Jakob Rabitsch. Wir schrieben einen Song, dann noch einen und noch einen. Wir haben dann in zwölf Tagen acht Songs geschrieben - davor war mein Schnitt ein Song alle drei Monate. Ich habe gemerkt, dass ich „Tundra“, so der Arbeitstitel des ursprünglichen Albums, nicht mehr brauchen würde. Das war der entscheidende Moment. Das Album war fixfertig und mein Manager und das Label konnten es nicht fassen. Aber diese Phase in L.A. hat mich komplett verändert. Du hörst den neuen Songs an, dass sie nach Frieden suchen und sich aus einer Höhle herausschälen. Ich bin fünf Jahre lang gegen eine Wand gerannt und habe dann in drei Wochen ein ganzes Album geschrieben.

Blieb von den „Tundra“-Sessions nur „Life Behind Glass“ übrig?
Insgesamt drei Songs. Dazu noch „Station“ und „Basis“. „Life Behind Glass“ entstand 2017 direkt nach dem Umzug nach Spanien und es ist interessant, dass dieser Track überblieb. Ich habe schon mehr als Hundert Versionen des Songs aufgenommen, aber die in L.A. hat perfekt gepasst. (lacht)

Die Single „M.I.A.“ spricht darauf an, dass jemand einen aus dem Loch der Depression holt und alles regelt, während man selbst zu nichts imstande ist. Ist das der persönlichste und kathartischste Song des Albums?
Ich habe mein ganzes Leben lang Songs wie Tagebucheinträge geschrieben und „Trust“ ist das erste Album, auf dem ich das erste Mal auch andere Perspektiven einnehme. „M.I.A.“ war der erste Song davon und ich habe erst verstanden was ich sagen will, als wir ihn aufnahmen. Ich habe reflektiert, dass ich zu mindestens 50 Prozent verantwortlich für das Erziehen und Aufwachsen meiner drei Kinder bin, aber viel zu wenig da war. Meine Frau hat alles geregelt und das wirklich großartig gemacht. Sie hat alles zusammengehalten, als ich auf einem anderen Kontinent war. Sie hat darauf gewartet, bis ich wieder zurückkomme und das ist einfach nur großartig.

Besonderes interessant klingt natürlich „Figure Skating, Neusiedlersee“ - war das dein Lieblingsplatz während deiner Zeit in Österreich und ist das der wichtigste Nostalgiesong?
Auf diesen Song bin ich besonders stolz, denn hier fühlte ich mich erstmals als Autor und nicht nur als Biograf. Ich habe das Gefühl einer vergangenen Beziehung verwendet, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen und meine aktuelle Beziehung miteinzuflechten. Es war eine poetische Zugangsweise, die ich so davor noch nie versucht habe. Der Song ist eine Hommage an „Alice“ von Tom Waits. Ich habe den Song gehört und dann meine Gitarre in die Hand genommen und mich davon leiten lassen. „Tremors“ war bereits ein Vorbote zu meiner damals zerbrechenden Beziehung, aber ich habe nie einen Song über eine beendete Beziehung geschrieben. Jetzt habe ich gemerkt, ich kann etwas aus einer Position erzählen, die mir nicht mehr wehtut und ich fand einen Weg, diesen Moment meines Lebens einzufangen. Es kann um Eiskunstlauf oder etwas anderes gehen, wichtig ist, dass es persönlich ist. Plötzlich fühlte ich mich wie ein richtiger Songwriter. (lacht)

Musikalisch ist „Trust“ extrem vielseitig ausgefallen. „Life Behind Glass“ klingt ein bisschen wie elektronisch beladener Jazz, „Truce“ ist psychedelisch ausgefallen und „Riverbank“ eine sehr smoothe, atmosphärisch aufgeladene Ballade. Du hast offenbar den Mut gefunden, dich völlig aus deiner Komfortzone zu bewegen.
Es gab für mich keine andere Option. Jeder einzelne Mensch um mich herum wollte ein typisches neues Sohn-Album, aber es war für mich nicht möglich. Ich wollte es auch nicht. Ich mag noch nicht einmal elektronische Musik, um ehrlich zu sein - warum sollte ich also in diese Richtung weitermachen? Sollte ich weiter in Richtung Bonobo gehen? Nein, denn ich mag es nicht und ich würde damit Menschen beleidigen, die darauf stehen. Außerdem wäre es eine Frechheit zu glauben, man könnte damit einfach so davonkommen, ohne dass jemand etwas bemerkt. Ich bin heute jemand anderes und das musste auch aus der Musik kommen. Vor rund zehn Jahren habe ich mit Sohn begonnen und in dieser Zeitspanne beende ich im Normalfall Projekte. Mir war klar, ich muss mich woanders hinbewegen. Sinn macht das, was sich für einen gut anfühlt. Es ist ein bisschen suizidal, wenn man sich selbst belügt.

Alle Festivals und Booker engagieren mich als elektronischen Musiker. Alle wussten immer genau, was ich bin, aber das bin ich eben nicht mehr. Ich will in 15 Jahren nicht falsch interpretiert werden, also musste ich einen Absprung schaffen. Ich hasse den Gedanken, in 20 Jahren noch immer elektronische Musik zu machen und so gesehen zu werden. Ich liebe Paul Simon, Tom Waits und ähnliche Typen - ich musste die Augen schließen und ins Unbekannte springen. Vielleicht ist das ein Karriereselbstmord, aber es war notwendig. Beim Label wollte wirklich jeder, dass ich „Riverbank“ vom Album nehme. Irgendwann haben sie das Gesamtprojekt aber verstanden und die Strategie geändert - sie merkten, „Riverbank“ könnte auch die nächste Single sein und da fühlte ich mich endlich verstanden. Genau das habe ich immer gesagt. „I Won’t“, „Riverbank“ und „Truce“ sind das Rückgrat und die Seele des Albums. Alle Journalisten haben das auch gleichgesehen und verstanden, nur beim Label dauert es etwas länger.

Wenn du mit „Rennen“ so auf Kriegsfuß stehst, wirst du die Songs daraus überhaupt noch live spielen?
Drei Songs werde ich wohl nicht ganz ausschließen. „Rennen“ selbst funktioniert heute noch gut und könnte auf jedem meiner Alben stehen. „Conrad“ ist auch unverzichtbar, weil er so erfolgreich war, aber ich habe jetzt meinen Frieden mit diesem Album geschlossen. Auf der alt-j-Tour hatte ich diesen Erkenntnismoment, wo ich merkte, dass es einfach so sein muss. Man spielt das Liveset, das man will und am Ende all die Songs, die die Leute lieben und wofür sie ihre Tickets bezahlen. Damit muss man als Musiker leben. Ich fühle mich jetzt wirklich gut damit, weil ich diese Songs richtig einordnen kann. So sehe ich sie aus einer anderen Perspektive und kann mit den drei Songs locker umgehen.

Und du hast die Chance, deine neue künstlerische Identität mit „Trust“ nach außen zu tragen.
Bevor ich die Songs in L.A. für dieses Album schrieb, war ich auf meinen Knien und habe wortwörtlich dafür gebetet, Hilfe zu bekommen. Ich wusste nicht mehr weiter, hatte keine Ideen, fühlte mich nicht gut und sah überhaupt keine Zukunft. Der Moment war aber wichtig, denn ich war wirklich völlig am Boden. Wenn ich früher um Hilfe bat, dann kam zwar jemand, aber ich ließ ihn nicht zu mir durch. Jetzt habe ich aber selbst die Rettung gerufen, weil ich keinen Ausweg mehr sah. Ich habe andere Musiker und Menschen rangelassen, was nie zuvor passierte. Ich kannte keinen von ihnen und musste lernen, diesen Fremden mehr Respekt zu gewähren. Ich habe ihre Meinungen und Ansichten oft abgetan und nicht ernst genommen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass jemand etwas zu meinen Songs beitragen könnte. Aber ich war so fertig, so durch mit mir und der Musik, dass ich gezwungen war zu vertrauen. Ich brauchte eine Umarmung und Menschen, die mir beistehen.

Dafür braucht man auch Mut, denn man lässt sich komplett fallen und gewährt der Selbsterkenntnis den Raum, den sie braucht.
Das stimmt wohl. Ich hatte keine Wahl mehr. Wenn du hungerst, dann isst du alles, um zu überleben und metaphorisch ging es mir so mit der Musik. Ich musste mich fallenlassen, ich musste vertrauen, ich musste geben. Dann passierten diese magischen Wochen in L.A. Es begann alles mit dem Track „I Won’t“. Ich hatte den ganzen Tag Gänsehaut, weil der Song genau so klang, wie ich es mir vorstellte. Dieses Gefühl und diesen Tag werde ich nie vergessen, denn mein Leben war plötzlich gerettet. Ich fühlte mich davor wie im Koma und mit diesem Song wachte ich daraus auf. Am nächsten Tag schrieb ich „Riverbank“, am Tag darauf „Truce“ und am Tag darauf „M.I.A.“. Plötzlich ging alles wie von selbst. Ich war in einem anderen Studio, habe nur geschrieben, das Piano gespielt und gesungen. Als wir alles aufgenommen haben, wollte ich nicht, dass mir die Files für das Mischen gesendet werden. Ich wollte, dass es eine gemeinschaftliche Arbeit mit meinen Mitstreitern wird und hätte ich sie alleine bekommen, hätte sich vielleicht wieder das Ego durchgesetzt. Das galt es mit allen Mitteln zu verhindern. Vom Songwriting bis zur Veröffentlichung des Albums jetzt sind kaum sechs Monate vergangen, das ist absolut verrückt. Normalerweise braucht man schon so lange, um die Platte zu pressen.

Diese paar Wochen in Los Angeles klingen wirklich mehr als magisch. So etwas passiert wahrscheinlich niemandem einfach so…
Für Bands ist es ganz üblich, ein Studio zu buchen, Produzenten und Mitstreiter zu engagieren und loszulegen. Ich habe das nie gemacht, erst die absolute Blockade in meinem Kopf hat mich dazu gezwungen. Jetzt würde ich es nie wieder anders machen. Ich war viel zu egoistisch und habe in meiner Manie, alles selbst zu machen, viel zu oft mein Familienleben vernachlässigt. Jetzt kann ich mehr geben, mehr auslagern und es ist in allen Bereichen gesünder.

Auch deine Liveshows, am 4. Dezember spielst du ja zum Beispiel im Wiener WUK, werden wohl ganz anders aussehen, als man es bislang von dir gewohnt ist?
Sieh mich an - ich sitze nicht mehr mit dem dämlichen Hut und dem langen Mantel vor dir. „Trust“ spielt auf Vertrauen an. Meiner Familie und Freunden gegenüber, aber auch gegenüber Arbeitspartnern, Produzenten und Leuten in meinem Umfeld. Es steht dafür, allen zu erlauben, mir zu helfen und diese Hilfe auch ehrlich anzunehmen. Als Sohn habe ich dem Publikum niemals Vertrauen gegeben. Ich war auf der Bühne und habe mich dort versteckt. Ich habe so getan, als wäre niemand da und mich voll in mein Handwerk geworfen. Das Publikum würde schon darauf reagieren und das hat es auch getan - der Plan ging also auf. Jetzt gebe ich auf jeden Fall mehr Respekt. Ich habe den Fans viel zu wenig davon vermittelt. Mein Publikum glaubt an mich, sie folgen mir auf allen Kanälen und lieben mich in einer gewissen Art und Weise.

Aus Selbstschutz habe ich aber immer extrem viel Distanz gehalten und so waren auch meine Konzerte aufgebaut. Irgendwann habe ich meine Augen im Set geöffnet, aber ich war noch immer auf einer Art Altar oder Thron. Das ist total irre, wenn ich das aus heutiger Perspektive reflektiere. Jetzt lade ich die Menschen bei einer Show in mein Haus ein. Jeder ist willkommen, ich bin der Gastgeber und habe die Verantwortung, dass sich alle wohlfühlen - inklusive mir selbst. Mehr als alles andere hoffe ich, dass die Leute ein Konzert verlassen und sich als Teil der Gemeinschaft fühlen. Wir wollen eine schöne Party haben und es zählt das „wir“, nicht das „ich“. Ich habe Ende Juni im Wiener B72 schon eine kleine Show gespielt und wie war ein sehr guter Test. Alles ging akustisch über die Bühne und es hat super funktioniert.

Mehr Interaktion mit dem Publikum, weniger egozentrisches Verstecken?
Genau. Künstler wie David Bowie oder Prince wirken immer so außerweltlich und unberührbar, aber das sind sie eigentlich nicht. Sie hatten das Image und inszenierten sich so, aber wenn du treue und echte Fans fragst, dann fühlten sie immer eine angenehme Nähe zu ihren Helden. Wir wollen alle eine gute Zeit bei einem Konzert haben und da ist kein Platz dafür, ein Alien zu sein. Ich hasse die Shows von Jimmy Fallon oder James Corden mit seinem „Carpool-Karaoke“. Alle grinsen und scherzen sie dauernd herum, aber viele Künstler sind introvertiert. Sie sind wirr und eigen und müssen in diesen Sendungen eine Rolle spielen, die ihnen nicht behagt. Diese Künstler sind keine Komiker und ich muss mich da immer fremdschämen. Jedenfalls - meine Konzerte werden cool. Echt und authentisch. Nichts wird überplant sein, es wird einfach geschehen. Wir alle sind eins, es gibt keine Unterteilung zwischen mir auf der Bühne und den Leuten da unten. Früher haben wir Künstler immer angenommen, dass wir eh alles ausverkaufen, aber heute müssen wir froh sein, dass die Leute kommen. Corona hat alles ordentlich verrückt und jeder Künstler hofft und betet, dass seine Fans erscheinen. Ich freue mich über jeden, der es schafft, denn es ist nicht leicht und wird immer schwieriger. Ich nehme nichts mehr als selbstverständlich an und bin dankbar für jeden einzelnen Menschen, der meine Musik hört und meine Konzerte besucht.

Hast du denn nie daran gedacht, dich nicht mehr Sohn zu nennen, nachdem sich so gut wie alles an dem Projekt über die Jahre drastisch geändert hat?
Doch, habe ich. (lacht) Ich fühle mich Sohn aber nahe genug, um diesen Wechsel mitzumachen und zu tragen und muss nicht vor der Vergangenheit davonlaufen. Ich bin sehr stolz darauf, was ich als Sohn alles erreicht habe und habe noch viel mehr vor.  Das Gute am Namen Sohn ist, dass ich wusste, er bedeutet nichts Besonderes und man kann ihn vielseitig verwenden. Es hängt kein besonderer Sound und keine Geschichte daran und deshalb bleibe ich auch dabei. Es gibt schon Alben, es gibt gewisse Kategorisierungen und es gibt den Künstler - das ist Fakt. Ich merke, dass die Musik wieder mehr zum Punk-Ethos zurückgeht und das gefällt mir. Hört auf, die Musik zu überdenken und groß zu planen. Sie zu collagieren und übermäßig zu analysieren. Das Wichtigste für mich und mein Album „Trust“ ist, dass alles echt und unmittelbar klingt. Ich wollte beim Mischen und Mastern, dass es nicht nach Schablone klingt, das wäre mir völlig zuwider gewesen. Der Hörer soll zu jeder Sekunde denken, dass er ein Teil des Albums ist, sich mittendrin befindet. „Truce“ ist ein perfektes Beispiel dafür - kein Song klingt wie ein anderer. Es ist eine total spontane Aufnahme meines Gefühls zu dieser Zeit.

Vielleicht gibt es heute auch Parallelen zu den 70er-Jahren. Wo alles Überproduzierte und fett Ausstaffierte irgendwann nicht mehr gewollt war und der Punk mit seiner raubeinigen Unmittelbarkeit für einen Paradigmenwechsel sorgte. Wiederholt sich da die Geschichte gerade?
Die ganze Synthie-Musik sehe ich heute nicht einmal mehr als Musik, sondern als Produkt. Sie ist leicht zu verkaufen, weil wir alle in einer Supermarktgesellschaft leben und es nur darum geht, sein Zeug anzubringen. Ich habe genug Songwriting-Sessions erlebt, wo Songs total nach Schablone und Erfolgsdenken komponiert werden. Das kann heute fast jeder, der einmal damit zu tun hat und dann brauchst du noch Glück und gutes Marketing - aber wo bleibt da die Menschlichkeit? Das Originäre? Ich hasste etwa früher Dubstep, aber liebte es, was man daraus formte. Nur irgendwann wird alles so gleichprogrammiert, dass es völlig an Reiz verliert. Selbst im Hip-Hop klingen die Grammy-nominierten Tracks schon gleich und das ist eine bedenkliche Entwicklung. Wir haben die Songs von „Trust“ spontan aufgenommen, wenn sie sich gut anfühlten. Kein großes Überdenken, keine Analyse. Einfach nur dem Gefühl folgen.

Tour mit Österreich-Terminen
Mit seinem neuen Album „Trust“ befindet sich Sohn den ganzen Herbst auf großer Tour und kommt im Dezember für einige Konzerte nach Österreich. Am 4. Dezember spielt er im Wiener WUK, am 5. Dezember im Linzer Posthof, am 6. Dezember im Salzburger Rockhouse und - Achtung! - bereits am 13. September im Grazer ppc. Alle weiteren Infos und Karten für die Konzerthighlights erhalten Sie unter www.oeticket.com

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